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Fifa Vergabekriterien für WM 2030 müssen Menschenrechte stärker ins Zentrum rücken

Medienmitteilung 22. Juni 2023, London/Bern – Medienkontakt
Vor der nächsten Sitzung des Fifa-Rates fordert die Sport & Rights Alliance, der Amnesty International angehört, den Weltfussballverband auf, seine menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten zu achten und bei den kommenden Vergabeverfahren für Fussballweltmeisterschaften den Menschenrechten ausreichend Beachtung zu schenken.

Amnesty International fordert die Fifa im Rahmen ihrer Tätigkeit in der Sport & Rights Alliance dazu auf, bei der Vergabe der WM 2030 die Uno-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte und die Menschenrechtsregeln der eigenen Fifa-Statuten einzuhalten. Der Menschenrechtsschutz muss als Kriterium und Messlatte bei der Vergabe eine zentrale Rolle spielen.

Die Sport & Rights Alliance fordert die Fifa zudem auf, dafür zu sorgen, dass die Ergebnisse einer von Amnesty International in Auftrag gegebenen und in 15 Ländern durchgeführten Meinungsumfrage bei der Bewertung der Bewerbungen berücksichtigt werden. 53 Prozent der Befragen stimmten dafür, dass die Menschenrechte eine grundlegende Rolle darin spielen sollten, wer zukünftige Weltmeisterschaften ausrichten darf. In der Schweiz sind gar 68 Prozent der Ansicht, dass Menschenrechte ein Hauptkriterium bei der Vergabe von sportlichen Veranstaltungen sein müssen.

«Nach den Menschenrechts-verletzungen rund um die WM 2022 in Katar ist ein klares Vergabeverfahren bei künftigen Veranstaltungen der Fifa umso wichtiger.» Lisa Salza, Verantwortliche für Sport und Menschenrechte bei Amnesty Schweiz

Lisa Salza, Verantwortliche für Sport und Menschenrechte bei Amnesty Schweiz, sagte dazu: «Die Öffentlichkeit möchte, dass den Menschenrechten eine hohe Priorität eingeräumt wird, damit die Weltmeisterschaft ein Fussballfest wird und nicht eine Plattform für Ausbeutung, Unterdrückung oder Diskriminierung bietet. Nach den Menschenrechtsverletzungen rund um die WM 2022 in Katar ist ein klares Vergabeverfahren bei künftigen Veranstaltungen der Fifa umso wichtiger. Die internationalen Sportverbände dürfen sich nicht weiter aus ihrer menschenrechtlichen Verantwortung stehlen.»

Amnesty International fordert die Fifa auf, Menschenrechte als wesentliches Prüfkriterium in die Ausschreibungsverfahren zu integrieren und die Zivilgesellschaften der Bewerberländer während des gesamten Prozesses zu konsultieren und einzubeziehen. «Die Fifa muss bei der Bewertung aller Bewerbungen eine Prüfung grundlegender Menschenrechtsstandards vornehmen und differenzierte Aktionspläne für den Schutz der Menschenrechte im Zusammenhang der Wettbewerbe verlangen. Bewerbungen, die nicht glaubhaft darlegen können, wie schwerwiegende Menschenrechtsrisiken verhindert, unabhängig überwacht und im Falle von Verstössen behoben werden können, dürfen bei der Vergabe nicht berücksichtigt werden», sagte Lisa Salza.

Menschenrechtskriterien drohen in den Hintergrund zu rücken

Trotz der Verabschiedung ihrer Menschenrechtsrichtlinien und menschenrechtlichen Bewerbungskriterien 2017 hat es die Fifa bisher versäumt, bei der Vergabe von Turnieren ausreichende und angemessene Risikobewertungen in Bezug auf Menschenrechte durchzuführen. So wurde die Klub-WM seit 2017 an China, die Vereinigten Arabischen Emirate, Marokko und Saudi-Arabien vergeben, ohne dass es ein transparentes Verfahren oder eine Konsultation der Zivilgesellschaft gab.

Nach den Kontroversen um die Vergabe der Turniere 2018 und 2022 an Russland bzw. Katar hat die Fifa bei der Bewerbung um die Weltmeisterschaft 2026 zum ersten Mal Menschenrechtskriterien eingeführt.

In ihren Menschenrechtsrichtlinien verpflichtet sich die Fifa zur Achtung der Menschenrechte im Einklang mit den Leitprinzipien der Vereinten Nationen für Wirtschaft und Menschenrechte. Gemäss den Uno-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte sollten alle Unternehmen eine menschenrechtliche Sorgfaltsprüfung in Bezug auf alle Aspekte ihrer Geschäftstätigkeit durchführen. Wenn schwerwiegende Menschenrechtsrisiken nicht verhindert werden können oder werden, muss das Unternehmen alle notwendigen Schritte unternehmen, um die Auswirkungen zu beenden oder zu verhindern.

Es wird erwartet, dass solche Kriterien bei allen Vergaben einbezogen werden, aber es gibt Befürchtungen, dass sie bei der Auswahl des Gastgebers für die WM 2030 durch die Fifa in den Hintergrund treten oder ignoriert werden könnten.

Es wird erwartet, dass sich Spanien, Portugal, Marokko und die Ukraine sowie Argentinien, Chile, Paraguay und Uruguay gemeinsam um die Ausrichtung der Fussballweltmeisterschaft der Männer 2030 bewerben. Berichten zufolge bereitet Saudi-Arabien eine gemeinsame Bewerbung mit Griechenland für 2030 oder 2034 vor, und auch Ägypten wurde als möglicher Partner genannt.

Die endgültige Wahl des Gastgeberlandes für die WM 2030 wird voraussichtlich durch eine Abstimmung aller Fussballverbände auf dem jährlichen Fifa-Kongress 2024 entschieden. 2018 wählte die Fifa Kanada, Mexiko und die Vereinigten Staaten aus, um gemeinsam die Fussball-Weltmeisterschaft der Männer 2026 auszurichten.

Menschenrechte müssen bei Vergabe berücksichtigt werden

Eine im Auftrag von Amnesty International durchgeführte Meinungsumfrage kommt zum Schluss, dass eine Mehrheit von 53 Prozent der Menschen in 15 Ländern der Meinung ist, dass die Menschenrechte, einschliesslich der Rechte der Arbeitnehmer*innen, der Pressefreiheit und der Nichtdiskriminierung, bei der Auswahl des Gastgeberlandes eines grossen Sportereignisses eine wichtige Rolle spielen sollten.

Die Umfrage ergab, dass nach der Sicherheit (57%) die Menschenrechte das am häufigsten gewählte Kriterium bei der Auswahl der Turnierveranstalter sind (53%). In sieben der untersuchten Länder, darunter die Schweiz, stand dies an erster Stelle. In der Schweiz sind 68 Prozent der Befragten der Ansicht, dass Menschenrechte ein Hauptkriterium bei der Vergabe von sportlichen Veranstaltungen sein müssen. Nur 13 Prozent gaben die «kommerziellen Einnahmen der Sportverbände» als Priorität an.

«Wir Fussballfans wollen verbindliche Garantien dafür, dass nicht nur die Rechte der Spielenden geachtet werden, sondern auch, dass den Arbeitnehmer*innen menschenwürdige Bedingungen garantiert werden.» Ronan Evain, geschäftsführender Direktor von Football Supporters Europe

Ronan Evain, geschäftsführender Direktor von Football Supporters Europe, sagte: «Die Ergebnisse der Umfrage zeigen deutlich, wie wichtig den Fans die Menschenrechte sind, wenn es um die Ausrichtung grosser Sportereignisse geht – viel wichtiger als Politik oder Profit. Wir Fussballfans wollen verbindliche Garantien dafür, dass nicht nur die Rechte der Spielenden geachtet werden, sondern auch, dass den Arbeitnehmer*innen menschenwürdige Bedingungen garantiert werden, dass Journalist*innen frei berichten können und dass Menschenrechtsaktivist*innen ohne Angst ihre Meinung sagen können.» 

Andrea Florence, Direktorin der Sport & Rights Alliance, sagte: «Seit 2017 hat die Fifa wichtige Fortschritte bei der Anerkennung ihrer Menschenrechtsverantwortung gemacht. Doch bei der Vergabe von Turnieren wurden Menschenrechtsbewertungen und -überlegungen nicht systematisch angewandt. Um zu zeigen, dass sie es mit ihrer eigenen Politik und ihren Statuten ernst meint, muss die Fifa bei der Wahl des Gastgeberlandes für die Fussball-WM der Männer 2030 die Menschenrechte in den Mittelpunkt stellen.»

 

Hintergrund und Methodik

An der Umfrage nahmen 17'477 Erwachsene in 15 Ländern teil. Sie wurden letztes Jahr von YouGov gebeten, aus einer Liste von zehn Faktoren auszuwählen, die ihrer Meinung nach bei der Auswahl des Gastgebers eines internationalen Sportereignisses eine wichtige Rolle spielen sollten. Die Befragten konnten mehrere Optionen auswählen. Die Umfrage wurde in Argentinien, Belgien, Dänemark, Finnland, Frankreich, Deutschland, Kenia, Mexiko, Marokko, den Niederlanden, Norwegen, Spanien, der Schweiz, dem Vereinigten Königreich und den USA durchgeführt. Die Erhebung fand zwischen dem 16. August und dem 6. September 2022 statt. Die Umfrage wurde online durchgeführt. Alle Werte wurden gewichtet und sind repräsentativ gemessen an der der Erwachsenen (ab 18 Jahren) aller untersuchten Länder. 

Folgende Kriterien wurden zur Auswahl gestellt. In Klammern sind die Ergebnisse angegeben: Sicherheit der Fans, Athlet*innen und Freiwilligen (57%), Menschenrechte einschliesslich Arbeitnehmer*innenrechte, Pressefreiheit und Nichtdiskriminierung (53%), Qualität der Infrastruktur wie Stadien, Verkehrsmittel und Hotels (48%), Transparenz und Massnahmen zur Bekämpfung der Korruption (43%), ökologische Nachhaltigkeit und Klimawandel (37%), potenzielle wirtschaftliche Vorteile für das Gastgeberland (28%), Kulturelle und touristische Möglichkeiten für die Besucher*innen (28%), Erfahrung mit der erfolgreichen Ausrichtung grosser Sportveranstaltungen (25%), sportliches Erbe für das Gastgeberland wie die Entwicklung des einheimischen Sports (24%), potenzielle kommerzielle Einnahmen für die Sportorganisation wie die FIFA oder das Internationale Olympische Komitee (13%), weiss nicht (12%) und keine dieser Angaben (4%).

Die Sport & Rights Alliance ist ein globaler Zusammenschluss führender Nichtregierungsorganisationen und Gewerkschaften, Spieler*innen und Fans, die gemeinsam daran arbeiten, Menschenrechte und Korruptionsbekämpfung im weltweiten Sport zu verankern. Sie wurde 2015 gegründet und nutzt ihren kollektiven Einfluss, um Druck auf globale Sportgremien auszuüben, damit diese bei ihren Entscheidungen und Tätigkeiten internationale Standards für Menschenrechte, Arbeitsrechte und Korruptionsbekämpfung im Einklang mit den Uno-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte einhalten.