Im Bereich der Rüstungspolitik befindet sich die Schweizer Aussenpolitik regelmässig im Konflikt divergierender Interessen: einerseits dem erklärten Anspruch, Frieden und Menschenrechte im Ausland zu fördern, andererseits der Verteidigung von Wirtschaftsinteressen und dem Rüstungsstandort Schweiz. Die beiden Positionen werden in der Regierung in der Regel vom EDA (Führerschaft in der Friedens- und Menschenrechtspolitik) und dem SECO (Führerschaft in Wirtschaftsfragen) vertreten.
Ein weiterer Widerspruch zeigt sich zwischen internationalem Engagement und der Praxis in der Schweiz. Beispielsweise hat sich die Schweiz auf internationaler Ebene für ein möglichst starkes Abkommen zur Kontrolle des Waffenhandels eingesetzt. Ihre eigene Rüstungsexportkontrolle hat sie danach jedoch gelockert.
Die Schweiz und der Arms Trade Treaty (ATT)
Der Arms Trade Treaty (ATT), der Ende 2014 in Kraft getreten ist, setzt erstmals völkerrechtlich verbindliche Standards für die Kontrolle des internationalen Handels mit konventionellen Waffen. Er verbietet Waffentransfers in ein Land, wenn ein grosses Risiko besteht, dass mit diesen Waffen schwere Menschenrechtsverletzungen oder Verletzungen des humanitären Völkerrechts begangen werden.[1]
Die Schweiz hatte bei der Entwicklung des ATT eine positive Rolle gespielt; unter Federführung des SECO hatte sie sich in den schwierigen internationalen Verhandlungen für einen «möglichst starken und effektiven» Text eingesetzt[2] Das EDA versicherte 2015, die Schweiz werde «ihre aktive Rolle, die sie bereits im Rahmen der Vertragsverhandlungen wahrgenommen hat, auch während der Umsetzung des ATT weiterführen».[3] Im Jahr 2015 bemühte sich die Schweiz erfolgreich als Gaststaat für das ATT-Sekretariat, das nun in Genf beheimatet ist.[4]
Lockerungen der Exportkontrolle
Nach Unterzeichnung des Arms Trade Treaty hat die Schweiz ihre Rüstungsexportkontrolle zweimal gelockert: Im März 2014 senkte das Parlament die Exportkontrolle fast auf das Niveau des ATT: Die geltende Verordnung verbietet zwar weiterhin Auslandsgeschäfte, wenn «das Bestimmungsland Menschenrechte systematisch und schwerwiegend verletzt». Aber neu kann eine Bewilligung trotzdem erteilt werden, wenn «ein geringes Risiko besteht, dass das auszuführende Kriegsmaterial zur Begehung von schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen eingesetzt wird».[5]
Die Verschärfung der Exportkontrolle, die der Bundesrat im August 2008 – im Vorfeld der Abstimmung über die Volksinitiative für ein Waffenexportverbot – eingeführt hatte, wurde damit wieder aufgehoben. Das Parlament folgte mit dem knappen Entscheid dem intensiven Lobbying der Schweizer Rüstungsindustrie, die für sich «gleich lange Spiesse» wie für die europäische Konkurrenz gefordert hatte.[6] Mit dem Parlamentsentscheid wurden die wirtschaftlichen Interessen der Rüstungsindustrie dem Schutz der Menschenrechte vorgezogen.
Im April 2016 hob der Bundesrat das einjährige Waffenexport-Moratorium für den Nahen Osten (Jemen-Krieg) auf und nahm eine Neuauslegung der Kriegsmaterialverordnung vor.[7] Das Verbot, Waffen in Länder zu liefern, die in einen bewaffneten Konflikt verwickelt sind, soll nur noch dann gelten, wenn «im Empfängerland selbst ein interner bewaffneter Konflikt herrscht».[8]
Auch diesem Entscheid war ein intensives Lobbying von Wirtschaftskreisen und bürgerlichen Parlamentariern vorausgegangen.[9] Der Bundesrat kippte mit seinem Entscheid auch die zweite Verschärfung der Exportkontrolle, die er 2008 eingeführt hatte, um der Volksinitiative für ein Waffenexportverbot den Wind aus den Segeln zu nehmen.[10]
Der Entscheid des Bundesrates, sich über den Wortlaut der Kriegsmaterialverordnung hinwegzusetzen, ist nicht nur aus demokratiepolitischen Gründen problematisch. Die abenteuerliche Neu-Interpretation der Kriegsmaterialverordnung durch den Bundesrat ermöglicht der Schweizer Rüstungsindustrie, Waffen selbst in kriegführende Staaten zu verkaufen, beispielsweise in die grossen Absatzmärkte am Persischen Golf.
Milliarden für Atomwaffen
In der Schweiz ist die direkte oder indirekte Finanzierung von Atomwaffen und illegalen Waffen verboten.[11] Doch eine fatale Lücke im Kriegsmaterialgesetz erlaubt es den Banken weiterhin, in Firmen zu investieren, wenn diese neben Atomwaffen auch anderes Kriegsmaterial oder gar zivile Güter herstellen. Über 6 Milliarden US-Dollar haben Schweizer Banken in Firmen investiert, die Atomwaffen produzieren; auch die Nationalbank hat über 600 Millionen US-Dollar in diesem Bereich angelegt.[12]
Nationalrätin Evi Allemann hatte bereits 2014 in einer Motion vorgeschlagen, die Gesetzeslücke zu schliessen, um solche Investitionen zu verhindern. Der Bundesrat lehnt ein solches «Investitionsverbot» jedoch als zu weitgehend ab.[13] Der Bundesrat ermöglicht damit Schweizer Investitionen in Atomwaffen, obwohl er sich auf internationaler Ebene für ein Verbot von Nuklearwaffen einsetzt.[14]
Dieser Beitrag von Patrick Walder wurde zuerst publiziert in: «Wo bleibt die Kohärenz? Menschenrechte und Schweizer Aussenpolitik. Ein Diskussionspapier der Arbeitsgruppe Aussenpolitik der NGO-Plattform Menschenrechte, Juni 2017». Weitere Infos zum NGO-Diskussionspapier zur menschenrechtlichen Kohärenz in der schweizerischen Aussenpolitik (mit Downloadmöglichkeit).
[1] UNODA: The Arms Trade Treaty (Website).
[2] SECO: Internationaler Waffenhandelsvertrag: Verabschiedung durch die UNO-Generalversammlung. Medienmitteilung, 3. 4. 2013.
[3] WBF/EDA: Vertrag über den Waffenhandel: Hinterlegung der Ratifikationsurkunde. Medienmitteilung, 30. 1. 2015:
[4] SECO: Ausfuhr von Kriegsmaterial im Jahr 2015. Medienmitteilung, 23. 2. 2016.
[5] Kriegsmaterialverordnung, in Kraft seit 1. 11. 2014.
[6] Andreas Kreier: Schweiz will nicht mehr Musterschülerin sein. Swissinfo, 6. 3. 2014.
[7] Bundesrat/WBS: Bundesrat beurteilt verschiedene Gesuche für die Ausfuhr von Kriegsmaterial. Medienmitteilung, 20. 4. 2016.
[8] SECO-Brief an Nachrichtenagentur sda, zitiert in Swissinfo: Waffenexporte in Golfstaaten im Widerspruch zur Verordnung, 22. 4. 2016.
[9] Heidi Gmür: Waffenexporte in den Nahen Osten: Das Moratorium ist Geschichte. NZZ, 20. 4. 2016.
[10] Swissinfo: Waffenexporte in Golfstaaten im Widerspruch zur Verordnung, 22. 4. 2016.
[11] Kriegsmaterialgesetz, Artikel 8c Absatz 1, Verbot der indirekten Finanzierung.
[12] International Campaign to Abolish Nuclear weapons (2016): Don’t Bank the Bomb. A global report on the financing of nuclear weapons producers. Utrecht.
[13] Antwort des Bundesrates vom 14. 5. 2014 auf die Motion 14.3253 von Evi Allemann.
[14] EDA: Verbot von Nuklearwaffen: Schweiz fordert konsensorientierte Verhandlungen und Einbezug aller Akteure. Medienmitteilung, 28. 10. 2016.