Die Asylorganisation Zürich (AOZ) betreut regelmässig auch LGBTI*-Asylsuchende. In den letzten Jahren hätten die AOZ und das Staatssekretariat für Migration (SEM) mehrere Massnahmen ergriffen, um deren Betreuung und Unterbringung zu verbessern, hält die AOZ fest. Dazu zähle die Anerkennung als vulnerable Gruppe. Damit würden die spezifischen Bedürfnisse von queeren Geflüchteten besser berücksichtigt.
Die systematische Erfassung der Anzahl vulnerabler Personen durch das SEM und die AOZ ermögliche für LGBTI*- Menschen eine bessere Planung und Bereitstellung angemessener Unterstützung. Das führte laut der AOZ zu neu definierten Minimalstandards für die Unterbringung sowie zu einer qualitativ besseren Betreuung. Diese Massnahmen seien «Teil eines kontinuierlichen Verbesserungsprozesses, insbesondere für vulnerable Gruppen». Die Berücksichtigung von LGBTI*-Personen in diesem Kontext zeige ein wachsendes Bewusstsein für ihre besonderen Bedürfnisse und Herausforderungen im Asylprozess, hält die AOZ fest.
Zweimal pro Jahr Weiterbildungsangebot
Ein wichtiges Element davon sind die Weiterbildungsangebote für Mitarbeitende der Bereiche Unterbringung und Betreuung, die von Annett Uehlinger (Co-Koordinatorin von Focus Refugees bei Queeramnesty) und von Alecs Recher (Volunteer bei Transgender Network Switzerland) im Auftrag der AOZ durchgeführt werden. Diese finden seit 2019 zweimal pro Jahr statt und geben den Kursteilnehmer* innen Wissen und Handlungsoptionen mit, um den Herausforderungen im Arbeitsalltag zu begegnen. «Die Teilnehmer*innen bringen enorm unterschiedliches Vorwissen mit, aber eigentlich möchten alle LGBT*- Asylsuchende gut unterstützen», sagt Alecs Recher. «Für uns ist wichtig, dass sie zuerst einmal verstehen, wer diese Menschen überhaupt sind, was hinter diesen Buchstaben steckt – und wo sie allenfalls noch Fehlwissen oder Vorurteile hatten.» Im Kurs zeigten sie ausserdem auf, unter welcher besonderer Verfolgung LGBTI*-Asylsuchende in ihren Herkunftsländern litten und was dies mit ihnen mache. «So wird für die Teilnehmer*innen verständlich, woher die besonderen Herausforderungen hier in der Schweiz stammen, und sie können gemeinsam Handlungsoptionen erarbeiten.»
Viele Asylsuchende sind traumatisiert durch die Gewalterfahrungen im Herkunftsland oder auf der Flucht und brauchen deshalb Sicherheit sowie traumasensibel arbeitende Betreuungspersonen.
Anspruchsvolle Betreuung
Die professionelle Betreuung von Asylsuchenden ist aus verschiedenen Gründen anspruchsvoll. Viele sind traumatisiert durch die Gewalterfahrungen im Herkunftsland oder auf der Flucht und brauchen deshalb Sicherheit sowie traumasensibel arbeitende Betreuungspersonen. Doch im Asylsystem befinden sie sich erneut in einer Ohnmachtssituation. Oft fühlen sie sich einsam, verzweifelt, depressiv.
Hinzu kommt die Vielfalt der Hintergründe der Asylsuchenden, denn sie kommen aus unterschiedlichen kulturellen, sozialen und politischen Kontexten an einen für sie zumindest anfangs unbekannten Ort. Können sie sich, aus welchem Grund auch immer, noch nicht als LGBTI* outen, ist es für die Betreuungspersonen zusätzlich schwierig, auf ihre spezifischen Bedürfnisse einzugehen. Darüber hinaus sind die rechtlichen Rahmenbedingungen eines Asylverfahrens und das gesamte Asylsystem in der Schweiz komplex und für die Betroffenen oft verwirrend. Deshalb müssen die Menschen, die sie betreuen, gut informiert sein, um sie angemessen unterstützen zu können.
Respektvollen, unterstützenden Umgang fördern
Bei LGBTI*-Menschen kommen weitere Herausforderungen hinzu, die an den Weiterbildungskursen thematisiert werden. Ein Hauptanliegen für Queeramnesty und TGNS ist dabei die Sensibilisierung und Wissensvermittlung, um so einen respektvollen, unterstützenden Umgang zu fördern. Die Kurse sollen Vorurteile abbauen und das Bewusstsein schärfen, dass diese Gruppe von Asylsuchenden aufgrund ihrer sexuellen Orientierung, Geschlechtsidentität, ihres Geschlechtsausdrucks oder ihrer Geschlechtsmerkmale spezifische Bedürfnisse hat. Dazu gehören sicherere und inklusive Räume, in denen sich LGBTI*-Menschen weniger gefährdet fühlen.
Auch queerfeindliche Gewalt beschäftige viele Teilnehmer*innen bei der Weiterbildung, erzählen Annett Uehlinger und Alecs Recher. Für queere Geflüchtete sei diese Gewalt besonders schlimm, denn die meisten hätten ihre Heimat ja gerade verlassen, weil sie einer postulierten Norm nicht entsprachen und deswegen diskriminiert und verfolgt wurden.
Und nun erlebten sie in den Asylzentren erneut die Gewalt, vor der sie geflohen seien und Schutz suchten. Laut dem SEM stellt es sich allerdings während des Verfahrens auch ab und zu heraus, dass diese Fluchtgründe nur vorgeschoben werden. Und besteht dabei nicht die Gefahr, nicht-queere Asylsuchende generell als LGBTI*-feindlich zu verunglimpfen? Die beiden Kursleiter*innen sind sich dessen bewusst: «Eine offene Atmosphäre im Kurs zu schaffen, in der sich alle einbringen, ist uns enorm wichtig. Genauso wichtig ist uns aber auch, dass LGBTI*-Feindlichkeit nicht anders zu werten ist als beispielsweise Rassismus, und das Bewusstsein für verschiedene Marginalisierungen und Privilegien zu schärfen.»
Konkrete Tipps zur Ermächtigung
Ein weiteres Thema ist der Zugang zu psychologischer Unterstützung und zu medizinischer Versorgung, insbesondere im Bereich geschlechtsaffirmierender Behandlungen. Gerade dort bestehen noch Optimierungsmöglichkeiten, weil den medizinischen Fachpersonen teils das notwendige Wissen fehlt.
Wie die Betreuung erfordert auch die Gesundheitsversorgung besondere interkulturelle Kompetenzen, denn zu den Sprachbarrieren können bei den Asylsuchenden Scham und Furcht vor Diskriminierung hinzukommen, die das Reden zum Beispiel über psychische Gesundheit, sexuelle Gesundheit oder LGBTI* zusätzlich erschweren können.
Annett Uehlinger und Alecs Recher haben langjährige Erfahrung in diesem Bereich und eine besondere Expertise für die zahlreichen Herausforderungen, welchen LGBTI*- Menschen im Kontext von Flucht und Asyl begegnen. Wichtig ist ihnen deshalb auch, den Mitarbeitenden in den Asylzentren konkrete Tipps mitzugeben, was sie tun können, damit sich diese Menschen gesehen fühlen und empowered werden. Damit sie, falls sie in der Schweiz Asyl erhalten, ein selbstbestimmtes Leben führen und ihre eigenen Interessen vertreten können. Die beiden erhoffen sich denn auch, die Kursleitung irgendwann in der Zukunft an LGBTI*-Menschen übergeben zu können, die einst selbst in die Schweiz geflüchtet sind.
Bis es soweit ist, freuen sie sich jedoch über die vielen positiven Rückmeldungen der Teilnehmenden. «Oft hören wir, dass sie viel Neues gelernt hätten und nun sehen, was sie bei ihrer Arbeit alles noch verbessern können. Am meisten freut mich das Feedback, dass sie das neu Erlernte an ihre Kolleg*innen und die Leitung weitergeben möchten», sagt Annett Uehlinger. «Je mehr als Multiplikator*innen für ‹unsere Sache› einstehen, desto besser!» (mf, rk)