Rinchen Tsultrim lebte als Mönch im Nangshig-Kloster in der autonomen tibetischen Präfektur Aba der Provinz Sichuan. Nach einer Welle tibetischer Unruhen in 2008 begann er, seine Ansichten über WeChat und seine persönliche Website «Scepticism on Tibet» zu teilen. Im Jahr 2018 wurde er vom Amt für öffentliche Sicherheit zweimal davor gewarnt, online Kritik an der chinesischen Politik zu üben. Er wurde streng überwacht und seine persönliche Website wurde abgeschaltet.
Ethnische Tibeter*innen in China werden diskriminiert und stark eingeschränkt in ihrem Recht auf Religionsfreiheit, freie Meinungsäusserung, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit zu friedlichen Zwecken. Unter dem Vorwand der «Separatismus-», «Extremismus-» und «Terrorismusbekämpfung» wurden in tibetischen Siedlungsgebieten strenge und weitreichende Beschränkungen und Repressionsmassnahmen gegen ethnische Minderheiten erlassen. Tibetische Mönche und Nonnen, Schriftsteller*innen, Demonstrierende und Aktivist*innen werden wegen ihrer friedlichen Aktivitäten regelmässig festgenommen. Es ist äusserst schwierig, die Menschenrechtslage in tibetischen Siedlungsgebieten zu untersuchen und dokumentieren, denn der Zugang wird stark eingeschränkt, insbesondere für Medienschaffende, Akademiker*innen und Menschenrechtsorganisationen. Seit 2009 haben sich mindestens 150 Tibeter*innen in ihren Siedlungsgebieten in China selbst angezündet, um gegen die repressive Politik der Behörden zu protestieren.
Die Regierung ist bestrebt, religiöse Lehren und Praktiken auf die Staatsideologie abzustimmen und die Kontrolle sowohl über staatlich zugelassene als auch über nicht registrierte religiöse Gruppierungen flächendeckend zu verstärken. Jüngste Vorschriften, die am 1. Februar 2020 in Kraft gesetzt wurden, sehen vor, dass religiöse Gemeinschaften «der Führung der Kommunistischen Partei Chinas folgen, [...] die Richtung einer Sinisierung der Religion beibehalten und die sozialistischen Grundwerte» praktizieren müssen.
Im August 2019 wurde Rinchen Tsultrim festgenommen. Seitdem befindet er sich in Isolationshaft. Im November 2020 wurde er ohne ein faires Verfahren zu vier Jahren und sechs Monaten Gefängnis verurteilt. Seine Familienangehörigen erfuhren erst im März 2021 von seiner Verurteilung. Erst im August 2021 reagierte die chinesische Regierung auf die von verschiedenen Uno-Expert*innen geäusserten Bedenken in Bezug auf Rinchen Tsultrim. Ihre Aussage war, dass er wegen «Anstiftung zur Sezession» für die Veröffentlichung von Informationen auf WeChat verurteilt worden sei und zurzeit seine Strafe im Gefängnis von Aba in der Provinz Sichuan verbüsse. Rinchen Tsultrims Familie glaubt, dass er für die Äusserung seiner politischen Ansichten inhaftiert worden ist. Ohne Zugang zu Familie und Rechtsbeistand besteht um Rinchen Tsultrims Zustand und Wohlergehen grosse Sorge.
Rinchen Tsultrim muss unverzüglich freigelassen werden, solange nicht genügend glaubwürdige und zulässige Beweise für eine international anerkannte Straftat vorliegen, und ihm muss ein faires Verfahren im Rahmen der internationalen Standards gewährt werden. Mit seinem Einsatz für Tibet hat er nichts anderes getan, als sein Recht auf Meinungsfreiheit auszuüben.