Doch es ist wichtig, dass wir in solchen Momenten eingreifen, uns mit den Betroffenen solidarisieren und deutlich machen: Rassismus muss von allen entschieden zurückgewiesen werden. Für die Betroffenen ist das Schweigen der Umstehenden oft genauso schlimm wie die Angriffe. Daher hier ein paar Empfehlungen, wie man Betroffenen in solchen Momenten zur Seite stehen kann.
1. Wann sollte ich eingreifen?
Rassistische Angriffe können vielfältig sein – von Ungleichbehandlung über das Benutzen von rassistischen Begriffen wie das N*Wort, Beleidigungen wegen des Tragens von Kopftuch oder Kippa, direkte Angriffe wie «Haut ab aus diesem Land!» bis hin zu körperlicher Gewalt. Welches Verhalten, welche Äusserung rassistisch ist, ist dabei manch mal gar nicht so einfach zu erkennen. Entscheidend ist die Wahrnehmung der Betroffenen. Für Menschen, die bislang wenig oder keine Erfahrungen mit Rassismus gemacht haben, ist es daher wichtig, den Betroffenen zuzuhören und sich mit ihren Sichtweisen und Erfahrungen auseinanderzusetzen.
Aber es gibt keine klare Regel im Sinne von: Jetzt ist die Grenze überschritten. Daher vertrauen Sie auf Ihr Bauchgefühl. Meist haben wir alle ein gutes Gespür dafür, ob hier jemand aggressiv angegangen und beleidigt wird.
Man muss auch gar nicht unbedingt entscheiden, ob es sich um einen rassistischen Angriff handelt, wenn man der betroffenen Person einfach Unterstützung anbietet.
2. Überwinden Sie Ihre Zuschauer Rolle und mischen Sie sich ein!
Je mehr Menschen bei einem Angriff anwesend sind, desto seltener mischen sich Menschen ein – offenbar hofft jedeR, dass jemand anderes handeln wird. Oder wir denken, es geht uns nichts an. Machen Sie sich das bewusst und nehmen Sie Kontakt zu den Umstehenden auf. Die meisten Menschen warten, bis jemand anderes den Mut zum Handeln aufbringt. Sie können diese Person sein und damit einen grossen Unterschied machen.
3. Beschimpfungen: Seien Sie bei der angegriffenen Person!
Es ist vor allem wichtig, der angegriffenen Person zu zeigen, dass sie nicht allein ist. Richten Sie daher Ihre volle Aufmerksamkeit auf sie. Setzen Sie sich neben sie, sagen Sie «Hallo» und beginnen Sie ein Gespräch über irgendein Thema – das Wetter oder den letzten Film, den Sie gesehen haben. Bleiben Sie dabei ruhig und zugewandt.
Fragen Sie die angegriffene Person, ob sie Unterstützung möchte und ob Sie sich einmischen sollen. Manche wünschen das vielleicht gar nicht. In diesem Fall schenken Sie dem bzw. der AngreiferIn keine Aufmerksamkeit – ohne die Person aber aus dem Blick zu verlieren. Wenden Sie sich weiter der angegriffenen Person zu und bleiben Sie mit ihr in Kontakt. Die ausbleibende Reaktion von Ihnen wird den bzw. die AngreiferIn in vielen Fällen irgendwann dazu bewegen, sich zu entfernen.
4. Sprechen Sie nur für sich selbst!
Wenn Sie die Zustimmung haben, selbst auf die Beschimpfungen zu antworten, sprechen Sie nur aus Ihrer eigenen Perspektive. Oft reden Leute für den Menschen, der angegriffen wurde. Das hält die Betroffenen davon ab, sich selbst zu wehren – was sie wahrscheinlich tun würden, wenn sie von Umstehenden Unterstützung erfahren.
Wenn zum Beispiel eine Frau wegen ihres Kopftuchs beleidigt wird, erklären Sie nicht, dass sie es aus religiösen Gründen trägt. Stattdessen können Sie sagen, dass alle Menschen sich so kleiden können, wie sie möchten. Sag Sie etwas wie «Mich stören Ihre rassistischen Kommentare. Hören Sie bitte damit auf!»
5. Körperliche Angriffe: Sorgen Sie für Aufmerksamkeit!
Machen Sie Lärm, rufen Sie «Stopp! Aufhören!», reden Sie laut in Ihr Telefon oder filmen Sie die Situation mit dem Handy. Machen Sie irgendetwas, das für Aufmerksamkeit sorgt und dem bzw. der TäterIn zeigt, dass seine bzw. ihre Worte und Handlungen beobachtet werden. Oder fordern sie andere Menschen zum Helfen auf – zum Beispiel die Busfahrerin zu informieren, notfalls die Polizei zu rufen. Sprechen Sie die Person dabei direkt an: «Sie dort in der grünen Jacke, bitte helfen Sie!» In den meisten Fällen sind die Menschen, die den Angriff verurteilen, in der Mehrheit.
Auch hier: Sprechen Sie mit der betroffenen Person so viel wie möglich. Sie sollten nur körperlich eingreifen, wenn Sie dafür ausgebildet sind. Ihre eigene Sicherheit sollte Priorität haben. Aber nichts zu tun ist keine Option. Wenn niemand einschreitet, wird rassistische Gewalt normalisiert.
6. Hilfe rufen, filmen und melden!
In vielen Fällen von Gewalt: Rufen Sie die Polizei, das Sicherheitspersonal oder andere verantwortliche Personen! Überlassen Sie das direkte Eingreifen den Behörden, statt sich selbst in Gefahr zu bringen. Falls möglich, sprechen Sie jedoch erst mit dem angegriffenen Menschen, bevor Sie die Polizei rufen. Er könnte bereits rassistische Erfahrungen mit den Sicherheitsbehörden gemacht haben oder es aus anderen Gründen nicht wollen.
Filmen Sie den Angriff wenn möglich mit dem Handy: Das sorgt nicht nur für Aufmerksamkeit, Sie erstellen damit auch wichtiges Beweismaterial, das später für die Verurteilung der TäterInnen erforderlich ist. Aber veröffentlichen Sie das Video danach auf keinen Fall in den sozialen Medien.
7. Nach dem Angriff: Unterstützung anbieten!
Bleiben Sie bei dem angegriffenen Menschen, bis der bzw. die TäterIn weg ist, und begleiten Sie ihn – falls gewünscht – an einen sicheren Ort. Oft setzt erst nach dem Angriff der Schock ein. Fragen Sie die Person, wie es ihr geht und was Sie für sie tun können. Bieten Sie ihr an, gemeinsam Kontakt zu einer Beratungsstelle aufzunehmen, wo der Vorfall gemeldet werden kann und sie weitere professionelle Unterstützung bekommt.
Beratungsstellen helfen auch zu entscheiden, welche rechtlichen Schritte eingeleitet werden sollten. Rassistische Übergriffe werden bisher viel zu selten angezeigt. In jedem Fall können Sie sich der betroffenen Person als ZeugIn anbieten.
8. Dranbleiben!
Wenn Sie sich bei rassistischen Angriffen einmischen, schützen Sie nicht nur die unmittelbar Betroffenen. Sie tragen auch dazu bei, dass Rassismus in unserer Gesellschaft nicht weiter normalisiert, sondern beim Namen genannt und verurteilt wird. Das ist auch wichtig, wenn gerade keine Betroffenen anwesend sind.
Bleiben Sie also dran, informieren Sie sich über Alltagsrassismus in der Schweiz und die Sichtweisen von Betroffenen. Ob gewollt oder ungewollt, wir alle handeln im Alltag rassistisch. Dies bei anderen – und vor allem bei uns selbst – zu erkennen ist aber gar nicht so einfach.