China, Iran, Saudi-Arabien und Singapur haben im Jahr 2022 nachweislich Menschen wegen Drogendelikten hingerichtet, und auch Vietnam dürfte derartige Hinrichtungen durchgeführt haben. © Amnesty International (Video Snapshot)
China, Iran, Saudi-Arabien und Singapur haben im Jahr 2022 nachweislich Menschen wegen Drogendelikten hingerichtet, und auch Vietnam dürfte derartige Hinrichtungen durchgeführt haben. © Amnesty International (Video Snapshot)

10. Oktober – Internationaler Welttag gegen die Todesstrafe Keine Todesstrafe für Drogendelikte!

9. Oktober 2023
In den letzten Jahren wurden Hunderte von Hinrichtungen im Zusammenhang mit Drogendelikten vollstreckt. Sie betrafen oft Menschen aus Randgruppen der Gesellschaft und fanden häufig nach Verfahren statt, die gegen internationale Standards verstossen. Amnesty International fordert die Regierungen auf, ein Moratorium für alle Hinrichtungen zu verhängen.

Anlässlich des Welttages gegen die Todesstrafe 2023 am 10. Oktober weist Amnesty International darauf hin, dass die Anwendung der Todesstrafe bei Drogendelikten nach internationalen Menschenrechtsgesetzen und -standards rechtswidrig ist. Trotzdem wurden in den letzten Jahren Hunderte von Hinrichtungen im Zusammenhang mit Drogen vollstreckt. Unverhältnismässig oft waren Menschen aus Randgruppen der Gesellschaft betroffen und die Urteile fanden häufig nach Verfahren statt, die gegen internationale Standards für ein faires Verfahren verstossen.

Amnesty International lehnt die Todesstrafe in ausnahmslos allen Fällen ab, unabhängig von der Art oder den Umständen des Verbrechens, der Schuld, der Unschuld oder anderen Merkmalen des Individuums oder der vom Staat angewandten Methode zur Durchführung der Hinrichtung.

Amnesty International fordert die Regierungen der Länder, die diese grausame Strafe noch beibehalten, erneut dazu auf, unverzüglich ein offizielles Moratorium für alle Hinrichtungen zu verhängen – dies als ersten Schritt zur vollständigen Abschaffung der Todesstrafe. Ausserdem appelliert Amnesty International an die Regierungen auf der ganzen Welt, von strafenden Massnahmen gegen Drogen auf Alternativen umzusteigen, die die Menschenrechte und die öffentliche Gesundheit besser schützen.

Zunahme von unrechtmässigen Hinrichtungen wegen Drogendelikten

Die Verhängung der Todesstrafe ist nach den internationalen Menschenrechtsvorschriften auf «schwerste Verbrechen» beschränkt. Diese verbindliche Einschränkung wurde vom Uno-Menschenrechtsausschuss dahingehend ausgelegt, dass sie sich nur auf vorsätzliche Tötungen bezieht. Die Verhängung der Todesstrafe aufgrund von Drogendelikten ist kategorisch ausgeschlossen. 

In 36 Ländern ist die Todesstrafe für Drogendelikte gesetzlich möglich, obwohl internationales Recht dies kategorisch ablehnt.

Es ist erschreckend, dass entgegen diesem eindeutigen Verbot 36 Länder die Todesstrafe für Drogendelikte weiterhin gesetzlich beibehalten. Amnesty International hat für 2018-2022 mehr als 700 Hinrichtungen aufgrund von Drogendelikten registriert. Die Zahl der Hinrichtungen wegen Drogendelikten machte im Jahr 2022 (325) 37 Prozent der weltweit bekannten Hinrichtungen aus und war mehr als doppelt so hoch wie die entsprechende Zahl im Jahr 2021 (134).

 

© Amnesty International

Hinrichtungen wegen Drogendelikten wurden in den letzten Jahren in einer Handvoll Länder verzeichnet. 2022 führte der Iran 255 Hinrichtungen wegen Drogendelikten aus, das sind 78 Prozent der weltweit bestätigten Gesamtzahl an Hinrichtungen für diese Delikte. Saudi-Arabien nahm 2022 die Verurteilungen für diese Straftaten nach zwei Jahren Unterbruch wieder auf. Amnesty International konnte Hinrichtungen für diese Straftaten auch in Singapur bestätigen, wo zwischen Ende März 2022 und September 2023 16 Hinrichtungen vollstreckt wurden, die alle im Zusammenhang mit Drogen standen. Die Organisation geht davon aus, dass auch die vietnamesischen Behörden in den letzten Jahren Hinrichtungen im Zusammenhang mit Drogen vollstreckt haben, konnte dafür aber keine ausreichende Bestätigung erhalten. Für Hinrichtungen in China ist eine Aussage unmöglich, weil die Regierung die Zahlen zur Todesstrafe geheim hält.

Die in der ersten Hälfte des Jahres 2023 bestätigten Zahlen zeichnen ein ähnlich beunruhigendes Bild:
Zwischen Januar und Ende Mai 2023 haben die iranischen Behörden 282 Menschen hingerichtet, fast doppelt so viele wie in den ersten fünf Monaten des Jahres 2022. Mindestens 173 dieser Hinrichtungen erfolgten wegen Drogendelikten. In Saudi-Arabien wurden in den ersten sechs Monaten des Jahres vierundfünfzig Hinrichtungen, auch wegen Drogendelikten, verzeichnet. Am 27. Juli wurden in Kuwait fünf Personen hingerichtet, darunter ein sri-lankischer Staatsangehöriger, der wegen eines Drogendelikts verurteilt worden war.

Unfaire Gerichtsverfahren, Willkür und Diskriminierungen

In vielen Fällen hat Amnesty International schwerwiegende Verstösse gegen das Recht auf ein faires Verfahren und andere Rechtschutzgarantien dokumentiert. Auch wurden Personen, die unter dem Verdacht festgenommen wurden, ein Drogendelikt begangen zu haben, von der Polizei verhört, ohne dass ein Rechtsbeistand anwesend war. Dadurch stieg das Risiko, gefoltert oder anderweitig misshandelt zu werden, um «Geständnisse» zu erpressen.

In Malaysia beispielsweise hatten viele Menschen aufgrund von Lücken bei der Rechtshilfe keine Rechtsvertretung ihrer Wahl. Im Iran wurden Hinrichtungen im Zusammenhang mit Drogen trotz mangelhafter Ermittlungen der Drogenpolizei vollstreckt; die Prozesse wegen Drogendelikten werden ausserdem von unfair urteilenden Revolutionsgerichten geführt. Todestrafekandidat*innen wird der Zugang zu einem Rechtsbeistand verweigert und die Gerichte verwenden unter Folter erpresste «Geständnisse» als Beweismittel.

In einigen Ländern ist die Todesstrafe für gewisse Drogendelikte gar zwingend.

Darüber hinaus gilt in einigen Ländern – darunter Brunei Darussalam, Iran und Singapur – dass die Todesstrafe für gewisse Drogendelikte gar zwingend ist. Die «obligatorische Todesstrafe» erlaubt es den Gerichten nicht, mildernde Umstände in Bezug auf die Straftat oder die Person zu berücksichtigen. Dies verstösst gegen internationales Recht und internationale Standards.

Amnesty International hat aufgezeigt, dass Angeklagte mit  marginalisierten und benachteiligten sozioökonomischen Hintergründen ein grösseres Risiko für ein Todesurteil tragen, sind sie doch häufiger Ausbeutung und Gewalt ausgesetzt und können sich oft keinen Rechtsbeistand leisten.

Auch ausländische Staatsangehörige, die einen erheblichen Anteil der wegen Drogendelikten zum Tode Verurteilten und Hingerichteten ausmachen, werden vor den Strafjustizsystemen vielfach benachteiligt. Die internationalen Menschenrechtsvorschriften gewähren ausländischen Staatsangehörigen zwar zusätzlichen Schutz in Form von konsularischem und sprachlichem Beistand – der Zugang dazu hängt aber davon ab, ob das Land, in dem Ausländer*innen inhaftiert sind, diesen Beistand zulässt und ob das Herkunftsland der angeklagten Person ihn auch leistet.

Zahlreiche Studien haben gezeigt, dass die Todesstrafe keine besonders abschreckende Wirkung hat.

Der Krieg gegen Drogen: Ein Krieg gegen Menschenrechte

Die Todesstrafe wird in mehreren Ländern als Instrument im Rahmen des «Null-Toleranz»-Ansatzes eingesetzt. Zahlreiche Studien haben jedoch gezeigt, dass die Todesstrafe keine besonders abschreckende Wirkung für das Begehen von Verbrechen hat. In den letzten Jahren haben auch viele Staaten eingeräumt, dass dieser strafende Ansatz sein Versprechen, die Gesundheit und die Rechte der Menschen vor den von Drogen ausgehenden Gefahren zu schützen, nicht erfüllt hat.

Jahrzehntelange Prohibition und Kriminalisierung haben die Rechte von Millionen von Menschen untergraben und zu Gewalt, Gesundheitsrisiken, Masseninhaftierungen und Missbrauch geführt. Der «Krieg gegen Drogen» begünstigte ausserdem polizeiliche Übergriffe, willkürliche Verhaftungen, aussergerichtliche Hinrichtungen, Folter und anderen Misshandlungen sowie unmenschlichen Haftbedingungen. Ausserdem befördert er Diskriminierung und die Verletzung wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Rechte - darunter auch des Rechts auf Gesundheit.

Amnesty International hat gemeinsam mit vielen anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen einen Paradigmenwechsel in den staatlichen Reaktionen auf die mit Drogen verbundenen Probleme gefordert. Amnesty drängt die Regierungen dazu, Massnahmen zu ergreifen, die soziale Ungleichheiten bekämpfen und soziale Gerechtigkeit sowie wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte fördern.

Unter anderem hat die Organisation die Staaten aufgefordert, die Todesstrafe abzuschaffen und den Konsum, den Besitz, den Anbau und den Erwerb aller Drogen für den persönlichen Gebrauch zu entkriminalisieren.

Die internationalen Drogenkontrollmechanismen – wie die Suchtstoffkommission der Uno CND und das Büro der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung UNODC – haben weitgehend versagt, wenn es darum geht, sicherzustellen, dass die Drogenpolitik der Staaten im Einklang mit den internationalen Menschenrechtsvorschriften umgesetzt wird. So hat die CND noch keine offizielle Stellungnahme zur Todesstrafe abgegeben, obwohl die Vereinten Nationen die Todesstrafe ablehnen. Amnesty International wiederholt seine Forderung, dass alle internationalen Drogenkontrollstellen die Menschenrechte konsequent einbeziehen. Insbesondere fordert die Organisation die CND auf, einen ständigen Tagesordnungspunkt einzurichten, der sich mit den Auswirkungen der Drogenpolitik auf die Menschenrechte befasst. Die UNODC soll ausserdem sicherstellen, dass die Menschenrechte Teil ihrer Überwachungsarbeit werden, unter anderem durch ein spezielles Kapitel über Menschenrechte in ihrem jährlichen Weltdrogenbericht.