Mit 366 gegen 225 Stimmen hat das europäische Parlament am 1. Juni einen Gesetzesentwurf angenommen, der die Verantwortung von Unternehmen gegenüber den Menschenrechten und der Umwelt regelt (Proposal for a Directive on corporate sustainability due diligence, CSDDD). Für die Schweiz ist es Zeit, nun ebenfalls vorwärtszumachen, wenn sie gegenüber der EU nicht in Hintertreffen geraten will.
Danièle Gosteli Hauser, verantwortlich für Wirtschaft und Menschenrechte bei der Schweizer Sektion von Amnesty International, sagte: «Die Regulierung von multinationalen Unternehmen hat in der EU einen grossen Schritt nach vorne gemacht: Das klare Votum des Europäischen Parlaments stimmt die unzähligen Opfer von Umweltverschmutzung und Menschenrechtsverletzungen durch Aktivitäten von Konzernen zuversichtlich. Hoffentlich wird dieser Entscheid der EU die Schweiz aus ihrer lethargischen Haltung reissen!»
Achtung der Menschenrechte und Schutz der Umwelt
Die EU-Richtlinie wird entscheidend dazu beitragen, dass grosse Unternehmen höhere Menschenrechts- und Umweltstandards anwenden. In einigen Punkten geht die EU-Richtlinie sogar weiter als die Konzernverantwortungsinitiative, die 2020 vom Schweizer Stimmvolk angenommen wurde, aber am Ständemehr scheiterte: Die EU-Regelung sieht Klimaschutzauflagen, die Einrichtung einer Aufsichtsbehörde und eine Konzernhaftung für Zulieferer vor.
«Dass das Europäische Parlament dieses Gesetz so klar unterstützt, ist ein grosser Fortschritt» sagt Gosteli Hauser. «Denn dadurch werden multinationale Unternehmen in der EU entlang ihrer gesamten Wertschöpfungskette Menschenrechte und Umweltstandards einhalten müssen; durch diese Richtline werden die Unternehmen ausserdem ihre CO2-Emissionen im Einklang mit dem Pariser Klimaschutzabkommen reduzieren.»
Zugang zur Justiz
Mit diesem klaren Votum macht das Europäische Parlament ausserdem deutlich, dass es den Zugang zur Justiz für Opfer erleichtern will, die durch Konzernaktivitäten von Missbrauch und Umweltverschmutzung betroffen sind.
Die Gerichte der EU-Mitgliedstaaten können beispielsweise anordnen, dass ein Unternehmen, das im Verdacht steht, einen Schaden verursacht zu haben, Beweismaterial offenlegen muss. Ohne Zugang zu solchen Informationen wäre es sehr schwierig, Konzerne für Menschenrechtsverletzungen und Umweltschäden zur Verantwortung zu ziehen.
Verpflichtung zur Rechenschaftslegung
Eine Aufsichtsbehörde wird die Einhaltung dieser Richtlinien überwachen und kann bei Verstössen umsatzabhängige Geldbussen verhängen. Multinationale Unternehmen können ausserdem für Schäden haftbar gemacht werden, die sie direkt oder indirekt durch ihre mangelnde Sorgfalt verursacht haben, z. B. über ihre Tochtergesellschaften und Zulieferer.
Die Schweiz muss ihren Rückstand aufholen
Während der Abstimmungskampagne über die Konzernverantwortungsinitiative hatte der Bundesrat mehrmals betont, dass er eine «international koordinierte» Lösung wünscht. Obwohl er den Rückstand der Schweiz anerkennt, hat er im Dezember letzten Jahres beschlossen, keine Gesetzesanpassung bezüglich Sorgfaltspflichten für Konzerne an die Hand zu nehmen. Der Gegenvorschlag zur Konzernverantwortungsinitiative beschränkt sich auf die Berichterstattungspflicht, wobei sich die Sorgfaltspflicht lediglich auf Kinderarbeit und Konfliktmineralien bezieht und keine Rechenschaftspflicht im Falle von Missbrauch besteht.
Ergänzende Informationen
Die Richtlinie über die Sorgfaltspflicht von Unternehmen im Bereich der nachhaltigen Entwicklung (CSDDD) hat das Potenzial, in der EU zu einem entscheidenden Gesetzestext über die Verantwortung multinationaler Unternehmen im Bereich der Menschenrechte und Umwelt zu werden. Die vom Parlament verabschiedete Fassung wird nun im Rahmen der Trilogverhandlungen mit den vom Rat der Europäischen Union und der Europäischen Kommission geprüften Fassungen abgeglichen, bevor im Laufe des Jahres ein endgültiger Text vorgelegt werden kann.
Im Europäischen Parlament wurde die Konzernverantwortungsrichtlinie von einem breiten Bündnis aus Liberalen (Renew Europe), einem Teil der Christdemokraten (EPP) und der Linken (S&D, Grüne/EFA, Linksfraktion) unterstützt. Vor der Entscheidung des Parlaments äusserten sich auch zahlreiche EU-Konzerne (ALDI, MARS, IKEA, Unilever usw.) positiv zum geplanten EU-Gesetz und forderten die Verschärfung verschiedener Punkte.