1. Wer sind diese MenschenrechtsverteidigerInnen und was machen sie?
2. Warum braucht es dringend eine Kampagne für MenschenrechtsverteidigerInnen?
3. Was soll mit der BRAVE-Kampagne erreicht werden?
4. Wer sind die FrauenrechtsverteidigerInnen und was machen sie?
9. Welche Ziele verfolgt die BRAVE-Kampagne?
MenschenrechtsverteidigerInnen setzen sich alleine oder zusammen mit anderen auf lokaler, regionaler, nationaler oder internationaler Ebene für die Verteidigung und Förderung der Menschenrechte ein. MenschenrechtsverteidigerInnen kommen aus allen Gesellschaftsschichten und gehen den verschiedensten Tätigkeiten nach, zum Beispiel als JournalistInnen, AnwältInnen, Gesundheitsfachleute, Lehrpersonen, GewerkschafterInnen, Whistleblower oder LandwirtInnen. Manche sind selber Opfer von Menschenrechtsverletzungen, andere sind Verwandte von Opfern. Für einige gehört die Menschenrechtsarbeit zum Beruf, für andere basiert sie auf einem freiwilligen oder ehrenamtlichen Engagement.
- Warum braucht es dringend eine Kampagne für MenschenrechtsverteidigerInnen?
Wir leben in einer Zeit der Angst, der Teilung und der Verteufelung. Überall auf der Welt werden Geschichten erzählt, deren «Wir-gegen-sie»-Tenor die Gesellschaft vergiftet und die genutzt werden, um ganzen Gruppen die Schuld an sozialen und politischen Missständen zuzuschieben. In diesem Kontext beobachten wir derzeit einen Frontalangriff durch Regierungen, bewaffnete Gruppen, Unternehmen und andere auf das Recht, sich für die Menschenrechte einzusetzen. Im Jahr 2016 wurden in mindestens 22 Ländern Menschen getötet, weil sie sich friedlich für die Menschenrechte engagiert hatten. In mehr als 63 Ländern wurden Hetzkampagnen gegen MenschenrechtsverteidigerInnen geführt. In mehr als 68 Ländern wurden sie allein wegen ihres friedlichen Einsatzes festgenommen und inhaftiert und in über 94 Ländern wurden MenschenrechtsverteidigerInnen bedroht oder angegriffen. Auf der ganzen Welt werden MenschenrechtsverteidigerInnen als kriminell, als unerwünscht oder als «VerteidigerInnen von Dämonen» bezeichnet. Sie werden «ausländische AgentInnen», «nationalfeindlich» und «TerroristInnen» genannt und als Bedrohung für die Sicherheit, die Entwicklung und die traditionellen Werte dargestellt. Vor diesem Hintergrund lanciert Amnesty International die globale Kampagne «BRAVE – Mutig für die Menschenrechte», die dazu aufruft, die MenschenrechtsverteidigerInnen anzuerkennen, sie zu schützen und darauf zu achten, dass sie ihre Arbeit in einem sicheren und förderlichen Umfeld ausüben können.
Trotz der weltweiten Menschenrechtsverletzungen und der Angriffe auf MenschenrechtsverteidigerInnen gibt es nach wie vor Menschen, die es wagen, sich mit mutigen und motivierenden Aktionen gegen Unrecht und gegen falsche Sicherheitsversprechen zu wehren. Und diese Menschen braucht es heute mehr denn je. Wir alle haben die Möglichkeit, uns gegen Geschichten zu wehren, die unsere Gesellschaft vergiften und gegen Unrecht zu kämpfen. Aus diesem Grund rufen wir jede und jeden auf, die Mutigen zu unterstützen, sich ihnen anzuschliessen, sie zu schützen und zu verteidigen – und selber mutig zu handeln. Wir wollen der Welt zeigen, dass die Verteidigung der Menschenrechte für uns alle entscheidend ist, wenn wir in einer freien und gerechten Welt leben wollen, in der alle gleich sind.
Durch eine Konsensentscheidung verabschiedete die internationale Gemeinschaft 1998 die Erklärung der Vereinten Nationen zum Schutz der MenschenrechtsverteidigerInnen und verpflichtete sich, sicherzustellen, dass MenschenrechtsverteidigerInnen als zentrale Akteure für die Förderung und Achtung der Menschenrechte anerkannt werden. Die Erklärung hält klar fest, dass MenschenrechtsverteidigerInnen speziell geschützt werden sollen, damit sie ihre Arbeit ohne Angst vor Angriffen ausführen können. Zwanzig Jahre später sind es weltweit leider nur sehr wenige Staaten, die den Inhalt dieser Erklärung, zu der sie sich 1998 bekannt hatten, umgesetzt haben.
Die BRAVE-Kampagne soll das ändern. Wir wollen Druck auf EntscheidungsträgerInnen ausüben, damit sie die MenschenrechtsverteidigerInnen anerkennen und schützen. Handlungsbedarf besteht in vielen Staaten weltweit; sie müssen die MenschenrechtsverteidigerInnen öffentlich als Schlüsselakteure für die Veränderung anerkennen, Schutzmechanismen für bedrohte MenschenrechtsverteidigerInnen ergreifen und umsetzen und der Kultur der Straflosigkeit, in deren Schutz staatliche und nichtstaatliche Akteure MenschenrechtsverteidigerInnen angreifen, einschüchtern und schikanieren, ein Ende setzen.
FrauenrechtsverteidigerInnen können sowohl Frauen sein, die sich für alle Menschenrechte oder speziell für Frauenrechte einsetzen wie auch Männer, die sich für die Rechte der Frauen oder für verschiedene geschlechtsspezifische Fragen engagieren. Zu den FrauenrechtsverteidigerInnen gehören zum Beispiel MenschenrechtsverteidigerInnen, die sich für die Geschlechtergleichstellung oder für die Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transgender und Intersexuellen (LGBTI) stark machen.
- Wer sind die jungen MenschenrechtsverteidigerInnen und was machen sie? Warum ist es wichtig, dass Amnesty International mit ihnen zusammenarbeitet?
Auch die jungen MenschenrechtsverteidigerInnen setzen sich für den Schutz der Menschenrechte ein.
Junge Menschen unter 25 Jahren machen weltweit 42 Prozent der Bevölkerung aus. Der aktuelle Trend deutet darauf hin, dass immer mehr junge Männer und Frauen Führungsrollen in ihren Gemeinschaften übernehmen, zum Teil auch weil ältere Führungspersonen konstant angegriffen oder kriminalisiert werden. Ein typisches Beispiel ist Berta Zúñiga Cáceres, die eine wichtige Rolle in ihrer Gemeinschaft übernommen hat, nachdem ihre Mutter Berta Cáceres letztes Jahr getötet wurde. Berta Cáceres hatte sich in Honduras viele Jahre für umweltbezogene Menschenrechte eingesetzt.
Damit die Anliegen der jungen MenschenrechtsverteidigerInnen in die BRAVE-Kampagne aufgenommen werden können, ist es wichtig, dass Amnesty International mit diesen jungen Leuten zusammenarbeitet, sie einbindet und ihre Anliegen von Anfang an in der Kampagnenstrategie berücksichtigt.
- Wie ist mit dem «Shrinking Space» in den Zivilgesellschaften gemeint? Wir leben doch in einem freien Land mit freier Presse und freier Meinungsäusserung. Ich glaube nicht, dass der Raum in Europa oder in der westlichen Welt kleiner wird.
Überall auf der Welt, in demokratischen und nichtdemokratischen Ländern, wird die Menschenrechtsarbeit für zivilgesellschaftliche Organisationen und MenschenrechtsverteidigerInnen zunehmend gefährlich. MenschenrechtsverteidigerInnen und das gesellschaftliche Umfeld, in dem sie arbeiten, werden zur Zielscheibe von Angriffen, statt dass sie, wie es die Uno-Erklärung verlangt, unterstützt und geschützt werden. Regierungen, bewaffnete Gruppen, Unternehmen und andere mächtige Organisationen, die glauben, ihre Interessen würden durch die Menschenrechte bedroht, setzen vielfältige Taktiken und Instrumente ein, um MenschenrechtsverteidigerInnen zu unterdrücken und zum Schweigen zu bringen.
Der Bericht von Amnesty International «Human rights defenders under attack – a shrinking space for civil society» zeigt das Ausmass der weltweit eingesetzten Massnahmen, mit denen MenschenrechtsverteidigerInnen zum Schweigen gebracht und der Spielraum für ihre Arbeit eingeschränkt werden soll. Diese Massnahmen reichen von persönlichen Angriffen wie Drohungen, Schlägen oder sogar Tötungen über Gesetze, mit denen Menschenrechtsaktivitäten kriminalisiert werden bis hin zu Überwachungsmassnahmen und Angriffen auf die Kommunikationsmittel der MenschenrechtsverteidigerInnen und auf ihre Rechte auf friedliche Versammlung und Vereinigung sowie Einschränkungen ihrer Bewegungsfreiheit. Hetzkampagnen und Stigmatisierung sind wichtige Mittel, um die MenschenrechtsverteidigerInnen und ihre Arbeit zu delegitimieren. Der Bericht unterstreicht zudem die zusätzliche und erhöhte Gewalt gegenüber FrauenrechtsverteidigerInnen, darunter sexuelle Gewalt, Drohungen und Belästigungen sowie Diffamierungskampagnen aufgrund ihres Geschlechts.
Beispiele: Dem Whistleblower Edward Snowden droht in den USA eine 30-jährige Gefängnisstrafe für das Aufdecken von Informationen, die von grösstem öffentlichen Interesse sind. Im Jahr 2016 führte Grossbritannien eines der strengsten Überwachungsgesetze in Westeuropa ein. Der britische Investigatory Powers Act gibt der Regierung neue, weitreichende Befugnisse, darunter die Möglichkeit, Browsing-Daten von allen EinwohnerInnen im Land zu sammeln.
- Was ist die Uno-Erklärung zum Schutz der MenschenrechtsverteidigerInnen? Warum brauchen wir diese Erklärung?
Vor fast zwanzig Jahren, 1998, bestätigte die Uno-Generalversammlung erneut die Freiheits- und Gerechtigkeitsgrundsätze und zwar mit der durch Konsens angenommenen Uno-Erklärung über das Recht und die Verpflichtung von Einzelpersonen, Gruppen und Organen der Gesellschaft, die allgemein anerkannten Menschenrechte und Grundfreiheiten zu fördern und zu schützen – gemeinhin bekannt als Uno-Erklärung zum Schutz der MenschenrechtsverteidigerInnen.
Diese Erklärung anerkennt die Wichtigkeit der zivilgesellschaftlichen Akteure bei der Verteidigung der Richtlinien zur Unterstützung der Menschenrechte. Von entscheidender Bedeutung ist, dass den Staaten die Verantwortung zukommt, dafür zu sorgen, dass alle Bestimmungen umgesetzt und respektiert werden, insbesondere die Pflicht, MenschenrechtsverteidigerInnen vor Schaden und Leid als Folge ihrer Menschenrechtsarbeit zu schützen.
- Wie können Regierungen und EntscheidungsträgerInnen die MenschenrechtsverteidigerInnen besser unterstützen?
Regierungen und EntscheidungsträgerInnen können MenschenrechtsverteidigerInnen folgendermassen unterstützen:
(i) Indem sie die Legitimität der MenschenrechtsverteidigerInnen anerkennen und deren Arbeit und Beitrag für freie, gerechte und gleiche Gemeinschaften und Gesellschaften überall auf der Welt öffentlich unterstützen.
(ii) Indem sie sicherstellen, dass MenschenrechtsverteidigerInnen wirksam geschützt und Schutzmechanismen wirkungsvoll umgesetzt und entsprechend finanziert werden.
(iii) Indem sie Programme leichter zugänglich machen und unterstützen, die den MenschenrechtsverteidigerInnen den Zugang zu den notwendigen Kenntnissen, Instrumenten und Ausbildungen gewährleisten, die sie für ihre Menschenrechtsarbeit brauchen.
(iv) Indem sie partizipative Ansätze ermöglichen, die sicherstellen, dass die MenschenrechtsverteidigerInnen besser untereinander und in der Gemeinschaft, in der sie aktiv sind, vernetzt sind und auf nationaler, regionaler und internationaler Ebene Zugang zu den EntscheidungsträgerInnen haben. Gleichzeitig müssen die Regierungen die Sicherheit der MenschenrechtsverteidigerInnen gewährleisten.
Unser globales Kampagnenziel ist die Stärkung, Sicherheit und Unterstützung von MenschenrechtsverteidigerInnen und allen, die sich zusammen mit ihnen gegen Unrecht zur Wehr setzen. Im Einzelnen wollen wir erreichen, dass:
- bis Ende 2019 mehr und vor allem junge MenschenrechtsverteidigerInnen besser vernetzt und anerkannt sind sowie in der Lage, sich in einem sicheren Umfeld für den Schutz der eigenen und der Rechte anderer einzusetzen.
- Gesetzesänderungen und politische Veränderungen bis 2019 dazu führen, dass Staaten gefährdete MenschenrechtsverteidigerInnen besser vor Angriffen, Einschüchterungen und Schikanen schützen.