Mit dem neuen Nachrichtendienstgesetz (NDG), das im September 2015 durch das Parlament verabschiedet wurde, soll der Nachrichtendienst des Bundes beispielsweise mit Wanzen private Räume überwachen oder mit Trojanern in fremde Computer eindringen dürfen. Aus menschenrechtlicher Sicht ist insbesondere die Kabelaufklärung problematisch.
Was ist Kabelaufklärung?
Die Kabelaufklärung will dem Nachrichtendienst des Bundes ermöglichen, «grenzüberschreitende Signale aus leitungsgebundenen Netzen zu erfassen». Das heisst, der Nachrichtendienst könnte alle Datenströme, die über die Schweizer Grenze fliessen, anzapfen und mit Stichworten durchsuchen. Der Geheimdienst hätte damit Zugriff auf Metadaten und auf sämtliche Inhalte der elektronischen Kommunikation wie Mails, Suchanfragen oder Internet-Telefonie.
Warum kritisiert Amnesty die Kabelaufklärung?
Da die meiste Internet-Kommunikation in der Schweiz über ausländische Server und Netzwerke führt, wären grundsätzlich alle von dieser Überwachung betroffen. Die Kabelaufklärung stellt eine Form der verdachtsunabhängigen Massenüberwachung dar. Anhand von Stichworten wird der gesamte Datenstrom abscannt, der Geheimdienst sucht per Rasterfahndung nach der «Nadel im Heuhaufen». Dies führt unweigerlich zu vielen Falschtreffern und unschuldig verdächtigten Personen. Eine verdachtsunabhängige Massenüberwachung ist unrechtmässig und mit einem demokratischen Rechtsstaat nicht zu vereinbaren.
Welche Rechte werden durch die verdachtsunabhängige Massenüberwachung beeinträchtigt?
Die verdachtsunabhängige Massenüberwachung kollidiert mit mehreren Grundrechten aus der Bundesverfassung und der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK). Neben dem Recht auf Schutz der Privatsphäre und dem Fernmeldegeheimnis sind auch die freie Meinungsäusserung und die Unschuldsvermutung betroffen. Bei einer Überwachung von Ärzten, Rechtsanwältinnen, Pfarrern und Journalistinnen sind ausserdem die Verschwiegenheitspflichten sowie der Quellenschutz gefährdet.
Die Kabelaufklärung soll einzig der «Beschaffung von Informationen über sicherheitspolitisch bedeutsame Vorgänge im Ausland» dienen, Schweizer Daten müssten gelöscht werden.
Der Geheimdienst hätte Zugriff auf alle Daten, die über die Glasfasernetze ins Ausland fliessen. Auch wenn eine Person in der Schweiz eine Mail an die GMX-Adresse einer anderen Person in der Schweiz schickt, wird diese Mail übers Ausland geleitet. Folglich hätte der Geheimdienst Zugriff auf das Mail, auch wenn sowohl Sender wie Empfänger in der Schweiz sind.
Schweizer Daten müssten gelöscht werden: Was halten Sie von der Überwachung im Ausland?
Auch die Überwachung von Personen im Ausland muss verhältnismässig sein und darf nicht permanent und flächendeckend geschehen. Das Recht auf Schutz der Privatsphäre ist international verbrieft (z.B. in der Europäischen Menschenrechtskonvention) und gilt für alle Personen gleichermassen, egal ob sie sich in der Schweiz oder im Ausland aufhalten.
Jeder Einsatz der Kabelaufklärung wäre genehmigungspflichtig und würde zudem beaufsichtigt. Warum reichen diese Einschränkungen und Kontrollen nicht?
Die Kritik am Nachrichtendienstgesetz hat dazu geführt, dass das Parlament einige Einschränkungen und Kontrollen beschlossen hat. Das ist zu begrüssen, ändert aber nichts an unserer Kritik. Die vorgesehenen Einschränkungen und Kontrollen der Kabelaufklärung schränken zwar die Verwendung der gewonnenen Informationen etwas ein. Aber die Tatsache bleibt, dass die Datenströme angezapft und abgescannt werden. Überwachung beginnt beim Sammeln und nicht erst bei der Auswertung von Daten. Zudem sind Aufsicht und Kontrolle von Geheimdiensten erfahrungsgemäss schwer durchzusetzen, das zeigen viele Beispiele – auch in der Schweiz.
Ist Amnesty also grundsätzlich gegen die Kabelaufklärung?
Die Kabelaufklärung stellt eine Form der verdachtsunabhängigen Massenüberwachung dar, deshalb sind wir grundsätzlich gegen diese Massnahme.
Schränken Sie den Geheimdienst nicht zu sehr ein bei der Bekämpfung von Terror und Verbrechen?
Das NDG gibt dem Nachrichtendienst neue Mittel und Kompetenzen in die Hand, die eine gezielte Überwachung von verdächtigen Personen ermöglichen. Bei all diesen Massnahmen muss die Verhältnismässigkeit gewahrt werden. Grundrechte dürfen nicht im Namen der Sicherheit geopfert werden. Terrorismus und Verbrechen müssen mit rechtsstaatlichen Mitteln bekämpft werden – das wichtigste Mittel dazu ist die Strafverfolgung. Bei begründetem Verdacht hinsichtlich terroristischer Aktivitäten, organisierter Kriminalität, Proliferation und deren Vorbereitungshandlungen sollen Strafverfolgungsbehörden (Bundesanwaltschaft, Kantonspolizei) ermitteln und nicht der Nachrichtendienst. So sind rechtstaatlich ordentliche Verfahren möglich (mit Gerichten, Einsichtsrecht, etc.).