Die interaktive Protest-Karte, die Teil der Kampagne «Protect the Protest» von Amnesty International ist, dokumentiert die zahlreichen Menschenrechtsverletzungen, die weltweit an Demonstrant*innen begangen werden. Die Karte zeigt, dass Regierungen Demonstrationen als Bedrohung ansehen und dass die Polizei ihre Rolle darin sieht, hart gegen Demonstrant*innen vorzugehen und sie zu kontrollieren anstatt ihnen die Ausübung ihrer Rechte zu erleichtern. Tausende Menschen werden bei Demonstrationen rechtswidrig auseinandergetrieben, festgenommen, geschlagen oder sogar getötet. Vielen drohen verheerende Konsequenzen, weil sie an Protesten teilgenommen haben.
«Friedliche Demonstrationen ist kein Privileg, sondern ein Recht, das die Staaten respektieren und schützen müssen. Die Realität sieht anders aus: In mehr als 85 Ländern wenden die Behörden unrechtmässige Gewalt an, um Proteste niederzuschlagen.» Lisa Salza, Verantwortliche für die Kampagne «Protect the Protest» von Amnesty Schweiz
«Friedliche Demonstrationen ist kein Privileg, sondern ein Recht, das die Staaten respektieren und schützen müssen. Die Realität sieht anders aus: In mehr als 85 Ländern wenden die Behörden unrechtmässige Gewalt an, um Proteste niederzuschlagen. Missbräuchliche Gewaltanwendung, Willkürhaft, Folter und andere Misshandlungen: Die interaktive Karte zeigt das erschreckende Ausmass der Repression gegen Demonstrant*innen», sagt Lisa Salza, Verantwortliche für die Kampagne «Protect the Protest» von Amnesty Schweiz.
«Im Iran haben die Behörden Hunderte von Menschen rechtswidrig getötet und Zehntausende, darunter auch Minderjährige, willkürlich inhaftiert, um die Proteste zu unterdrücken. Viele Demonstrant*innen wurden während ihrer Haft gefoltert und misshandelt. Auch sexualisierte Gewalt wurde gegen sie angewandt. Mehrere Demonstrant*innen wurden nach unfairen Scheinprozessen zum Tode verurteilt und willkürlich hingerichtet. Ein anderes Beispiel ist China, wo es unmöglich ist, friedlich zu demonstrieren, ohne schikaniert und strafrechtlich verfolgt zu werden. Mehrere Aktivist*innen finden sich hinter Gittern wieder, bloss weil sie ihre Meinung geäussert haben», sagt Lisa Salza.
Verbreitete Anwendung von Waffengewalt
Die interaktive digitale Karte zeigt, dass viele Länder «weniger tödliche» Waffen (wie Tränengas, Gummigeschosse, Pfefferspray oder Schlagstöcke) missbräuchlich einsetzen, um Demonstrant*innen einzuschüchtern, zu bestrafen oder zurückzudrängen und damit ihr Recht auf Protest zu untergraben.
«Obwohl sie sehr häufig missbräuchlich eingesetzt werden, ist die Herstellung, der Handel und der Einsatz von ‚weniger tödlichen‘ Waffen nicht international geregelt. Dadurch dass sie das Ausmass der unrechtmässigen Anwendung dieser Waffen sichtbar macht, verdeutlicht die Protest-Karte die Notwendigkeit, den Handel dieser Waffen mittels eines globalen Vertrags stärker zu regulieren», sagt Lisa Salza.
Die Karte zeigt auch, in welchen Ländern Demonstrant*innen laut Amnestys Quellen missbraucht werden und welcher Art von Bedrohung sie ausgesetzt sind. Und sie gibt einen Überblick über die geltenden nationalen und lokalen Gesetze sowie über die relevanten Dokumente supranationaler Organismen wie den Vereinten Nationen. Auch die Rechtsprechung internationaler Gerichtshöfe wird aufgeführt. Die Karte wird regelmässig aktualisiert und zeichnet ein Bild der Realität von Demonstrant*innen auf der ganzen Welt.
Das Recht auf Protest wurde während der Coronapandemie stark eingeschränkt, da Demonstrationen in vielen Ländern verboten wurden zum Schutz der öffentlichen Gesundheit. Dies hatte teilweise langfristige Folgen, denn einige Staaten nutzten die Pandemie als Vorwand, um Versammlungen noch weiter einzuschränken oder unverhältnismässige Beschränkungen zu erlassen, die nach wie vor bestehen.
Im Jahr 2022 setzten staatliche Behörden in mindestens 86 der 156 Länder, die im Jahresbericht 2022/23 von Amnesty International aufgeführt sind, rechtswidrige Gewalt gegen friedliche Demonstrant*innen ein. In 37 Ländern setzten Sicherheitskräfte tödliche Waffen gegen Demonstranten*innen ein, obwohl Schusswaffen zur Kontrolle von Menschenmengen ungeeignet sind und die Polizei sie niemals zur Auflösung einer Versammlung einsetzen darf.
In Indien reagierten die Sicherheitskräfte auf diejenigen, die gegen die Regierung demonstrierten, nicht nur mit Gewehren, Tränengas und Schlagstöcken, sondern schalteten auch das Internet ab und führten Zwangsräumungen durch. In China laufen Demonstrant*innen Gefahr, ihr Recht auf Bildung und Unterkunft zu verlieren. In den letzten Monaten starben in Peru mindestens 49 Menschen bei Protesten, weil die Sicherheitskräfte tödliche Gewalt anwendeten.
In mehr als 50 Prozent der Länder, die im Jahresbericht behandelt werden, wurden Demonstrant*innen, willkürlich festgenommen.
«Wir fordern die Schweizer Behörden auf, die Bewilligungspflicht von Demonstrationen durch eine einfache Meldepflicht zu ersetzen. Weiter fordern wir die Einrichtung einer Beschwerde- und Untersuchungsstelle für Fälle von Polizeigewalt, sowie ein Verbot von Mehrfachgeschossen sowie von Wuchtgeschossen...» Lisa Salza, Verantwortliche für die Kampagne «Protect the Protest» von Amnesty Schweiz
Verschiedene Einschränkungen des Rechts auf Protest in der Schweiz
Protest wird in der Schweiz häufig eher als Bedrohung angesehen anstatt als Chance, die Demokratie gemeinsam zu gestalten. Das enorme Potenzial von Protest als Initialzündung für menschenrechtliche Errungenschaften, die sowohl für Minderheiten wie auch für die Gesamtgesellschaft wichtig sind, wird völlig verkannt, wenn Demonstrant*innen in der Medienberichterstattung oder durch politische Akteur*innen als gewaltbereit «Chaot*innen» dargestellt werden.
Ob Kostenüberwälzung für Polizeieinsätze oder Sachbeschädigungen, Gerichtsverfahren, Überwachungsmassnahmen oder der Eintrag in das Strafregister: Organisator*innen und Teilnehmer*innen von Protesten müssen mit einschneidenden Konsequenzen rechnen.
In allen grösseren Schweizer Städten, wo regelmässig Demonstrationen stattfinden, gilt eine Bewilligungspflicht. Die ist eine völkerrechtswidrige Einschränkung des Rechts auf Protest, wenn die Erteilung einer Bewilligung an Bedingungen geknüpft ist, die unangemessene Hürden für die Organisation eines Protests darstellen und so vor der Ausübung des Rechts auf Protest abschrecken.
Um unbewilligte Demonstrationen aufzulösen, setzt die Polizei in der Schweiz häufig «weniger tödliche» Waffen wie Gummigeschosse, Tränengas und Wasserwerfer ein. Sie wendet auch die Technik der Einkesselung an, um Ausweiskontrollen durchzuführen oder um Teilnehmer*innen von unbewilligten Demonstrationen festzunehmen. Der Einsatz dieser Massnahmen ist häufig unverhältnismässig und undifferenziert. Da es jedoch keine unabhängige Untersuchungs- und Beschwerdestelle für mutmassliche Polizeigewalt gibt, ist es nicht möglich, das tatsächliche Ausmass der Anwendung von Gewalt durch die Polizei im Rahmen von Protesten festzustellen.
«Wir fordern die Schweizer Behörden auf, die Bewilligungspflicht von Demonstrationen durch eine einfache Meldepflicht zu ersetzen. Weiter fordern wir die Einrichtung einer Beschwerde- und Untersuchungsstelle für Fälle von Polizeigewalt, sowie ein Verbot von Mehrfachgeschossen sowie von Wuchtgeschossen, welche durch ihre Breitenwirkung ein grosses Verletzungsrisiko bergen und auch Unbeteiligte treffen können», sagt Lisa Salza.