Im Februar 2020 reiste Zhang Zhan nach Wuhan, dem damaligen Zentrum des Covid-19-Ausbruchs in China. Zhang Zhan ist eine ehemalige Rechtsanwältin, die sich aktiv zur Politik und zu Menschenrechtsfragen in China äussert und über Onlineplattformen wie WeChat, Twitter und Youtube über Missstände informiert. Sie berichtete in ihren Recherchen, wie unabhängige Reporter*innen inhaftiert und ihre Familien schikaniert wurden.
Die chinesischen Behörden versuchten von Anfang an, Informationen über den Ausbruch des Coronavirus zu zensurieren. Li Wenliang, ein Arzt, der im Dezember 2019 vor dem Virus zu warnte, wurde von den Behörden zum Schweigen gebracht und wegen «Verbreitung von Gerüchten» bestraft. Er verstarb im Februar 2020 an den Folgen ebendieses Virus, das er zu stoppen versucht hatte. Sein Tod löste im Internet landesweit Empörung und Trauer aus. Forderungen nach Meinungsfreiheit und einem Ende der Zensurpraktiken wurden laut. Die Behörden sperrten Hunderte von Passwortkombinationen in sozialen Medien und Nachrichten-Apps. Seit dem Covid-19-Ausbruch in China wurden zahlreiche Artikel über das Virus zensuriert sowie Beiträge in sozialen Medien, entsprechende Hashtags und Forderungen nach Meinungsfreiheit gelöscht oder gesperrt.
Citizen-Journalist*innen wie Zhang Zhan waren die wichtigsten – wenn nicht die einzigen – Quellen für unzensurierte Informationen über den Covid-19-Ausbruch in China aus erster Hand. Citizen-Journalist*innen arbeiten unabhängig und ohne Verbindung zu den staatlich kontrollierten Medien. In China mussten sie schon immer vorsichtig vorgehen, sind sie doch ständigen Schikanen und Repressionen ausgesetzt.
Seit dem 14. Mai 2020 wird Zhan vermisst. Erst später wurde bekannt, dass sie im mehr als 640 km entfernten Shanghai von der Polizei festgehalten wurde. Aus Protest und zur Beteuerung ihrer Unschuld trat Zhang im Juni 2020 in den Hungerstreik. Ihr Anwalt berichtete über die schrecklichen Zustände im Gefängnis: Zhan wurde von den Behörden zwangsernährt und dazu gezwungen wurde, Fesseln zu tragen. Ihre Hände waren über drei Monate lang ununterbrochen gefesselt. Diese Strafen verstossen gegen das absolute Verbot von Folter und anderen Misshandlungen.
Am 28. Dezember 2020 wurde Zhan dann zu vier Jahren Gefängnis verurteilt, weil sie «Streit gesucht und Ärger provoziert» habe. Zhang Zhan ist eine Gewissensgefangene, die nur inhaftiert ist, weil sie ihr Recht auf freie Meinungsäusserung wahrgenommen hat. Am 2. August 2021 konnte sie zum ersten Mal nach fünf Monaten mit ihrer Mutter sprechen. Zhangs Mutter bat ihre Tochter, den Hungerstreik zu überdenken. Trotz des hohen Gesundheitsrisikos führt Zhang Zhan diese Massnahme entschlossen weiter, um auf diesem Weg gegen ihre Verurteilung zu protestieren.
Bis heute wurden alle Anträge von Zhangs Familie auf Besuchserlaubnis ohne Angabe von Gründen abgelehnt. Ohne den Zugang zur Familie und zu Anwält*innen ihrer Wahl besteht für Zhang Zhan weiterhin die Gefahr von Folter und Misshandlungen durch die Behörden, insbesondere wenn sie den Hungerstreik fortsetzt.
Die strenge staatliche Kontrolle und die Zensurbestimmungen für chinesische Bürger*innen und Medienschaffende halten unvermindert an. Als Versuch, die Citizen-Journalist*innen weiter zu kontrollieren, erliess die chinesische Regierung im Januar 2021 neue Regelungen, laut denen sich sämtliche öffentliche Konten, die Online-Nachrichtendienste anbieten, eine formelle Medienakkreditierung besorgen müssen. Im selben Monat wies die chinesische Regierung darauf hin, dass das Verfahren zur Erneuerung des Presseausweises obligatorisch wird. Zusätzlich wird die Nutzung der sozialen Medien überprüft, wodurch die staatliche Kontrolle über die berufliche und private Meinungsäusserung verstärkt wird.
Zhang Zhan muss unverzüglich und vorbehaltlos freigelassen werden. Mit ihrer Berichterstattung über die Covid-19-Situation in China hat sie nichts anderes getan, als ihr Recht auf Meinungsfreiheit auszuüben.