Fast 20 Gewerkschaften, Berufsverbände und NGO sowie mehr als 3000 Personen, darunter 1500 Gesundheitsfachkräfte fordern den Bundesrat dringend dazu auf, eine unabhängige Untersuchung zu den Auswirkungen der Covid-19-Pandemie auf das Gesundheitspersonal zu veranlassen. Die Forderung wurde heute von Amnesty International in einem offenen Brief überreicht.
Während die Zahl der Ansteckungen mit Covid-19 weiter steigt, fordern die Unterzeichnenden vom Bundesrat mehr Transparenz und eine echte Überwachung der Situation des Gesundheitspersonals in der Pandemie. Die Gewerkschaften Unia, VPOD und Syna, der Schweizerischer Hebammenverband wie auch Verbände der Pflegenden und der Assistenz- und Oberärztinnen und -ärzte gehören zu den Unterzeichnenden der Forderung.
Der offene Brief wurde von Amnesty International am 18. August 2020 lanciert und heute dem Bundesrat überreicht. Gefordert wird eine unabhängige Untersuchung der Auswirkungen der Krise auf die Beschäftigten im Gesundheitswesen und der Massnahmen, die zur Krisenbewältigung getroffen wurden. Angesichts der überdurchschnittlichen Vertretung von Frauen und Menschen ausländischer Herkunft in diesen Berufen fordert Amnesty zudem, dass eine geschlechts- und herkunftsbezogene Perspektive in die Analyse miteinbezogen wird.
In der Schweiz liegen bis heute keine genauen Daten über die Folgen der Pandemie für das Gesundheitspersonal vor.
Weltweit haben mindestens 7000 Gesundheitsangestellte den Kampf gegen das Virus mit ihrem Leben bezahlt. In der Schweiz liegen bis heute keine genauen Daten über die Folgen der Pandemie für diese Berufsgruppen vor. Es ist nicht bekannt, wie viele Gesundheitsangestellte sich mit dem Virus infiziert haben und wie viele daran gestorben sind. Obwohl derzeit eine Evaluation des Krisenmanagements von Covid-19 durch die Bundeskanzlei durchgeführt wird, plant der Bundesrat weder quantitative Erhebungen noch Befragungen des Gesundheitspersonals in diese Evaluation einzubeziehen.
«In diesem Frühjahr waren die Angehörigen der Gesundheitsberufe in allen Sektoren einem enormen physischen und psychischen Druck ausgesetzt. Sie wurden mit einem neuen Virus konfrontiert, dessen Folgen noch ungewiss sind, mit täglich wechselnden Zeitplänen, endlosen Wochen, unzureichender Schutzausrüstung und der Angst, geliebte Menschen anzustecken», sagt Béatriz Rosende von der Gewerkschaft VPOD. «Jetzt ist die zweite Welle angekommen und die Situation des Personals ist alarmierend – jedem und jeder droht die Erschöpfung. Der Auftrag zu einer unabhängigen Untersuchung ist ein wichtiger erster Schritt, um Licht in den Umgang der Regierung mit der Krise zu bringen und um Massnahmen festlegen zu können, die das Gesundheitspersonal in Zukunft besser vor dem Virus schützen können.»
«Der Bundesrat muss die Auswirkungen der Krise auf die Grundrechte der Menschen untersuchten, die in systemrelevanten Berufen arbeiten, und er muss die Massnahmen evaluieren, die zu ihrem Schutz getroffen wurden», sagt Pablo Cruchon, Kampagnenverantwortlicher bei Amnesty International Schweiz.
«Bislang ist keine vertiefte quantitative und qualitative Untersuchung der Auswirkungen von Covid-19 auf das Gesundheitspersonal geplant. Jetzt, da die Pandemie in ihre zweite Phase eintritt, muss der Bundesrat endlich gegen diesen eklatanten Mangel an Transparenz vorgehen und Instrumente zur Überwachung der physischen und psychischen Gesundheit der Angestellten an der Front schaffen.»
Protestwoche angekündigt
Am kommenden Montag beginnt eine Protestwoche des Pflegepersonals, die am Samstag, 31. Oktober 2020, mit einer Aktion auf dem Bundesplatz in Bern enden soll. «Applaus ist nicht genug. Das Pflegepersonal fordert konkrete Massnahmen, um die zweite Welle an Ansteckungen mit dem Coronavirus besser bewältigen zu können und eine qualitativ hochwertige Pflege in der Zukunft zu gewährleisten. Eine unabhängige Evaluation der Krise vom Frühjahr ist dringend nötig, damit wir über solide Daten verfügen, auf denen wir aufbauen können», betont Yvonne Ribi, Geschäftsführerin des Berufsverbands Pflegefachfrauen und Pflegefachmänner (SBK).
«Applaus ist nicht genug. Das Pflegepersonal fordert konkrete Massnahmen, um die zweite Welle an Ansteckungen mit dem Coronavirus besser bewältigen zu können.» Yvonne Ribi, Geschäftsführerin des Berufsverbands Pflegefachfrauen und Pflegefachmänner (SBK)
«Darüber hinaus müssen die Arbeitsbedingungen aller im Gesundheitswesen Beschäftigten – und nicht nur der Spitalmitarbeitenden – analysiert werden. So war beispielsweise die Situation in Pflegeeinrichtungen besonders schwierig. Diese Studie muss Licht in diese unterschiedlichen Realitäten zu bringen», sagt Samuel Burri von der Gewerkschaft Unia: «Die Pflegenden in den Heimen waren einem enormen Risiko ausgesetzt, weil nicht genügend Schutzmaterial vorhanden war. Wir müssen wissen, wie sich das auf die Ansteckungen ausgewirkt hat und wir wollen wissen, weshalb schweizweit die Heime nur ungenügend ausgestattet waren. Solche Katastrophen auf dem Buckel von Personal und Bewohner*innen dürfen zukünftig nicht mehr vorkommen.»
Amnesty-Kampagne für das Gesundheitspersonal
Amnesty International engagiert sich in einer im August 2020 lancierten Kampagne für einen besseren Schutz der Rechte des Gesundheitspersonals. Die Menschenrechtsorganisation unterstützt Gesundheitsangestellte in ihren Forderungen für bessere Arbeitsbedingungen, damit sie ihre Arbeit in Sicherheit und Würde ausführen können. Neben dem offenen Brief an den Bundesrat hat Amnesty das Manifest «Unsere Gesundheit, ihre Rechte» veröffentlicht, mit dem Personen ihre Solidarität mit Beschäftigten im Schweizer Gesundheitswesen ausdrücken können. Dieses Manifest wird am Samstag, 31. Oktober 2020, anlässlich des Abschlusses der Protestwoche in Bern überreicht.