© Amnesty International
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Misshandlungen an Protestierenden und Gefangenen Der Handel mit Folterwerkzeugen muss endlich reguliert werden

Medienmitteilung 11. Dezember 2020, London/Bern – Medienkontakt
Die Zeit drängt: Die Staatengemeinschaft muss endlich den weltweiten Handel mit Gütern verbieten, die dafür entwickelt wurden, unerträgliche Schmerzen und Verletzungen zu verursachen. Das fordern Amnesty International und die Omega Forschungsstiftung im Vorfeld einer hochrangigen Uno-Tagung zum Thema «Handel mit Folterwerkzeugen».

In einem neuen Bericht mit dem Titel «Ending the Torture Trade: The Path to Global Controls on the ‘Tools of Torture’» (pdf, Englisch)  fordern die beiden Organisationen ausserdem Kontrollen für die Standardausrüstung der Polizei. So soll sichergestellt werden, dass diese nicht in falsche Hände gelangt und zum Foltern verwendet wird. 

«Mehr als drei Jahrzehnte nachdem der Einsatz von Folter international geächtet wurde, werden weiterhin weltweit Menschen in Gefängnissen und Haftanstalten gefoltert, oft zu Tode. Es macht keinen Sinn, die Folter zu verbieten und gleichzeitig den Handel mit speziell dafür entwickelten Ausrüstungsgegenständen – wie Fusseisen oder mit Metallspitzen versehene Schlagstöcke – weiterhin zuzulassen», sagte Patrick Wilcken, Leiter des Bereichs Waffenhandel, Sicherheit und Menschenrechte bei Amnesty International.

Es macht keinen Sinn, die Folter zu verbieten und gleichzeitig den Handel mit speziell dafür entwickelten Ausrüstungsgegenständen weiterhin zuzulassen.»Patrick Wilcken, Leiter des Bereichs Waffenhandel, Sicherheit und Menschenrechte bei Amnesty International.

«Angesichts dessen, dass Demonstrierende auf der ganzen Welt mit Tränengas erstickt oder durch Gummigeschosse verletzt werden, sind verstärkte Handelskontrollen im Bereich Polizeiausrüstung dringend notwendig. Gegenstände wie Handschellen oder Schlagstöcke, die zur Standardausrüstung gehören, können schnell zu Folterinstrumenten werden, wenn sie in falsche Hände geraten. Die Staaten müssen gemeinsam ein globales, rechtsverbindliches Instrument zur Regulierung des Handels mit solchen Gütern entwickeln.»

Ein Rahmenwerk zur Beendigung des Handels mit Schmerz und Leid

Die Veröffentlichung des Berichts von Amnesty International und Omega kommt passend zu einem hochrangigen Treffen der Allianz zur Beendigung des Handels mit Folterwerkzeugen bei den Vereinten Nationen (Uno). Dieses Treffen ist Teil eines fortlaufenden Prozesses, in dem die 60 Mitgliedsstaaten der Allianz nach Wegen suchen, den weltweiten Handel mit Polizeiausrüstungsgegenständen zu regulieren.

Amnesty International und Omega haben ein Rahmenwerk zur Beendigung des Handels mit Folterwerkzeugen vorgelegt, um den Uno-Prozess zu unterstützen. Darin zeigen die beiden Organisationen der Staatengemeinschaft wesentliche Schritte auf, um den Handel mit Polizeiausrüstungsprodukten und Gütern zur Vollstreckung der Todesstrafe wirksam regulieren zu können.

In dem Rahmenwerk wird ein Verbot von Ausrüstungsgütern gefordert, deren Einsatz per se grausam und unmenschlich ist. Dazu zählen Schlagstöcke mit Stacheln, Elektroschockgürtel und schwere Fussfesseln. Ausserdem sollen für den Handel mit gängiger Polizeiausrüstung, wie Handschellen, Pfefferspray und Taser, strenge menschenrechtliche Kontrollen gelten. 

Der Bericht unterstreicht ausserdem die Notwendigkeit eines Handelsverbots für Ausrüstungsgegenstände zur Vollstreckung der Todesstrafe, wie Galgen oder elektrische Stühle. Auch Exportkontrollen für pharmazeutische Chemikalien mit doppeltem Verwendungszweck seien nötig, um deren Einsatz bei Hinrichtungen durch die «Giftspritze» zu verhindern.

«Wir konnten aufdecken, dass sowohl auf Handelsmessen als auch auf Firmenwebseiten für Ausrüstungsgüter geworben wird, die ausschliesslich der Misshandlung von Menschen dienen.» Dr. Michael Crowley, Research Associate,  Omega Forschungsstiftung

Dr. Michael Crowley, Research Associate bei der Omega Forschungsstiftung, berichtete: «Im Rahmen unserer Untersuchung konnten wir aufdecken, dass sowohl auf Handelsmessen als auch auf Firmenwebseiten für Ausrüstungsgüter geworben wird, die ausschliesslich der Misshandlung von Menschen dienen. Dazu zählen ferngesteuerte Elektroschockgeräte, die am Körper von Gefangenen angebracht werden, schwere Fußeisen oder Fesseln, die an Wänden festgeschraubt werden, Schlagstöcke mit Metallstacheln und Schutzschilde mit gezackten Rändern. Außerdem finden sich dort Elektroschockstöcke, -pistolen und -handschuhe und sogar Elektroschock-Greifer für die Polizei. Die Liste ist endlos.» 

«Die Staatengemeinschaft hat die Augen vor dem Handel mit ‚Folterwerkzeugen‘ zu lange verschlossen. So können Unternehmen auf der ganzen Welt von menschlichem Schmerz und Elend profitieren. Es liegt in der Verantwortung aller Staaten, sich entschlossen dafür einzusetzen, diesen Handel unter Kontrolle zu bringen. Unser Rahmenwerk zur Beendigung des Handels mit Folterwerkzeugen bietet ihnen eine stabile Grundlage, damit sie wirksame Massnahmen ergreifen können – angefangen bei der individuellen Festlegung nationaler Handelsbeschränkungen bis zur gemeinsamen Vereinbarung internationaler Standards im Rahmen des laufenden Uno-Prozesses.»

Mit Elektroschocks gefoltert 

Elektroschockgeräte sind ein weltweit verbreitetes Folterwerkzeug. Ein Beispiel in diesem Zusammenhang ist Javier Ordoñez, der am 9. September 2020 in der kolumbianischen Hauptstadt Bogotá von der Polizei angehalten wurde, weil er angeblich gegen die Covid-19-Beschränkungen verstossen hatte. Die Beamten drückten ihn zu Boden und verabreichten ihm etwa fünf Minuten lang mit einem Elektroschockgerät Schocks. Wenige Stunden später starb Javier Ordoñez im Spital an den Folgen seiner Verletzungen. 

In Saudi-Arabien gab ein äthiopischer Häftling Amnesty International gegenüber an, dass das Gefängnispersonal Elektroschockgeräte gegen ihn eingesetzt habe, nachdem er gegen die schlechte Gesundheitsversorgung protestiert hatte: 

«Wenn du dich beschwerst, setzen sie irgendein Gerät gegen dich ein und du fällst hin. Das ist wie ein elektrischer Schlag. Es hinterlässt einen roten Fleck auf der Haut ... Seitdem beschweren wir uns nicht mehr. Wir haben Angst, dass sie das elektrische Ding wieder auf unserem Rücken einsetzen. Also schweigen wir.»

Amnesty International und Omega fordern ein weltweites Verbot des Handels und der Anwendung bestimmter Elektroschockgeräte, die für die Strafverfolgung ungeeignet sind.

Amnesty International und Omega fordern ein weltweites Verbot des Handels und der Anwendung bestimmter Elektroschockgeräte, die für die Strafverfolgung ungeeignet sind. Dazu gehören am Körper getragene Geräte wie Elektroschockgürtel und -westen sowie Geräte mit direktem Kontakt wie Elektroschockstöcke und Greifvorrichtungen, die für den Polizeieinsatz bestimmt sind. Zwar können einige Elektroschockpistolen einem legitimen Strafverfolgungszweck dienen, doch muss der Handel mit diesen Waffen und ihr Einsatz streng kontrolliert werden.

Folter und Misshandlung auf der Strasse

Amnesty International zufolge setzen zahlreiche Polizeikräfte Ausrüstungsgegenstände und Waffen auch ausserhalb von Haftanstalten in einer Weise ein, die Folter oder anderen Misshandlungen gleichkommen könnte. 

So schiessen Polizistinnen und Polizisten immer wieder absichtlich mit Gummi- und Plastikgeschossen sowie anderen potenziell tödlichen Geschossen auf friedliche Demonstrierende, was schon häufig zu schweren Verletzungen bis hin zum Verlust des Augenlichts geführt hat. In die gleiche Kategorie fällt der grundlose und bestrafende Einsatz chemischer Reizstoffe wie Pfefferspray gegen Personen, die keine Bedrohung darstellen, sowie die Verwendung grosser Mengen von Tränengas in geschlossenen Räumen.

Amnesty International und Omega fordern die Staatengemeinschaft dazu auf, das von ihnen erstellte Rahmenwerk zur Beendigung des Handels mit Folterwerkzeugen zu nutzen. Es soll bei der Einführung neuer Vorschriften oder bei der Verstärkung bestehender nationaler Kontrollen für den Handel mit Gütern, die zur Vollstreckung der Todesstrafe oder bei Folter oder anderen Formen der Misshandlung eingesetzt werden, zur Orientierung dienen.

Die schärfere Kontrolle der Polizeiausrüstung sollte auch die individuelle Lizenzerteilung umfassen. Eine Risikoanalyse bezüglich des Missbrauchspotentials der Ausrüstung sollte der Lizenzerteilung vorausgegangen sein. 

Auch Unternehmen sind für die Einhaltung der Menschenrechte verantwortlich

«Handelskontrollen gehören zu den staatlichen Verpflichtungen – doch das bedeutet nicht, dass die Unternehmen ihrer Verantwortung in diesem schrecklichen Geschäft enthoben sind», sagte Patrick Wilcken.

«Unternehmen müssen ihrer Sorgfaltspflicht bezüglich der Einhaltung der Menschenrechte proaktiv nachkommen, um zu verhindern, dass ihre Produkte missbräuchlich eingesetzt werden. Diejenigen, die Güter herstellen, dafür werben oder damit handeln, deren Einsatz per se grausam und unmenschlich ist und die ausschliesslich für Folter, Misshandlung oder die Todesstrafe verwendet werden können, müssen diese Aktivitäten unverzüglich einstellen.»