«Die Vereinigten Staaten sind der weltweiten Abschaffung der Folter verpflichtet, und wir gehen in diesem Kampf mit gutem Beispiel voran.»
US-Präsident George W. Bush, Juni 2003
Seit Beginn des «Kriegs gegen den Terror» werden US-Behördenvertreter nicht müde zu betonen, dass die USA den Kampf gegen Folter anführten, dass alle Gefangenen in US-Gewahrsam menschenwürdig behandelt würden und dass in den seltenen Fällen, in denen dies nicht der Fall sei, die Verantwortlichen ermittelt und in vollem Umfang zur Rechenschaft gezogen würden. Die Realität sieht jedoch ganz anders aus.
Viele der Gefangenen, die in Guantánamo festgehalten werden, sind misshandelt worden. Sei es in Afghanistan oder an einem anderen Ort, bevor man sie nach Guantánamo brachte; sei es während der Überführung oder der Verhöre; sei es infolge der Isolation, der unbestimmten Dauer sowie des bestrafenden Charakters der Haft in Guantánamo. Auch die Familien der Inhaftierten leiden letztendlich unter der Grausamkeit der Haftbedingungen auf dem abgeschiedenen US-Militärstützpunkt, der den Gefangenen praktisch keinen Kontakt zur Aussenwelt ermöglicht.
Gesetzlich verankerte Straffreiheit
Im Januar 2002 machte Alberto Gonzales, Berater im Weissen Haus, US-Präsident George W. Bush darauf aufmerksam, dass die Nicht-Anwendung der Genfer Konventionen auf die Gefangenen des Afghanistan-Kriegs den Vorteil habe, die strafrechtliche Verfolgung von US-Behördenvertretern nach dem US-Gesetz zu Kriegsverbrechen zu erschweren. Zwei Wochen später, am 7. Februar 2002, unterzeichnete der Präsident ein Memorandum, welches bestätigte, dass kein inhaftierter Angehöriger der Taliban bzw. kein inhaftiertes Mitglied der al-Qaida als Kriegsgefangener betrachtet würde und auch der gemeinsame Artikel 3 der Genfer Konventionen keine Anwendung finden werde.
Der gemeinsame Artikel 3 garantiert Mindeststandards für faire Gerichtsverfahren. Er verbietet ferner Folter, grausame Behandlung sowie «Beeinträchtigung der persönlichen Würde, namentlich erniedrigende und entwürdigende Behandlung». Das US-Gesetz zu Kriegsverbrechen enthielt damals Bestimmungen, nach denen Verletzungen des gemeinsamen Artikels 3 als Kriegsverbrechen in den USA strafrechtlich verfolgt werden konnten.
Fast fünf Jahre später hat es noch keine strafrechtliche Verfolgung auf Grundlage dieses Gesetzes gegeben. Bei einer Anhörung im Senat stimmten im Juli 2006 sechs Militäranwälte darin überein, dass einige der Verhörmethoden, die im Rahmen des «Kriegs gegen den Terror» genehmigt worden waren, gegen den gemeinsamen Artikel 3 verstossen hätten. Tatsächlich hatte eine Militäruntersuchung im Jahr 2004 bestätigt, dass US-Ermittler in Afghanistan spätestens seit 2002 Gefangene entkleiden, über lange Zeiträume in Isolationshaft festhalten, dazu zwingen, in schmerzhaften Körperhaltungen zu verharren, die Angst der Gefangenen vor Hunden ausnutzen, sie am Schlafen hindern und in Dunkelheit halten. Derartige Methoden werden auch in Guantánamo angewandt.
Im September 2006 legte die US-Regierung den Gesetzesentwurf über Militärkommissionen vor, der vom Kongress verabschiedet und anschliessend von Präsident Bush unterzeichnet wurde. Das neue Gesetz schränkt das US-Kriegsverbrechensgesetz ein, so dass unfaire Gerichtsverfahren oder die «Beeinträchtigung der persönlichen Würde, namentlich erniedrigende und entwürdigende Behandlung» nicht mehr als Kriegsverbrechen gelten. Die neuen Bestimmungen wurden auf die Zeit vor Beginn des «Kriegs gegen den Terror» zurückdatiert. Der Straflosigkeit wird somit Vorschub geleistet.
Die Neudefinition von Folter
In einem Memorandum der Rechtsabteilung des Justizministeriums an das Weisse Haus vom 1. August 2002 heisst es, der Präsident könne das Folterverbot aufheben; ferner könnten Ermittler starke Schmerzen zufügen, ehe sie die Grenze zur Folter überschreiten. Weiter gebe es eine breite Palette an Massnahmen, die zwar grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung darstellen könnten, jedoch nicht als Folter zu werten seien.
US-Behördenvertreter, die diese Methoden einsetzten, könnten dem Memorandum zufolge nicht nach US-Recht, welches Folter ausserhalb der USA verbietet, strafrechtlich verfolgt werden. Selbst wenn ihre Verhörmethoden Folterungen umfassten, «könnten Notwehr oder eine Zwangslage Begründungen darstellen, die jede strafrechtliche Verfolgung verhindern würden».
Die euphemistisch mit «Druck und Härte» («stress and duress») bezeichneten Techniken, die sich im «Krieg gegen den Terror» der USA u. a. auch in Guantánamo herausgebildet haben, bedeuten, dass Gefangene gezwungen werden, über längere Zeiträume in einer stehenden oder knienden Position zu verharren; zudem umfassen sie Schlafentzug, Beschallung mit lauten Geräuschen, lange Isolierung und das Überstülpen von Kapuzen. Einige Methoden wie der Einsatz von Hunden, erzwungene Nacktheit, Zwangsrasuren, sexuelle Erniedrigung durch weibliche Ermittlerinnen und der Entzug religiöser Gegenstände haben darüber hinaus auch eine diskriminierende Wirkung.
Alberto Gonzales erklärte 2005, das Memorandum habe die Position der Regierung dargestellt; als Berater des Weissen Hauses habe er sie akzeptiert. Im «Krieg gegen den Terror» ist bislang kein US-Behördenvertreter auf Grundlage des Antifoltergesetzes strafrechtlich verfolgt worden.
Menschenwürdige Behandlung nach dem Verständnis der USA
Laut dem von US-Präsident Bush am 7. Februar 2002 unterzeichneten Memorandum, das bisher nicht zurückgezogen oder geändert wurde, verfolgen die USA die politische Linie, Gefangene menschenwürdig zu behandeln, «selbst solche, die ihren Rechtsanspruch auf eine derartige Behandlung verwirkt haben». Solche Gefangenen gibt es nicht. Alle Gefangenen haben überall auf der Welt das Recht, vor Folter oder anderen Misshandlungen geschützt zu werden. Dies ist keine Entscheidung der Politik. Es ist eine rechtsverbindliche Verpflichtung, die für alle Regierungen gilt.
In dem Memorandum heisst es ferner, der Umgang mit den Gefangenen stehe «im Einklang mit den Genfer Konventionen» – jedoch nur in dem Masse, wie die «militärische Notwendigkeit» dies zulasse.
Der Begriff der «militärischen Notwendigkeit» wurde herangezogen, um den «besonderen Vernehmungsplan» zu rechtfertigen, den US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld zur Anwendung auf den Guantánamo-Häftling Mohamed al-Qahtani genehmigt hatte. Dieser sollte über nachrichtendienstlich wertvolle Informationen verfügen, galt jedoch gegenüber üblichen Verhörmethoden der US-Armee als resistent. Mohamed al-Qahtani wurde Ende 2002/Anfang 2003 drei Monate lang in extremer Isolation gefangen gehalten. Mehrfach wurde er dazu gezwungen, Frauenunterwäsche zu tragen, und er wurde an einer Hundeleine durch den Raum geführt, wobei er eine Reihe von Hundekunststücken vollführen musste. Ausserdem wurde er dazu gezwungen, mit einem männlichen Ermittler zu tanzen, während er auf dem Kopf ein Handtuch «wie eine Burka» tragen musste.
Während der Verhöre wurden ihm Kopf- und Barthaare abrasiert; auch Entkleiden und Leibesvisitationen in Anwesenheit von weiblichen Ermittlerinnen gehörten zu den angewandten Methoden, wie auch sexuelle Erniedrigung, kulturell unangemessener Einsatz weiblicher Ermittlerinnen und Beleidigungen sexueller Natur gegen weibliche Familienmitglieder al-Qahtanis.
Zudem wurden ihm Kapuzen über den Kopf gestülpt; er wurde lauter Musik sowie «weissem Lärm» (undefinierbaren lauten Geräuschen), ebenso wie extremer Hitze und Kälte ausgesetzt. Schlafentzug gehörte ebenfalls zu den angewandten Methoden; er musste über lange Zeiträume stehen und war gezwungen, in seine Wäsche zu urinieren, wenn die Ermittler ihn nicht zur Toilette gehen liessen.
Mohamed al-Qahtani wurde an 48 von 54 aufeinander folgenden Tagen 18 bis 20 Stunden am Tag verhört. Während der Befragung soll man ihn einer Scheinverschleppung unterzogen haben. Dabei wurden ihm Beruhigungsmittel gespritzt und eine Brille mit abgedunkelten Gläsern aufgesetzt; dann wurde er in einem Flugzeug aus Guantánamo ausgeflogen.
Eine Militäruntersuchung ergab, dass die Behandlung von Mohamed al-Qahtani zwar insgesamt «erniedrigend und missbräuchlich» war, aber «nicht das Niveau der verbotenen unmenschlichen Behandlung erreicht» habe. Dies sollte stets berücksichtigt werden, wenn ein Behördenvertreter äussert, dass Gefangene in US-Gewahrsam in Guantánamo human behandelt würden – die Vorstellung dieser Behördenvertreter von einer humanen Behandlung deckt sich offensichtlich nicht mit internationalen Standards.
Sparsam mit der Wahrheit
Die US-Regierung hat sich darum bemüht, Anschuldigungen von Folter und Misshandlung durch den Hinweis auf das «Manchester-Dokument» zu entkräften. Dabei handelte es sich um ein mutmassliches Trainingshandbuch von al-Qaida, das in Grossbritannien gefunden wurde und Angehörige des Netzwerks dazu anleitet zu behaupten, sie seien in Gewahrsam gefoltert und misshandelt worden.
Amnesty International hat mit zahlreichen freigelassenen Gefangenen gesprochen – u. a. in Afghanistan, Australien, Bahrain, Kanada, Frankreich, Deutschland, Schweden, Grossbritannien und Jemen. Ihre Angaben über Misshandlungen waren widerspruchsfrei und glaubwürdig.
Sowohl für die Sondergerichte zur Prüfung des Kombattantenstatus, die die US-Regierung zur Prüfung des Status der als «feindliche Kämpfer» inhaftierten Gefangenen eingerichtet hat, als auch für die Militärkommissionen, die einberufen werden sollen, um einige dieser Gefangenen vor Gericht zu stellen, gilt die Vorlage von Beweisen, die unter Folter und anderen Formen der Misshandlung erlangt wurden, als zulässig.
Wenn es stimmt, dass Gefangene routinemässig falsche Anschuldigungen bezüglich Misshandlungen erheben, warum war es dann nötig, diesen Sondergerichten und Kommissionen explizit zu erlauben, erzwungene Beweise zu verwenden? Wenn alle Gefangenen human behandelt werden, könnten diese Gerichte sich auf Beweise stützen, die innerhalb des gesetzlichen Rahmens erlangt wurden. Es sieht ganz danach aus, als seien es nicht nur die Gefangenen, sondern im gleichen Masse die US-Regierung, deren «Kriegstaktik» einen sparsamen Umgang mit der Wahrheit vorsieht.
Als im Juni 2006 drei Gefangene in Guantánamo offenbar durch Selbstmord starben, sagte der Kommandant des US-Militärstützpunkts, die Gefangenen hätten sich nicht aus Verzweiflung das Leben genommen, sondern als «Akt der asymmetrischen Kriegsführung». Eine leitende Mitarbeiterin des US-Aussenministeriums tat die Todesfälle als «guten PR-Schachzug» ab. Wie ein US-Kommentator feststellte: Solche Äusserungen machen die Schliessung des Lagers erforderlich – «nicht nur aufgrund der Behandlung der Gefangenen, sondern aufgrund der Art und Weise, wie es die US-Verantwortlichen entmenschlicht».
... und ausserdem ...
Brutales Vorgehen bei Hungerstreiks
«Als sie Blut erbrachen, verhöhnten und beschimpften die Soldaten sie und sagten spöttische Dinge wie ‚Siehst du, was deine Religion dir eingebracht hat’.»
Der saudi-arabische Gefangene Yousef al-Shehri
2005 traten über 200 Gefangene in Guantánamo in einen Hungerstreik, um gegen die Haftbedingungen und ihre unbefristete Inhaftierung ohne Gerichtsverfahren zu protestieren. Hungerstreikende Gefangene wurden Berichten zufolge in Isolationszellen gesperrt, auf sogenannten «Sicherungsstühlen» fixiert und auf schmerzvolle Weise zwangsernährt. Ausserdem wurden ihnen «Komfortgegenstände» wie Decken und Bücher fortgenommen. Anwälte gaben an, dass einige Hungerstreikende in Kaltzellen in Isolationshaft genommen wurden und dort auf «Sicherungsstühlen» fixiert wurden. Wachen sollen diese Gefangenen verhöhnt haben, indem sie an den Zellentüren rüttelten, ihre Gebete unterbrachen und sie am Schlafen hinderten.
Inhaftierung auf unbestimmte Zeit
«Wir haben dieses Lager für Leute errichtet, die für alle Zeiten hier sein werden. Ihr solltet nicht davon ausgehen, je wieder nach Hause zu kommen. Ihr werdet den Rest eures Lebens hier verbringen … Keine Sorge. Wir werden euch am Leben halten, damit ihr weiter leiden könnt.
Mutmassliche Aussage eines US-Ermittlers gegenüber Mohamed al-Gharani, einem in «Camp V» gefangen gehaltenen tschadischen Gefangenen
Im Mai 2006 stellte der Uno-Ausschuss gegen Folter gegenüber den USA klar, dass die zeitlich unbefristete Inhaftierung von Gefangenen ohne Anklageerhebung per se einen Verstoss gegen das Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe darstelle. Das Expertengremium hat die USA dazu aufgerufen, das Gefangenenlager Guantánamo zu schliessen.
Brutale Zellenräumungen
«Zwei oder drei Wachen eilten in die Zelle, während er auf dem Boden lag. Einer presste Ait Idirs Körper gegen den Boden und sprang auf seinen Rücken. Mit seinen Knien drückte er seinen Körper zu Boden.»
Diese Zeugenaussage aus einem Verfahren vor einem US-Bundesgericht im April 2005 aufgrund einer Klage Mustafa Ait Idirs ist eine von vielen Anschuldigungen, denen zufolge Gruppen von etwa fünf Wachleuten in Zellen von Gefangenen geschickt werden, um sie für geringe oder gar imaginäre Verstösse gegen die Verhaltensregeln für Gefangene in Guantánamo zu bestrafen. Diese Strafkommandos (Initial bzw. Extreme Response Forces) prügeln Berichten zufolge auf Gefangene ein oder üben in anderer Form Gewalt aus.
Am 24. Januar 2003 wurde ein Mann in einem orangefarbenen Overall in Guantánamo so brutal zusammengeschlagen, dass er eine Hirnverletzung davongetragen haben soll. Es handelte sich hierbei nicht um einen Gefangenen, sondern um einen US-Militärwachmann, der sich bereit erklärt hatte, bei einer Übung einen unkooperativen Häftling zu spielen. Dem Fünf-Mann-Team, das zu ihm geschickt wurde, um ihn aus seiner Zelle zu holen, war allerdings nicht mitgeteilt worden, dass es sich um eine Übung handelte. Der Wachmann gab an, dass die Männer ihn zu Boden warfen, in einen schmerzhaften Würgegriff nahmen und seinen Kopf mindestens drei Mal auf den Boden schlugen.