Anfang April 2018 in der peruanischen Provinz Espinar: Mit Baggern rücken rund 40 Polizisten und Minenarbeiter gegen indigene Bauern und Bäuerinnen vor, die sich trotz Drohungen weigern, ihren Grund und Boden zu verlassen. Sie sollen dem Ausbau der Mine weichen, die einem Rohstoffkonzern mit Sitz in der Schweiz gehört. Die Häuser der Protestierenden werden bei dieser Aktion zerstört, es gibt Verletzte. Eine Entwicklungsorganisation kann das gewaltsame und völkerrechtswidrige Vorgehen der Sicherheitskräfte dokumentieren und veröffentlichen. Corporate Social Responsibility (CSR), auf Deutsch Soziale Unternehmensverantwortung, ist im Trend. Es gibt kaum ein Unternehmen, das heute nicht eine CSR-Abteilung hat. Soziale und ökologische Verantwortung, das klingt nicht nur gut, das lässt sich auch in der Werbung einsetzen. Trotzdem gibt es regelmä ssig Berichte über Zwangsvertreibungen, Kinder- und Zwangsarbeit, verschmutzte Gewässer, gerodete Regenwälder oder gar über bedrohte und ermordete Umwelt- und Menschenrechtsaktivistinnen und -aktivisten. Zumindest in Europa bestünde eigentlich ein gesellschaftlicher Konsens, dass Firmen auch im Ausland Verantwortung zeigen und für den entstandenen Schaden geradestehen müssen. Warum handeln viele Unternehmen, auch mit Sitz in der Schweiz, nicht nach dieser Maxime?
Fehlverhalten wird angeprangert
Mit der beschleunigten Globalisierung Ende der Achtzigerjahre gewannen multinationale Unternehmen weltweit an Macht und Einfluss. Die Notwendigkeit armer Länder, ausländische Gro ssinvestitionen anzulocken, führte dazu, dass fast alles getan wurde, um sie ins Land zu holen. Denn das bedeutete Aufträge, Geld und Arbeitsplätze. Besitzverhältnisse, Arbeitsbedingungen, Umweltschutz – alles Themen, die dabei keine Priorität hatten. Parallel zu dieser Entwicklung begannen deshalb Menschenrechts- und Umweltorganisationen sich dafür einzusetzen, dass Konzerne und Unternehmen weltweit zu mehr Verantwortung verpflichtet werden. So erarbeitete Amnesty International 1998 erstmals Grundsätze für Unternehmen zur Achtung der Menschenrechte, basierend auf der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, nach der auch Wirtschaftsunternehmen zur Förderung und zum Schutz der Menschenrechte beitragen sollen. Aus lokalen und nationalen Initiativen wurden internationale Netzwerke. Organisationen und Medien prangerten Fehlverhalten von Konzernen konsequent an. Zum Beispiel die Verschmutzung des Nigerdeltas durch den Ölmulti Shell Anfang der Neunzigerjahre. Diese führte dazu, dass Hundertausende Menschen krank wurden und viele ihre Lebensgrundlage verloren. Neun einheimische Aktivisten wurden wegen ihres Protests von der nigerianischen Regierung hingerichtet – ohne dass Shell intervenierte.
Die Grenzen der Freiwilligkeit
Nach jahrzehntelanger Aufklärungs- und Lobbyarbeit von Menschenrechts- und Umweltorganisationen verabschiedete der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen schliesslich 2011 die UNO-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte. Diese vom UNO-Sonderbeauftragten John Ruggie entwickelten Prinzipien beruhen auf drei Säulen: der Pflicht der Staaten, die Menschenrechte zu schützen, der Pflicht der Unternehmen, die Menschenrechte zu respektieren, und dem Recht auf Wiedergutmachung für Opfer von Menschenrechtsverletzungen durch wirtschaftliche Akteure. Damit wurde erstmals festgelegt, dass der Schutz der Menschenrechte in alle Geschäftsabläufe eines Unternehmens integriert werden muss. Dennoch fehlt vielen Regierungen nach wie vor der politische Wille, entsprechende Gesetze zu erlassen. Freiwillige Vereinbarungen haben aber einen Haken: Sie sind nicht verbindlich, auch fehlt oft eine unabhängige Instanz, um ihre Einhaltung zu überprüfen. Verstösse werden nicht geahndet und können von den Betroffenen nicht eingeklagt werden.
Der Wind dreht sich
Inzwischen gibt es einen internationalen Trend zu verbindlichen Regeln: Frankreich hat kürzlich ein umfassendes Gesetz zur Sorgfaltsprüfung und Haftung erlassen. In Deutschland muss bis 2020 die Hälfte aller Konzerne entsprechende Massnahmen getroffen haben, sonst reguliert der Staat. In der Europäischen Union, Kanada und den USA gibt es für Teilbereiche wie Kinderarbeit oder Konflikt-Rohstoffe einzelne Gesetze. Der Schweiz kommt in der Diskussion um Wirtschaft und Menschenrechte schon immer eine zentrale Rolle zu, weil sie die höchste Dichte international tätiger Unternehmen pro Kopf zählt. Tiefe Steuern, Stabilität und andere Vorzüge machen das Land für internationale Unternehmen interessant. Bislang setzt die Schweizer Regierung auf freiwillige Selbstkontrolle. 2015 haben deshalb über hundert Organisationen die Konzernverantwortungs-Initiative lanciert, um in der Schweiz ansässige Unternehmen rechtlich zu verpflichten, Menschenrechte und Umweltstandards weltweit zu achten. Der Wind scheint sich also zu drehen zugunsten derer, die bislang wenig gegen die Verletzung ihrer Rechte unternehmen konnten.