In einer Serie von gewalttätigen Anschlägen durch islamistische Gruppen wurden seit Januar 2015 in europäischen Städten Hunderte von Menschen getötet oder verletzt. Diese Verbrechen zielen nicht nur auf einzelne Personen, sie richten sich auch gegen die ganze Gesellschaft, gegen unsere Freiheiten und Rechte. Es ist die Pflicht des Staates, die Bevölkerung vor Gewalt zu schützen. Zugleich ist es seine Aufgabe, die individuellen Freiheiten und Rechte zu bewahren.
Nach diesen Anschlägen kam es quer durch Europa zu einer politischen Wende. Im Eiltempo wurde eine Flut von neuen Gesetzen verabschiedet, die Grundrechte untergraben und sich diskriminierend gegen Minderheiten auswirken.
Aufrüstung in der Schweiz
Obwohl die Schweiz bisher von Anschlägen verschont geblieben ist, zeichnet sich eine ähnliche Wende auch hier ab. In kurzer Zeit wurden vier Gesetzes- und Massnahmenpakete aufgegleist – mit problematischen Entwicklungen in verschiedenen Bereichen.
Eine massive Ausweitung der Überwachung ermöglicht das seit September 2017 geltende Nachrichtendienstgesetz. Dem Nachrichtendienst des Bundes, der bis dahin nur offene Quellen auswerten durfte, steht jetzt das ganze Arsenal von Überwachungsmöglichkeiten zur Verfügung: Telefongespräche abhören, Privaträume verwanzen, in Computer eindringen; der Geheimdienst kann auf die Vorratsdaten zugreifen, die von uns allen gespeichert werden; er darf Internetkabel anzapfen und die gesamte Kommunikation durchsuchen. Insbesondere die Vorratsdatenspeicherung und die Kabelaufklärung sind Formen der verdachtsunabhängigen Massenüberwachung, die frontal mit dem Recht auf Privatsphäre kollidieren. Ein solcher Ausbau der Überwachung wäre ohne den Verweis auf die Terrorgefahr undenkbar gewesen.
Ein zweiter Bereich ist die Ausweitung der Terror-Straftatbestände, die oft auf vagen Definitionen beruhen, aber schwere Konsequenzen nach sich ziehen. Das Problem besteht darin, dass es keine völkerrechtlich anerkannte Definition von Terrorismus gibt; die «Terroristen» der einen sind die «Freiheitskämpfer» der anderen. In das neue Antiterror-Strafrecht soll nun mittels einer unscharfen Umschreibung ein Verbot von «terroristischen Organisationen» und deren Unterstützung aufgenommen werden. Zudem soll nicht mehr eine politische Behörde darüber entscheiden, ob eine Organisation als terroristisch gilt oder nicht, sondern ein Gericht. Dadurch wird das Legalitätsprinzip verletzt: Dieses verlangt, dass das Strafrecht möglichst präzise sein muss, um sicherzustellen, dass jeder weiss, was eine Straftat ist und welche Folgen ihre Begehung hat.
Vorsorgliche Verfolgung
Eine weitere Entwicklung ist die Ausweitung der Strafverfolgung im präventiven Bereich, also bevor eine Tat überhaupt begangen wird. Mit dem neuen Antiterror-Strafrecht soll beispielsweise die Organisation einer Reise im Hinblick auf eine terroristische Straftat verboten werden. Das klingt vernünftig, wird in der Praxis aber schnell spekulativ. Denn dieses Delikt ist vom eigentlichen Terrorakt (z.B. einem Anschlag in Syrien) ja noch mehrere Schritte entfernt. Bestraft werden nicht mehr bloss begangene Delikte, sondern immer weiter vorgelagerte Vorbereitungstaten.
Noch tiefer in den präventiven Bereich vorstossen will das Gesetz über Polizeimassnahmen gegen Terrorismus, das sich gegen sogenannte Gefährder richtet: Personen, die sich weder einer Straftat schuldig gemacht haben noch einer solchen verdächtigt werden. Im Gesetz werden sie als »potenziell gefährliche Personen« definiert. Eine problematische Definition, denn potenziell gefährlich sind alle Menschen. Der Begriff dient dazu, die präventive Gefahrenabwehr auf Kosten der Grundrechte nochmals erheblich zu erweitern.
Bekämpfung von Gedanken
Neben der Polizei, Justiz und dem Geheimdienst sollen nun auch Behörden wie soziale Dienste und die Zivilgesellschaft in die Terrorbekämpfung eingebunden werden. Dieses Vorhaben wurde im Dezember 2017 im Nationalen Aktionsplan gegen Radikalisierung und Extremismus verabschiedet. Problematischer als die einzelnen Massnahmen ist der Fokus auf die «Verhinderung von extremistischem Gedankengut».
Mit diesem Ziel nähert sich die Terrorbekämpfung ihren Gegnern, den «Glaubenskriegern», an: Man bekämpft das Gedankengut der anderen Seite. Wer gegen bestimmte Ideen oder Glaubensinhalte mobilisiert, läuft auch Gefahr, populistische Ressentiments zu verstärken: die Angst vor einer «Islamisierung Europas» oder das Feindbild des «kriminellen Ausländers». Aus legitimen Sicherheitsbedürfnissen wird zunehmend ein Sicherheitswahn, der Fronten und Feindbilder fördert und zugleich unsere Freiheiten und Rechte über Bord wirft, die man ja eigentlich mit der Terrorbekämpfung verteidigen wollte.