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Bundesgesetz betreffend die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs (BÜPF) Die Vorratsdatenspeicherung

Bern, 3. Dezember 2015 - Aktualisiert April 2016
Mit der Revision des Bundesgesetzes betreffend die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs (BÜPF) soll die Vorratsdatenspeicherung ausgeweitet werden. Neu sollen die Kommunikationsdaten, die von uns allen gesammelt werden, nicht nur der Strafverfolgung zur Verfügung stehen, sondern auch dem Nachrichtendienst des Bundes.

In der Schweiz sind sämtliche Anbieterinnen von Post-, Telefon- und Internetdiensten verpflichtet, das Kommunikationsverhalten ihrer KundInnen – wer, wann, wo und mit wem kommuniziert – für sechs Monate aufzuzeichnen. Erfasst werden sämtliche Kommunikationsmittel (Telefon, Internet, Mail). Weil von dieser Überwachungsmassnahme ausnahmslos alle betroffen sind, stellt sie einen schweren Eingriff in den verfassungsmässig garantierten Schutz der Privatsphäre dar.

Was sieht das revidierte BÜPF vor?

Die Speicherfrist der Vorratsdaten wird nicht wie ursprünglich vorgesehen auf zwölf Monate verlängert, sondern bleibt bei sechs Monaten (was an der grundsätzlichen Kritik daran allerdings wenig ändert). Neu werden die Mitwirkungspflichten von Internetdiensten ausgeweitet: Nicht nur die grossen Telekom-Firmen und Internet-Provider müssen Daten speichern und herausgeben; mitwirkungspflichtig werden auch kleinere Firmen und sogar Privatpersonen.

Warum kritisiert Amnesty die Vorratsdatenspeicherung?

Die Vorratsdatenspeicherung stellt eine Form der verdachtsunabhängigen und präventiven Massen­überwachung dar. Von dieser Überwachungsmassnahme sind ausnahmslos alle Menschen in der Schweiz betroffen, ohne dass sie Anlass zu einem Verdacht bieten würden. Selbst für Personen mit Berufsgeheimnis oder Quellenschutz, wie Anwälte, Ärztinnen oder Journalisten gibt es keine Ausnahmen. Diese Überwachungsmassnahme ist ein unverhältnismässiger Eingriffe in die Grundrechte, wie den Schutz der Privatsphäre und der freien Meinungsäusserung, die in der Bundesverfassung und in der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) garantiert sind.

Was sagen Gerichte zur Vorratsdatenspeicherung? Wie ist die Situation in anderen Ländern?

Sämtliche Verfassungsgerichte, welche eine zur Schweiz vergleichbare Regelung zu prüfen hatten, haben die Vorratsdatenspeicherung als unrechtmässigen Eingriff in die Grundrechte eingestuft – und sie aufgehoben: Rumänien (2009, 2014), Deutschland (2010), Tschechien (2011), Österreich (2014), Niederlande (2015), Bulgarien (2015).

2014 wurde auch die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung vom Europäischen Gerichtshof ausser Kraft gesetzt. Der Gerichtshof beurteilt die EU-Richtlinie als Eingriff in die Grundrechte «von grossem Ausmass und von besonderer Schwere». Der Gesetzgeber habe mit der Richtlinie «die Grenzen überschritten, die er zur Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismässigkeit» einhalten musste.

Auch der UNO-Kommissar für Menschenrechte äusserte sich 2014 kritisch zur Vorratsdaten­speiche­rung: «Die Speicherung von Kommunikationsdaten stellt einen Eingriff in die Privatsphäre dar, und zwar unabhängig davon, ob die Daten dann tatsächlich abgefragt werden oder nicht. Dieser Eingriff in die Privatsphäre hat weiter negative Auswirkungen auf die Rechte auf Meinungs- und Versammlungs­freiheit.»

Welche Daten werden aufgezeichnet?

Die Datensammlung umfasst, wer wann wen angerufen hat und wie lange das Gespräch gedauert hat; wer sich wann und wie lange ins Internet eingeloggt hat; wer wann wem eine SMS geschickt oder auf ein E-Mail-Postfach zugegriffen hat. Zudem werden die Standortinformationen des Mobiltelefons gespeichert.

Da moderne Smartphones praktisch permanent mit dem Internet verbunden sind (auch wenn nicht aktiv kommuniziert wird), werden durch das Aufzeichnen der Signale der verwendeten Handyantennen praktisch lückenlos die Aufenthaltsorte der BenutzerInnen auf wenige hundert Meter genau protokolliert. Das ermöglicht die Erstellung eines genauen Bewegungsprofils jeder Person in der Schweiz.

In welchen Fällen werden diese Daten verwendet?

Für einen Zugriff der Strafverfolgungsbehörden reicht der «dringende Verdacht auf ein Verbrechen oder Vergehen» – im Fall eines Missbrauchs einer Fernmeldeanlage sogar der Verdacht auf eine Übertretung. Die Verwendung der Vorratsdaten ist also nicht auf schwerste Straftaten beschränkt, sondern ist auch bei minder schweren Delikten wie etwa einfachem Diebstahl möglich.

Mit dem neuen Nachrichtendienstgesetz soll es auch dem Nachrichtendienst des Bundes möglich sein, auf die Daten zuzugreifen. Dieser Eingriff stellt eine der sogenannten «genehmigungspflichtigen Beschaffungsmassnahmen» dar.

Wer nichts verbrochen hat, hat auch nichts zu befürchten – oder?

Mit der Vorratsdatenspeicherung wird jede Person unter Generalverdacht gestellt und präventiv über-wacht. Die Unschuldsvermutung gilt hier nicht. Es sind auch keine Ausnahmen für Anwältinnen, Journalisten, Ärztinnen, Geistliche oder die Suchtmittelberatung vorgesehen. Die Vorratsdaten­speicherung kollidiert also auch mit dem Berufsgeheimnis.

Ist es nicht offensichtlich, dass diese Daten zur Terrorbekämpfung benötigt werden?

Es gibt nur wenige Studien, welche die Notwendigkeit der Vorratsdatenspeicherung zur Terror- oder Verbrechens­bekämpfung analysieren. Eine vom US-amerikanischen Kongress und Präsident Obama eingesetzte unabhängige Untersuchungskommission kam im Januar 2014 zum Ergebnis, die jahrelange Überwachung der Telefondaten habe sich im Kampf gegen den Terrorismus als nutzlos erwiesen. «Wir konnten keinen einzigen Fall finden, in dem das Programm zur Aufdeckung eines zuvor unbekannten Terrorplans oder zur Verhinderung von terroristischen Angriffen beigetragen hätte», heisst es im Abschlussbericht der Kommission (PCLOB). Auch konnte kein einziger in die Planung von Anschlägen involvierter Terrorist durch das Programm identifiziert werden.

Braucht es die Vorratsdatenspeicherung für die Verfolgung von Verbrechen?

Eine in Deutschland durchgeführte Studie zeigt, dass die Vorratsdatenspeicherung nicht wirksamer ist als andere Methoden der Strafverfolgung. Das Max-Planck-Institut kommt im Gutachten, das vom Bundesamt für Justiz in Auftrag gegeben worden war, zum Schluss: «Im Vergleich der Aufklärungsquoten, die in Deutschland und in der Schweiz im Jahr 2009 erzielt worden sind, lassen sich keine Hinweise darauf ableiten, dass die in der Schweiz seit etwa 10 Jahren praktizierte Vorratsdatenspeicherung zu einer systematisch höheren Aufklärung geführt hätte.» Auch nach Beiziehung anderer Informationsquellen «ergeben sich keine belastbaren Hinweise darauf, dass die Schutzmöglichkeiten durch den Wegfall der Vorratsdatenspeicherung reduziert worden wären».

Werden die Daten aus der Vorratsdatenspeicherung von den Providern nicht sowieso gespeichert?

Manche Daten aus der Vorratsdatenspeicherung werden von den Providern auch für die Abrechnung, bzw. den Verbindungsnachweis benötigt. Diese Informationen für die Behörden strukturiert für ein halbes Jahr aufzubewahren und über standardisierte Schnittstellen zur Verfügung zu stellen, verändert jedoch den Charakter der Datensammlungen sowie deren Risiken deutlich.