Auch die Schweiz könnte mutmassliche Kriegsverbrecher (im Bild Omar al-Bashir und Kony) auf ihrem Territorium verfolgen – dank universeller Gerichtsbarkeit.  © APGraphicsBank
Auch die Schweiz könnte mutmassliche Kriegsverbrecher (im Bild Omar al-Bashir und Kony) auf ihrem Territorium verfolgen – dank universeller Gerichtsbarkeit. © APGraphicsBank

Weltrechtsprinzip Universelle Zuständigkeit für Kriegsverbrechen - auch in der Schweiz

Straflosigkeit ist eines der grössten Hindernisse für die Durchsetzung der Menschenrechte. Um sie wirkungsvoll und auch grenzüberschreitend zu bekämpfen, hat die Völkergemeinschaft das Prinzip der universellen Zuständigkeit geschaffen.

Für die Verfolgung von Straftaten ist normalerweise derjenige Staat zuständig, auf dessen Territorium die Tat begangen wurde, oder dessen Staatsangehörigkeit der Täter und/oder das Opfer besitzt. Doch für ganz schwere Menschenrechtsverletzungen wie Völkermord, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, deren Urheber sich zudem einer Strafe oft durch Flucht ins Ausland entziehen, hat die Völkergemeinschaft ein Instrument geschaffen, das diese Zuständigkeit erweitert: Das Prinzip der universellen Gerichtsbarkeit, auch als Weltrechtsprinzip oder «universelle Zuständigkeit» bezeichnet. Auf dessen Grundlage können schwere Menschenrechtsverbrechen rund um den Globus verfolgt werden, unabhängig davon, auf wessen Territorium die Taten begangen wurden und welche Staatsangehörigkeit die Täter oder die Opfer besitzen. 

Internationale Straftaten vor nationalen Gerichten

Die Verhaftung des chilenischen Ex-Diktators Pinochet 1998 in Grossbritannien, die Verurteilung des ruandischen Kriegsverbrechers Simbikangwa 2014 in Frankreich, die Eröffnung des Prozesses gegen den früheren Präsidenten von Tschad Hissène Habré in Sénégal im Juni 2015: Das sind Beispiele für die Anwendung der universellen Gerichtsbarkeit. Angesichts des  spezifischen Charakters und der Komplexität solcher Fälle braucht es allerdings spezialisierte Stellen, um wirkungsvoll vorgehen zu können, etwa bei den Untersuchungsbehörden, der Polizei, den Gerichten wie auch den Einwanderungsbehörden.

Die Schweiz und das Weltrechtsprinzip

Auch die Schweiz hat die Möglichkeit, auf ihrem Territorium mutmassliche Kriegsverbrecher zu verfolgen. Seit 2011 verfügt sie sogar über spezifische gesetzliche Grundlagen hierfür. An den nötigen Ressourcen für eine effektive Strafverfolgung gemäss der universellen Zuständigkeit mangelt es jedoch noch: Gegenwärtig ist lediglich ein einziger Staatsanwalt mit der Verfolgung internationaler Strafverbrechen beauftragt, und auch dies nur teilzeitlich. Kein einziger Polizeibeamter und niemand bei den Einwanderungsbehörden hat einen entsprechenden Spezialauftrag. Dazu kommt, dass das Kompetenzzentrum Völkerstrafrecht bei der Bundesanwaltschaft inzwischen in das Kompetenzzentrum für Terrorismus integriert wurde, womit die Gefahr besteht, dass die Bekämpfung der Straflosigkeit hinter der Bekämpfung des Terrorismus depriorisiert wird.

Ein Handbuch für die Praxis

Was bedeutet das Prinzip der universellen Zuständigkeit in der Praxis? Wie wird es gegenwärtig in verschiedenen Ländern angewendet, und welche Möglichkeiten hat die Schweiz, Kriegsverbrecher und andere Urheber schlimmster Menschenrechtsverletzungen nach dem Weltrechtsprinzip zu verfolgen?

Antworten auf diese Fragen gibt ein neues Handbuch der Organisation TRIAL, einer Partnerorganisation von Amnesty International, das am 12. Oktober 2015 in Genf veröffentlicht wurde: «La lutte contre l'impunité en droit suisse: la compétence universelle et les crimes internationaux». Darin beleuchten erfahrende Juristinnen und Juristen rechtliche und praktische Aspekte rund um die Strafverfolgung von Kriegsverbrechern auf Schweizer Boden.