© Brigitte Lampert/ Katharina Hofer/ Anne Gabriel-Jürgens
© Brigitte Lampert/ Katharina Hofer/ Anne Gabriel-Jürgens

Amnesty-Ausstellung «Ich hatte keine Lust mehr, mich zu schämen»

Aufgezeichnet von Alea Rentmeister. Ausstellung «Uns reichts!», März 2022.
Jorinde, vergewaltigt im Sommer 2013.

Als ich das erste Mal Sexualität erlebte, erlebte ich Gewalt. Ich war 19 als ich bei einem Spaziergang im Wald oral vergewaltigt wurde. Ich bin mit dem Täter mitgegangen, weil ich ihm vertraut hatte. Er schien nett. Ich habe mich nicht körperlich gegen ihn gewehrt, so überrascht war ich. Die Option Nein zu sagen, gab es für mich nicht. Ich habe Jahre gebraucht, um die Tat als Vergewaltigung definieren zu können. Es gibt diese Vorstellung einer Vergewaltigung als Penis in Vagina, als roh und gewaltvoll, durch einen Fremden. Doch das ist nur ein Teil von sexualisierter Gewalt: Alles, was ohne deine Zustimmung erfolgt, ist Gewalt. Als ich das realisiert hatte, kam alles hoch, was ich bis dahin erfolgreich verdrängt hatte. Ich hatte plötzlich Flashbacks und körperliche Folgen der Traumatisierung.

Erst als die Erinnerungen an die Tat mich immer öfter heimsuchten, realisierte ich, dass ich etwas ändern musste. Ich begann, mich öffentlich zu positionieren. Ich habe nach Informationen gesucht und mehrere Projekte mit Betroffenen von sexualisierter Gewalt umgesetzt, unter anderem ein grösseres Filmprojekt. Ich habe dazu Interviews mit Betroffenen geführt und sehr viel dazu gelernt.

Das erste Mal, als ich überhaupt über die Tat gesprochen hatte, tat ich dies vor einem Publikum.Jorinde, von sexualisierter Gewalt Betroffene

Das erste Mal, als ich überhaupt über die Tat gesprochen hatte, tat ich dies vor einem Publikum. Ich hatte einen Text über meine Erlebnisse geschrieben, den ich an einem Slam-Poetry Anlass vortrug. Ich hatte keine Lust mehr, mich zurückzuziehen, zu schämen. Stattdessen suchte ich die Öffentlichkeit. Ich dachte, je stärker ich in die Öffentlichkeit trete, desto einfacher wird es. Das stimmt nicht unbedingt, denn durch Öffentlichkeit steigt der Druck. Gerade wenn es um öffentliche Debatten geht, sind es fast immer wir, die Betroffenen, die laut werden, kritisch sind und sich angreifbar machen. Das ist auf die Dauer sehr anstrengend.

Ich wünschte mir, es wäre nicht nötig, dass wir als betroffene Aktivist*innen immer und immer wieder unser Trauma erzählen müssen. Deshalb brauchen wir Menschen, die sich für unsere Anliegen stark machen, sich mit uns solidarisieren und sich aktiv gegen sexualisierte Gewalt einsetzen. Ausserdem müssen wir jungen Menschen frühzeitig beibringen, was Konsens bedeutet. Damit können wir sehr viel Gewalt und Traumatisierung präventiv verhindern.