Leider nein. Wenn es um Fortschritte bei der Gleichstellung von Frauen und Männern geht, hat die Schweiz im Vergleich zu anderen westlichen Ländern Nachholbedarf: Frauen sind in der Politik unterrepräsentiert und haben weniger gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Gemäss dem jährlichen Bericht des World Economic Forums (WEF) von 2017 ist die Schweiz in den vergangenen zehn Jahren sogar um zehn Plätze zurückgefallen und liegt nun weltweit nur noch an 21. Stelle.
Die Schweiz hinkt hinterher
Woran liegt das? Ein Grund ist sicherlich, dass Frauen in der Schweiz das Wahlrecht erst so spät erhalten haben. In Deutschland, aber vor allem auch in den skandinavischen Ländern, können Frauen seit über einem Jahrhundert wählen. Die Schweizerinnen sind erst seit rund 50 Jahren als vollwertige Bürgerinnen anerkannt, in einigen Kantonen erhielten sie ihre Bürgerrechte sogar noch später. Die meisten anderen europäischen Länder haben auch deutlich schneller als die Schweiz die Möglichkeit eines Schwangerschaftsabbruchs legalisiert, Mutterschaftsurlaub oder gar Elternzeit eingeführt und Vergewaltigung sowie sexuelle Belästigung unter Strafe gestellt. Alle diese Gesetze fördern die Gleichberechtigung von Frauen. Vor allem aber haben diese Staaten konkrete Massnahmen ergriffen, um die Präsenz von Frauen in verantwortlichen Positionen in Politik und Wirtschaft zu erhöhen. Die Frauenquote für Kandidaturen innerhalb der politischen Parteien hat den Frauenanteil in vielen europäischen Parlamenten verbessert. Mit Blick auf die Wirtschaft war Norwegen Vorreiter; dieses Land hat bereits 2003 eine Frauenquote von 40 Prozent für die Vorstände aller öffentlichen Unternehmen festgelegt.
Auch hier hinkt die Schweiz hinterher. Mit der Ratifizierung der UNO-Konvention zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau hatte sich die Schweiz verpflichtet, eine Politik zu verfolgen, welche die Diskriminierung von Frauen beendet.
Dies können auch zeitlich befristete Sondermassnahmen zur Beschleunigung der Gleichstellung sein, wie z. B. Quotenregelungen. Letztere haben in der Schweiz allerdings immer noch einen schweren Stand. Doch immerhin sieht der Nationalrat in der Revision des Aktienrechts nun Frauenquoten für börsennotierte Unternehmen vor: mindestens 30 Prozent in Verwaltungsräten und 20 Prozent in der Unternehmensleitung.
Weiterhin Handlungsbedarf
Die Bundesverfassung sagt klar: »Mann und Frau haben Anspruch auf gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit«, so Artikel 8. Dennoch sind die Löhne der Frauen im Durchschnitt fast 20 Prozent tiefer als die der Männer. Das mag daran liegen, dass Frauen häufig Teilzeit arbeiten und vielleicht auch deshalb weniger verantwortungsvolle Posten innehaben. Aber das sind leere Rechtfertigungen. Für ein Lohngefälle von sieben Prozent finden sich keine objektiven Gründe. Auch hier weigert sich das Parlament, die Unternehmen zur Bekämpfung von Lohnunterschieden zu verpflichten, und setzt lieber auf freiwillige Massnahmen. Mehr als 20 Jahre nach Inkrafttreten des Gleichstellungsgesetzes von 1996 reicht es aber nicht mehr, auf Selbstregulierung zu setzen.
Grosser Handlungsbedarf besteht nach wie vor bei der tatsächlichen Gleichstellung im Alltag. Stereotype Rollenvorstellungen weichen sich nur langsam auf, so leisten Frauen beispielsweise weiterhin den grössten Teil der unbezahlten Arbeit in Haushalt und Familie. Auch ist das Armutsrisiko für Frauen weitaus höher als für Männer.
Mit der 2017 erfolgten Ratifizierung der Istanbul-Konvention zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt von 2011 hat sich die Schweiz verpflichtet, umfassende Massnahmen gegen geschlechtsspezifische und häusliche Gewalt und für die Gleichstellung der Geschlechter umzusetzen. Doch noch ist der Schutz vor Gewalt unzureichend. Mancherorts sind Errungenschaften wie Frauenhäuser, Beratungsstellen und Gleichstellungsbüros durch Sparmassnahmen auf kantonaler und lokaler Ebene auch wieder gefährdet – häufig mit dem Argument, sie seien nicht mehr nötig.
Der jahrzehntelange Kampf und viel Geduld haben die Achtung der Frauenrechte in der Schweiz vorangebracht. Die Hinterfragung des Rechts auf Schwangerschaftsabbruch, die Verzögerung von Massnahmen zur Lohngleichheit oder die Enthüllungen über das Ausmass von sexueller Belästigung zeigen aber, dass der Kampf um die Rechte der Frauen noch lange nicht beendet ist.