Was hat sich Ihrer Meinung nach in den vergangenen zwei Jahren verändert?
Die Menschen setzen sich viel kritischer mit Überwachungsprogrammen auseinander, als noch vor meinen Enthüllungen. Nachdem die aufgedeckten Informationen in der Öffentlichkeit bekannt wurden, hat der Grossteil der Bevölkerung erkannt, dass Regierung mit diesen Überwachungen gegen Gesetze verstossen. Sogar in den Gerichten hat sich diese Auffassung durchgesetzt, obwohl sie eigentlich genügend Gründe finden könnten, zu sagen, hier gibt's keinen Handlungsbedarf, wir machen weiter wie bisher. Dass ich davon ein Teil bin und dass es nun die Möglichkeit gibt, etwas zu verbessern, nicht nur als Mittel, Regierungen wieder zu gesetzeskonformerem Verhalten zu bringen, sondern als Mittel, unsere Freiheit im digitalen Leben ein Stück weit wiederzuerlangen, ist der Grund für mich, jeden Morgen aufzustehen.
Was sagen denn die Menschen dazu, die in den Geheimdiensten arbeiten?
Es gibt genügend politische Gründe für Geheimdienstmitarbeiter zu erklären, dass die Veröffentlichungen enormen Schaden angerichtet haben. Insgeheim haben aber viele ernsthafte Zweifel, ob Massenüberwachung richtig ist.
Viele Vertreter der Geheimdienste denken zudem, es sei von Vorteil, dass die Öffentlichkeit über die Massenüberwachung Bescheid weiss. Wenn du zeigen kannst, dass du über das unglaublichste Spionagenetzwerk überhaupt verfügst, klopfen plötzlich alle anderen Spione bei dir an. Sowas habe ich einige Male erlebt.
Bereuen Sie etwas?
Es gibt nur einen einzigen Aspekt, den ich bereue: Ich hätte früher an die Öffentlichkeit gehen sollen. Wenn ich das getan hätte, wären wir jetzt, glaube ich, im Hinblick auf unsere Freiheit in der Online-Kommunikation schon weiter. Denn die grösste Herausforderung bei der Reform der Überwachungsprogramme besteht darin, dass es schwierig ist, das Ganze wieder rückgängig zu machen und etwas zu verändern, sobald das Geld dafür ausgegeben ist und die Programme im Geheimen etabliert sind, ohne dass die Öffentlichkeit darüber Bescheid weiss.
Die Regierung will diese Systeme nicht einfach abschalten und abschaffen. Und die Chefs der Geheimdienste haben sich daran gewöhnt, dass sie gar keine Überwachung einer bestimmten Person anordnen müssen, sondern alle privaten Daten bereits haben, weil sie jeden ausspionieren. Sie können einfach sagen: "Lasst uns die letzten 30 Jahre an Telefonverbindungen, Standortdaten und Auslandsaufenthalten durchsehen". Es ist sehr schwierig, sie dazu zu bringen, das nicht mehr zu tun.
Was sagen Sie Leuten, die anführen: Ich habe doch nichts zu verbergen, also ist mir die Massenüberwachung egal?
Es hat nichts damit zu tun, dass ich nichts zu verbergen habe, sondern damit, dass ich ich selbst sein kann. Es hat damit zu, dass ich befreundet sein kann, mit wem ich möchte, ohne dass ich mir Sorgen machen muss, wie sich das auf Papier liest oder in den Aufzeichnungen über mein Privatleben, die in einem Geheimverzeichnis der Regierung festgehalten werden.
Es geht darum, sich darüber bewusst zu werden, dass es einen Grund gibt, die Badezimmertür geschlossen zu halten. Es gibt einen Grund dafür, dass wir nicht wollen, dass die Polizei uns über eine Videokamera beobachten kann, wenn wir in einem Schaumbad sitzen. Es gibt einen Grund, warum alle Angst davor haben, dass ein Samsung-Fernseher aufzeichnen kann, was wir in unserem Wohnzimmer sagen, und das dann an Dritte weitergeleitet wird. So etwas wird passieren. Nicht wir gucken Fernsehen, sondern der Fernseher beobachtet uns.
Was glauben Sie, wird jetzt passieren?
Dies wird eines der relevantesten Menschenrechtsthemen der nächsten 30 Jahre sein. Denn das, was gerade passiert, ist erst der Anfang. Alle, die auf der technischen Seite arbeiten, denken: Wie können wir das noch weiterentwickeln? Wie können wir noch mehr Daten sammeln? Die Technik wird immer billiger, die Verbindungen einfacher und die Netzwerke weitreichender sein, so dass wir ständig und überall Daten hinterlassen werden. Wenn wir den Schalter jetzt nicht umlegen und internationale Standards für angemessene Verhaltensregeln in einer freien und liberalen Gesellschaft festlegen, werden wir feststellen, dass es bald keine freien und liberalen Gesellschaften mehr gibt.
Und wie geht es Ihnen persönlich?
Ich habe jetzt viel weniger Freizeit. Es ist schon lustig. Wahrscheinlich denken die Leute, dass in den Untergrund gehen bedeutet, man hat nichts mehr zu tun. Tatsächlich ist es aber so, dass ich viel mehr arbeite, als jemals zuvor. Und ich verwirkliche mich in meiner Arbeit. Ich arbeite meistens sieben Tage in der Woche. Weil es einfach so viel zu tun gibt.
Das Schlimmste in den vergangenen zwei Jahren war, nicht bei meiner Familie und in meiner Heimat zu sein. Ich musste viele Opfer bringen. Ich lebe jetzt einfacher, aber das Ganze ist es wert. Ich werde auch von sehr vielen Menschen extrem unterstützt, sogar von Leuten aus dem Geheimdienstbereich.
Gibt es noch etwas, was Sie uns sagen möchten?
Fortschritt entsteht durch Dissens. Wenn niemand etwas verändern oder etwas Neues ausprobieren will, wenn niemand etwas riskieren will, das ausserhalb der Norm liegt, werden wir in statischen und meiner Ansicht nach sehr eingeschränkten Gesellschaften leben.