Jede fünfte Frau in der Schweiz hat bereits sexualisierte Gewalt erlebt. Doch die realen sexualisierten Gewalterfahrungen haben oft nicht viel mit den gesellschaftlich dominanten Vorstellungen von Vergewaltigung zu tun: Roh, gewaltvoll, Penis in Vagina, durch einen Fremden.
In der neuen Ausstellung «Uns reichts!» von Amnesty International Schweiz brechen sieben Aktivist*innen mit den gesellschaftlichen Mythen, Tabus und Stigmata, die sich beim Thema Vergewaltigung hartnäckig in der Gesellschaft halten: «Es gibt starke gesellschaftliche Erwartungen, wie eine betroffene Person reagieren soll – vor, während und nach der Tat. In der Realität ist es oft ganz anders. Das muss die Gesellschaft verstehen», sagt die Aktivistin Cindy. Gemeinsam mit anderen von sexualisierter Gewalt Betroffenen und Amnesty International engagiert sie sich aktiv für sexuelle Selbstbestimmung und eine Reform des Schweizer Sexualstrafrechts: Denn dort gilt eine ungewollte Penetration nur dann als Vergewaltigung, wenn der Täter das Opfer noch zusätzlich genötigt hat, etwa durch Gewalt oder Drohungen. Tatsächlich müssen Täter in vielen Fällen aber keine Nötigung anwenden, weil sie den Schockzustand des Opfers ausnutzen.
Im Fokus der Ausstellung stehen nicht die Gewalttaten, sondern das, was danach passiert: Wie finden Betroffene nach einer Vergewaltigung zurück zur eigenen sexuellen Selbstbestimmung und zur eigenen Sexualität? Wie fühlt es sich an, nach der Tat nicht duschen zu können, sondern stundenlang auf einer Polizeiwache befragt zu werden? Warum entscheiden sich von sexualisierter Gewalt Betroffene dagegen, den Täter anzuzeigen? Wie fühlt es sich an, wenn Menschen aus dem eigenen Umfeld die Tat verharmlosen? Und inwiefern können wir als Gesellschaft uns für ihre Gerechtigkeit einsetzen?
Indem sie ihre Geschichten erzählen, befreien sich die Aktivist*innen von Scham und Schweigen. «Wir wollen aus erster Hand erzählen, was es bedeutet, wenn man sexualisierte Gewalt erlebt hat», sagt die Aktivistin Stephanie. Sie wollen mit ihren Geschichten anderen von sexualisierter Gewalt Betroffenen Mut machen und mit gängigen gesellschaftlichen Narrativen zu sexualisierter Gewalt aufräumen.