«Von klein an lernen wir alle: 'Meh frogt zerscht bevor meh nimmt'. Sei das bei Pommes von einem anderen Teller oder wenn es darum geht einen Radiergummi kurz auszuleihen: Die Zustimmung des Gegenübers ist immer zentral. Es geht um ein respektvolles Miteinander und die Achtung der Gefühle von anderen.
Weshalb sollte es bei so etwas Intimen wie Sex anders sein? Eine sexuelle Handlung erdulden zu müssen, ohne dass dies gewollt ist, will wohl kein Mensch. Wohl auch diejenigen nicht, welche sich noch immer vehement gegen Zustimmung als Voraussetzung für sexuelle Handlungen wehren.
Es ist endlich an der Zeit ein Sexualstrafrecht zu schaffen, welches Sex ohne Zustimmung aller Beteiligten als das unter Strafe stellt was es ist: eine Vergewaltigung.
Es ist so wichtig, dass wir als Gesellschaft Verantwortung übernehmen und sexualisierter Gewalt konsequent den Riegel vorschieben. Deshalb möchte ich heute über Verantwortung reden. Zum einen über die Verantwortung der Gesellschaft als Ganzes und insbesondere der Politik. Beginnen möchte ich allerdings mit der Verantwortung, welche wir Männer tragen.
Verantwortung der Männer: «Silence is violence»
Warum finde ich es wichtig, die Verantwortungen von Männern explizit zu thematisieren? Nun: Wir leben in einer Gesellschaft, in der die allermeiste sexualisierte Gewalt von Männern ausgeht. Männer sind also diejenigen, die eine direkte Verbesserung erzielen, wenn sich ihr Verhalten ändert. Femizide und Vergewaltigungen sind dabei aber nur die traurige Spitze des Eisbergs. Das Problem geht viel, viel tiefer. Exemplarisch dafür stehen folgende repräsentativen Ergebnisse der kürzlich erschienen Umfrage vom GFS Bern im Auftrag Amnesty International:
- Mehr als ein Drittel der Männer deuten es als Einwilligung zu Sex, wenn die Person nachgibt, nachdem sie überredet wurde.
- Ebenfalls mehr als ein Drittel versteht es als Einwilligung, wenn die Person nicht Nein sagt.
- Und noch mehr Männer sehen es als Einwilligung zu Sex, wenn die Person aufreizend gekleidet ist und geflirtet hat.
- Bei den Frauen sind es jeweils deutlich weniger.
Das zeigt: Das Problem von sexualisierter Gewalt fängt bei unseren Einstellungen und Ansichten an. Wollen wir das Problem lösen, müssen wir auch diese angehen. Da Männer, wie eben dargelegt, die problematischsten Einstellungen hinsichtlich Sexualität haben, tragen wir Männer daher auch die grösste Verantwortung etwas daran zu verändern.
Wir sehen und hören Betroffene von sexualisierter Gewalt. Wir sehen und hören Organisationen, welche sich für Frauenrechte einsetzen. Wir sehen und hören Politikerinnen, welche sich für Gleichstellung engagieren. Aber wo sind die Männer?
Liebe Politiker, liebe Journalisten, liebe Männer: Zustimmung beim Sex ist nicht nur ein sogenanntes «Frauenthema». Gegenseitige Einwilligung beim Sex betrifft uns alle! Daher freut es mich, dass hier und heute auch Männer öffentlich klar Stellung beziehen.
Dank der GFS-Umfrage wissen wir übrigens, dass auch eine Mehrheit der Männer die Zustimmungslösung «Nur Ja heisst Ja» als die am besten geeignete Option sieht, um Betroffene von sexualisierter Gewalt zu schützen.
Daher appelliere ich an alle Männer: Redet mit euren Freunden, Arbeits- und- Vereinskollegen über Konsens beim Sex. Schreibt Beiträge zu dem Thema und teilt sie in den Sozialen Medien. Und: Setzt euch dafür ein, dass wir endlich ein konsensbasiertes Sexualstrafrecht haben!
Auch wenn wir Männer die grösste Verantwortung dafür haben, gilt das selbstverständlich nicht nur für Männer. Wir alle können dazu beitragen eine Gesellschaft zu schaffen, in der Einwilligung zu Sex genauso selbstverständlich ist, wie zu fragen, ob ein Radiergummi ausgelehnt werden kann.
Das wichtigste ist: Wir müssen uns aktiv für Konsens aussprechen. Passive Unterstützung ist ein guter Anfang, aber es ist enorm wichtig, dass wir durch unser aller Einsatz weiter aktiv Druck aufbauen und zeigen: Sex ohne Zustimmung ist eine Vergewaltigung.
Verantwortung der Gesellschaft und Politik: Konsenskultur statt Vergewaltigungskultur!
Es liegt aber nicht allein in der Verantwortung von uns Einzelnen eine Konsenskultur zu schaffen. Die Tatsache, dass die aller- allermeisten Frauen ein Erlebnis hatten, bei dem sie sich sexuell bedrängt wurden, zeigt: Sexualisierte Gewalt ist ein gesellschaftliches, ein strukturelles Problem.
Und gesellschaftliche Strukturen wie das Strafrecht festigen unser Handeln. Darum müssen wir jetzt veraltet gesellschaftliche Vorstellungen überwinden und neue zeitgemässe Strukturen etablieren. Dazu zählt ein Sexualstrafrecht, welches die sexuelle Selbstbestimmungin den Mittelpunkt jeder rechtlichen Beurteilung stellt.
Der «Nein heisst Nein»-Ansatz, welcher von Bundesrat und der Rechtskommission bevorzugt wird, ignoriert wichtige wissenschaftliche Erkenntnisse wie der Schockstarre; auch Freezing genannt. Diese tritt bei Betroffenen von sexualisierter Gewalt oftmals auf. «Gefreezten» Personen ist es nicht möglich, ein verbales oder non-verbales Nein zu kommunizieren. Einzig die «Ja heisst Ja»-Lösung wird dem Freezing gerecht.
Zudem wird mit dem «Nein heisst Nein»-Ansatz noch immer eine gewisse Mitverantwortung dem Opfer zugeschrieben. Aber; Stichwort Verantwortung: Die Verantwortung für eine Sexualdelikt liegt niemals beim Opfer! Nie! Nie! Nie! Das muss sich auch im Gesetz widerspiegeln.
Verantwortung übernehmen JETZT!
Um eine Konsenskultur zu verwirklichen, braucht es alle: Wir Männer müssen unsere besondere Verantwortung erkennen. Ganz im Sinne von «Silence is violence» stehen wir alle in der Verantwortung unsere Stimme zu erheben. Und nicht zuletzt steht die Politik in der Verantwortung endlich anzuerkennen, dass Sex NICHT etwas ist, was grundsätzlich zur Verfügung steht! Das ist ebenso eine Selbstverständlichkeit wie eine rechtliche Notwendigkeit.
Denn: Erst ein JA ist ein JA!
Daher: Unterschreibt die Petition für «Nur Ja heisst Ja», welche Operation Libero und Amnesty gemeinsam auf die Beine gestellt haben und inzwischen bereits von rund 30 zivilgesellschaftlichen Organisationen unterstützt wird. Sprecht mit Freund*innen und Arbeitskolleg*innen über Konsens. Und nutzen wir die Chance ein Sexualstrafrecht zu schaffen, welches der Realität von Betroffenen von sexualisierter Gewalt gerecht wird und die sexuelle Selbstbestimmung genügend schützt.
Vielen Dank für eure Aufmerksamkeit! Gebt zu euch und euren Mitmenschen acht, engagiert euch und behaltet die Hoffnung an das Gute!»