Fall A: Abdul Ra’ouf al Qassim, Libyen
Mit 18 Jahren wurde Abdul Ra’ouf in die libysche Armee aufgeboten, aus der er später desertierte. Als aktiver Muslim verliess er das Land aus Angst vor religiöser Verfolgung durch die Regierung Gadhafi. Zehn Jahre lang hielt er sich als Flüchtling im Ausland auf, bevor er 2000 eine Afghanin heiratete und sich in Kabul niederliess. Als die Bombardierung von Afghanistan im Oktober 2001 begann, floh Abdul Ra’ouf mit seiner schwangeren Frau nach Pakistan.
Kurz nach Ankunft in Pakistan wurde Abdul Ra’ouf Opfer der Kriegswirren. Die Polizei verhaftet ihn und verkaufte den Flüchtling gegen ein Kopfgeld an das US-Militär. Anfang August wurde er nach Guantánamo gebracht, wo er seit gut sechs Jahren ohne Anschuldigung oder Verfahren festgehalten wird. Im Januar 2005 erklärte ihn das Combat Status Review Tribunal zum feindlichen Kämpfer. Im Dezember desselben Jahres empfahl das Administrative Review Board eine Rückkehr nach Libyen.
Im Dezember 2006 und nochmals im Februar 2007 kündigte die US-Regierung ihre Absicht an, Abdul Ra’ouf gegen seinen Willen nach Libyen zu transferieren. Dort drohen ihm zeitlich unbegrenzte Haft, Folter und sogar der Tod, da er als ehemaliger Guantánamo-Gefangener stigmatisiert ist und von den USA fälschlicherweise mit einer Widerstandsgruppe in Zusammenhang gebracht wurde, die den diktatorischen Staatsführer bekämpft. Eine Soforthilfeaktion von Amnesty Internatonal konnte die Rückschaffung verhindern.
2006 wurde Abdul Ra’ouf vom US-Verteidigungsministerium offiziell als ungefährlich und für geheimdienstliche Zwecke unbrauchbar einstuft. Damit bestätigten die zuständigen Stellen, dass er weder für die USA noch für ihre Verbündeten eine Gefahr darstellt. Allerdings sieht diese Freigabe nicht auch eine Löschung der Bezeichnung «enemy combatant» vor, dieses Stigma bleibt auch bei einer allfälligen Freilassung erhalten.
Fall B aus Algerien
Der gebürtige Algerier B. (33) absolvierte eine sechsjährige Schulzeit und die Dienstpflicht in der algerischen Armee. Wie andere junge Muslime trat er anschliessend eine Pilgerreise nach Mekka an. 2001 arbeitete B. während einiger Monate als Freiwilliger für eine wohltätige Organisation in Kaschmir und verteilte Lebensmittel und Kleider an Bedürftige, bis er von einer Landmine schwer verletzt wurde. Er verlor das untere rechte Bein und verbrachte viele Monate in Lahore (Pakistan), wo er eine Prothese und Rehabilitation erhielt.
Als der Amputierte im Mai 2002 bei einem algerischen Bekannten auf Brautschau in Peshawar zu Besuch war, durchsuchte die Polizei dessen Haus und B. wurde festgenommen. Statt ihn wie versprochen frei zu lassen, übergaben die Polizisten B. den US-Truppen. Am 5. August 2002 wurde der Algerier nach Guantánamo gebracht.
Die US-Behörden haben B. nie angeklagt, sondern bloss äusserst vage Vorwürfe gegen ihn vorgebracht. Sie behaupten, er sei Mitglied einer pakistanischen Organisation gewesen, die sowohl humanitäre Aufgaben erfüllte als auch einen militärischen Flügel unterhielt. In Anhörungen vor Militäroffizieren bestand B. auf der ausschliesslich humanitären Natur seines Arbeitseinsatzes. Fast alle gegen ihn verwendeten Beweise waren als geheim klassifiziert und ihm deshalb nicht zugänglich. Unter Folter erzwungene Aussagen wurden ebenfalls gegen ihn verwendet.
Nach über sechsjähriger Gefangenschaft ist B. immer noch in Guantánamo, weil ihn kein Land aufnehmen möchte. Er würde gerne zu seiner Familie nach Algerien heimkehren, wäre dort aber einer doppelten Bedrohung ausgeliefert. Das Risiko ist überdurchschnittlich hoch, dass er – wie viele andere – gleich bei seiner Ankunft vom algerischen Militärgeheimdienst festgenommen und in ein geheimes Haftzentrum gebracht wird. Wegen seinem Stigma als «Terrorismusverdächtiger» würde er langzeitig interniert und müsste dort mit Folter oder sogar mit seinem Tod rechnen. Als ehemaliger Soldat der Armee, die Mitte der Neunzigerjahre fundamentalistische Regierungsgegner bekämpfte, droht ihm auch Rache von Seiten der Fundamentalisten.
Fall C aus China
Der 29-jährige C. wuchs als Angehöriger der muslimischen Minderheit der Uiguren im Westen Chinas auf. Er hatte gute Beziehungen zu den literarischen und politischen Bewegungen in Ostturkestan, deren Exponenten von China verfolgt und inhaftiert wurden. C. ist in China wegen «politischer Verbrechen» zur Verhaftung ausgeschrieben, da er in den Neunziger Jahren an einer politischen Demonstration teilgenommen hatte. Er verliess Frau und Kleinkind und floh in ein Dorf nach Afghanistan, in dem auch andere verfolgte Uiguren Zuflucht fanden.
Als die US-Streitkräfte Ende 2001 Afghanistan bombardierten, verschlug es C. und seine Landsleute nach Pakistan, wo sie verhaftet und für etwa 7'000 US-Dollar an die US-Truppen übergeben wurden. Am 5. Mai 2002 landete C. in Guantánamo Bay. Ihm und den anderen 21 Uiguren warf man dort vor, Mitglied der islamischen Bewegung von Ostturkestan zu sein, die von al-Qaida unterstützt werde. C. erhielt den Status «feindlicher Kämpfer», obwohl es keine Beweise für die Beschuldigungen gab. Tatsächlich war er zuerst als nicht-feindlicher Kämpfer eingestuft worden – gleich wie jene fünf Uiguren, die bereits 2006 nach Albanien ausreisen konnten.
Vertreter Chinas machten bei der Befragung der uigurischen Gefangenen in Guantánamo deutlich, dass diese im Fall einer Rückkehr nach China mit Gefängnis, Folter oder sogar einer Hinrichtung rechnen müssten. Als C. sich weigerte, seine Mitgefangenen auszuspionieren, drohten ihm die US-Befrager damit, ihn nach China zurückzuschicken.
2003 erfuhren die in Guantánamo festgehaltenen Uiguren, dass ihre Freilassung vorgesehen ist. Bis heute warten 17 auf die Ausreise in einen sicheren Drittstaat, der bereit ist, sie aufzunehmen. C. ist sehr belastbar, allerdings wächst seine Verzweiflung nach bald sieben Jahren unbegrenzter Haft.