1. Warum lehnt Amnesty International die Todesstrafe ab?
2. Haben die Opfer von Gewaltverbrechen und ihre Familien nicht ein Recht auf Gerechtigkeit?
3. Wenn du jemand anderen tötest, verdienst du dann nicht auch den Tod – «Auge um Auge»?
4. Verhindert die Todesstrafe keine Verbrechen?
5. Was ist mit der Todesstrafe für Terrorist*innen?
6. Ist es nicht besser, jemanden hinzurichten, als ihn für immer einzusperren?
7. Gibt es eine humane und schmerzfreie Methode, eine Person hinzurichten?
8. Was geht es Amnesty an, wenn verschiedene Gesellschaften die Todesstrafe anwenden wollen?
9. Was ist, wenn die öffentliche Meinung die Todesstrafe befürwortet?
10. Kann der Kampf für die Abschaffung der Todesstrafe gewonnen werden?
1. Warum lehnt Amnesty International die Todesstrafe ab?
Die Todesstrafe verstösst gegen das grundlegendste Menschenrecht – das Recht auf Leben. Sie ist die ultimative grausame, unmenschliche und erniedrigende Strafe.
Die Todesstrafe ist diskriminierend. Sie wird häufig gegen die Schwächsten der Gesellschaft verhängt, darunter Arme, ethnische und religiöse Minderheiten und Menschen mit geistigen Behinderungen. Einige Regierungen benutzen sie, um ihre Gegner*innen zum Schweigen zu bringen. Dort, wo die Justiz mit Mängeln behaftet ist und unfaire Gerichtsverfahren an der Tagesordnung sind, besteht immer die Gefahr, dass Unschuldige hingerichtet werden.
Wenn die Todesstrafe vollstreckt wird, ist sie endgültig. Fehler, die gemacht werden, können nicht mehr rückgängig gemacht werden. Eine unschuldige Person kann für ein Verbrechen, das sie nicht begangen hat, aus dem Gefängnis entlassen werden, aber eine Hinrichtung kann niemals rückgängig gemacht werden.
2. Haben die Opfer von Gewaltverbrechen und ihre Familien nicht ein Recht auf Gerechtigkeit?
Ja, das haben sie. Diejenigen, die Angehörige durch schreckliche Verbrechen verloren haben, haben ein Recht darauf, dass die verantwortliche Person in einem fairen Prozess zur Rechenschaft gezogen wird, ohne dass die Todesstrafe verhängt wird. Wenn wir uns gegen die Todesstrafe aussprechen, versuchen wir nicht, Verbrechen zu verharmlosen oder zu billigen. Aber wie viele Familien, die einen geliebten Menschen verloren haben, gesagt haben, kann die Todesstrafe ihr Leid nicht wirklich lindern. Sie vergrössert dieses Leid nur auf die Familie des Verurteilten.
«Rache ist nicht die Antwort. Die Antwort liegt in der Verringerung der Gewalt, nicht in der Verursachung weiterer Todesfälle.» Marie Deans, deren Schwiegermutter 1972 ermordet wurd
3. Wenn du jemand anderen tötest, verdienst du dann nicht auch den Tod – «Auge um Auge»?
Nein. Jemanden hinzurichten, weil er jemandem das Leben genommen hat, ist Rache, nicht Gerechtigkeit.
Eine Hinrichtung – oder die Androhung einer solchen – ist mit schrecklichen physischen und psychischen Grausamkeiten verbunden. Jede Gesellschaft, die Straftäter*innen exekutiert, begeht dieselbe Gewalt, die sie verurteilt.
4. Verhindert die Todesstrafe keine Verbrechen?
Der Forschung zufolge nicht. Es gibt keinen glaubwürdigen Beweis dafür, dass die Todesstrafe Verbrechen wirksamer verhindert als eine Gefängnisstrafe. Tatsächlich sind die Verbrechenszahlen in Ländern, die die Todesstrafe verboten haben, nicht angestiegen. In einigen Fällen sind sie sogar gesunken. In Kanada war die Mordrate im Jahr 2008 weniger als halb so hoch wie 1976, als die Todesstrafe dort abgeschafft wurde.
5. Was ist mit der Todesstrafe für Terrorist*innen?
Regierungen greifen nach gewalttätigen Anschlägen oft zur Todesstrafe, um zu zeigen, dass sie etwas zum «Schutz» der nationalen Sicherheit tun. Doch die Androhung der Todesstrafe wird Männer und Frauen, die bereit sind, für ihre Überzeugungen zu sterben (z.B. als Selbstmordattentäter*in), kaum aufhalten. Zudem können die Hingerichteten von ihrer Organisation als Märtyrer*innen betrachtet werden, ihr Tod dient der Glorifizierung und der Mobilisierung für ihre Ideologie.
Menschen, die des «Terrorismus» beschuldigt werden, werden nach unfairen Gerichtsverfahren besonders häufig zum Tode verurteilt. Viele werden auf der Grundlage von «Geständnissen» verurteilt, die durch Folter erzwungen wurden. In einigen Fällen haben Sonder- oder Militärgerichte, die im Rahmen von Gesetzen zur Terrorismusbekämpfung eingerichtet wurden, Zivilpersonen zum Tode verurteilt und damit internationale Standards untergraben.
«Die Todesstrafe ist ein billiges Mittel für gewisse Politiker, um ihren Wählerinnen und Wählern vorzugaukeln, dass etwas zur Verbrechensbekämpfung unternommen wird.» Jan van Rooyen, südafrikanischer Rechtsprofessor
6. Ist es nicht besser, jemanden hinzurichten, als ihn für immer einzusperren?
Jeden Tag warten Männer, Frauen und sogar Kinder in der Todeszelle auf ihre Hinrichtung. Unabhängig davon, welches Verbrechen sie begangen haben, ob sie schuldig oder unschuldig sind, wird ihr Leben von einem Rechtssystem geopfert, das Vergeltung über Rehabilitation stellt. Solange ein Gefangener am Leben ist, kann er oder sie auf Rehabilitierung oder auf Entlassung hoffen, wenn sich später herausstellt, dass er oder sie unschuldig ist.
7. Gibt es eine humane und schmerzfreie Methode, eine Person hinzurichten?
Jede Form der Hinrichtung ist unmenschlich. Die tödliche Injektion wird oft als humaner angepriesen, weil sie zumindest oberflächlich betrachtet weniger grotesk und barbarisch erscheint als andere Hinrichtungsarten wie Enthauptung, Stromschlag, Vergasung und Erhängen.
Die Suche nach einer «humanen» Art der Tötung von Menschen sollte jedoch als das gesehen werden, was sie wirklich ist: ein Versuch, Hinrichtungen der Öffentlichkeit schmackhafter zu machen, in deren Namen sie durchgeführt werden, und die Regierungen, die Hinrichtungen durchführen, weniger als Mörder erscheinen zu lassen.
8. Was geht es Amnesty an, wenn verschiedene Gesellschaften die Todesstrafe anwenden wollen?
Die Menschenrechte – einschliesslich des grundlegenden Rechts auf Leben – sind universell und werden von der grossen Mehrheit der Länder der Welt anerkannt. Unsere Forderung, die Todesstrafe abzuschaffen, steht im Einklang mit der Barmherzigkeit, dem Mitgefühl und der Vergebung, die alle grossen Weltreligionen betonen. Bis heute haben 140 Länder die Todesstrafe per Gesetz oder in der Praxis abgeschafft, was beweist, dass der Wunsch nach Abschaffung der Todesstrafe von Kulturen und Gesellschaften in fast allen Regionen der Welt geteilt wird.
«Die Menschenrechte gelten für die Besten unter uns – und für die Schlimmsten unter uns.» Amnesty International
9. Was ist, wenn die öffentliche Meinung die Todesstrafe befürwortet?
Eine starke Unterstützung der Öffentlichkeit für die Todesstrafe geht oft mit einem Mangel an zuverlässigen Informationen über die Todesstrafe einher – am häufigsten mit dem Irrglauben, dass sie die Kriminalität verringern wird. Viele Regierungen sind schnell dabei, diesen Irrglauben zu verbreiten, obwohl es dafür keine Beweise gibt. Entscheidende Faktoren, die der Anwendung der Todesstrafe zugrunde liegen, werden oft nicht verstanden. Dazu gehören das Risiko, einen Unschuldigen hinzurichten, die Ungerechtigkeit von Gerichtsverfahren und der diskriminierende Charakter der Todesstrafe – alles Faktoren, die zu einer umfassend informierten Meinung über die Todesstrafe beitragen.
Wir sind der Meinung, dass die Regierungen offen mit diesen Informationen umgehen und gleichzeitig die Achtung der Menschenrechte durch öffentliche Bildungsprogramme fördern müssen. Nur dann kann es eine sinnvolle Debatte über die Todesstrafe geben.
Die Entscheidung, jemanden hinzurichten, kann jedoch nicht von der öffentlichen Meinung getroffen werden. Die Regierungen müssen den Weg vorgeben.
10. Kann der Kampf für die Abschaffung der Todesstrafe gewonnen werden?
Ja. Heute haben zwei Drittel der Länder der Welt die Todesstrafe entweder ganz abgeschafft oder wenden sie in der Praxis nicht mehr an. Auch wenn es einige Rückschritte gab, muss man diese gegen den klaren weltweiten Trend zur Abschaffung abwägen. Jedes Jahr machen weitere Staaten Schritte zur Abschaffung oder kehren ihr ganz den Rücken zu. Europa ist praktisch frei von der Todesstrafe. Und die USA, die seit jeher zu den Ländern gehören, die am wenigsten bereit sind, die Todesstrafe aufzugeben, wenden sich langsam von der Todesstrafe ab.