Einschüchterungsklagen, auch bekannt als SLAPP (Strategic Lawsuit Against Public Participation - Strategische Klagen gegen öffentliche Teilnahme), sind Gerichtsverfahren, die nicht mit dem Ziel angestrengt werden, einen legitimen Rechtsstreit zu gewinnen, sondern vielmehr mit dem Ziel, kritische Stimmen mundtot zu machen oder zu bestrafen. Diese Verfahren richten sich meist gegen die Medien, NGOs oder Mitglieder der Zivilgesellschaft.
Unterdrückung von Kritik und Protest
SLAPPs haben eine starke abschreckende Wirkung: Wenn Journalist*innen oder Organisationen z. B. über die Missstände in mächtigen Konzernen recherchieren und deren Verwicklung in Menschenrechtsverletzungen oder Umweltzerstörung aufdecken, versuchen die betroffenen Unternehmen, sie durch aggressive, unverhältnismässig und substanzarme Klagen zum Schweigen zu bringen. Meist wird versucht, die Veröffentlichung der Berichte zu verhindern, oder es werden Einschüchterungsklagen eingereicht, die für die Verfasser*innen der Berichte langwierig und kostspielig sind. Manchmal reicht schon die blosse Androhung von Klagen aus, um den gewünschten Effekt zu erzielen, nämlich die Untersuchungen und Berichte von Journalist*innen oder NGOs zu unterbinden und damit die Arbeit der Zivilgesellschaft zu verhindern.
Exponentielle Zunahme von SLAPPs
Die Menschenrechtskommission des Europarats stellte 2021 fest, dass es sich bei SLAPP-Klagen zwar nicht um ein neues Phänomen handelt, das Ausmass des Problems jedoch zunimmt und eine erhebliche Bedrohung für das Recht auf freie Meinungsäusserung darstellt.
Auch die europäische Koalition CASE, der über 110 Organisationen angehören, zeigt in ihrem 2023 überarbeiteten Bericht (PDF, 23 Seiten), dass SLAPPs in Europa weiter zunehmen:
CASE-recorded SLAPP legal cases from 2010 to 2022 © CASE coalition
SLAPPs in der Schweiz
Auch in der Schweiz bleiben Journalist*innen und NGOs nicht von SLAPP-Klagen verschont. Die Klagen nehmen zu, da Unternehmen nicht mehr befürchten, durch die Einleitung solcher Verfahren ihr Image zu schädigen. Eine von HEKS im Jahr 2022 durchgeführte Umfrage (PDF, 5 Seiten) bei 11 Nichtregierungsorganisationen ergab, dass in den letzten Jahren die Zahl der Klagen und Klagedrohungen aufgrund kritischer Berichterstattung in unserem Land stark zugenommen hat.
Während zwischen 2000 und 2010 nur zwei Klagedrohungen gezählt wurden, sahen sich die befragten Nichtregierungsorganisationen seit 2010 mit 17 gerichtlichen Einschüchterungsversuchen konfrontiert. Seit 2018 wurden zudem rund zehn Klagen eingereicht, mehrere davon werden 2024 von Gerichten behandelt.
Neue Koalition in der Schweiz
Im Jahr 2023 wurde eine neue Allianz von NGOs und Medienschaffenden gegründet (www.allianz-gegen-slapp.ch), der sich auch Amnesty angeschlossen hat. Sie will die Schweizer Öffentlichkeit dafür sensibilisieren, dass Wirtschaftsakteure auch in unserem Land immer mehr SLAPP-Klagen einreichen. Die Vereinigung setzt sich insbesondere für eine bessere Gesetzgebung ein, um solchen Gerichtsverfahren frühzeitig Einhalt zu gebieten. Amnesty International engagiert sich für dieses Thema, weil Einschüchterungsverfahren mehrere grundlegende Menschenrechtsprinzipien verletzen, wie zum Beispiel die Meinungsfreiheit, das Recht auf ein faires Verfahren und das Recht auf politische Partizipation.
Beeinträchtigung des Rechts auf freie Meinungsäusserung
Durch die Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit, die unter anderem in Artikel 19 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte ("ICCPR") und in Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention verankert sind, verletzen SLAPPs die Grund- und Menschenrechte. Diese Konventionen garantieren das Recht, Ideen und Meinungen jeglicher Art frei zu äussern, einschliesslich des Rechts, Informationen und Ideen zu recherchieren, zu empfangen und zu verbreiten. SLAPPs behindern die freie Meinungsäusserung und ermöglichen es, die Verbreitung von Informationen durch Einschüchterungsprozesse zu verhindern. Sie schränken daher Personen ein, die kritische Meinungen zu Themen von öffentlichem Interesse äussern und eine wichtige Rolle als Hüter*innen der öffentlichen Ordnung spielen.
In der Erklärung der Vereinten Nationen zu Menschenrechtsverteidiger*innen heisst es, dass alle Staaten das Recht schützen müssen, menschenrechtsrelevante Informationen zu suchen, zu beschaffen, zu erhalten und zu behalten, diese Informationen an andere Personen weiterzugeben und sicherzustellen, dass Medien, NGOs und Mitglieder der Zivilgesellschaft dieses Recht ohne Angst vor Repressalien ausüben können.
Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren
Das Recht auf ein faires Verfahren ist in zahlreichen internationalen Texten wie der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und der Europäischen Menschenrechtskonvention verankert. Doch SLAPPs stellen einen Missbrauch von Gerichtsverfahren dar und bringen die angeklagte Partei in eine schwierige Lage. Sie zwingen die angeklagte Partei dazu, enorme finanzielle und zeitliche Ressourcen für ihre Verteidigung aufzuwenden, wodurch ein Ungleichgewicht im Gerichtsverfahren entsteht. Da sie Menschenrechtsverteidiger*innen in Verruf bringen, gelingt es den Kläger*innen zudem oft, die Aufmerksamkeit von Menschenrechts- oder Umweltschäden weg zu lenken, indem sie sich auf Verleumdung konzentrieren.
Die Staaten sind nicht nur verpflichtet, das Recht auf freie Meinungsäusserung zu achten, sondern auch dafür zu sorgen, dass die Rechte aller ihrer Gerichtsbarkeit unterstehenden Personen vor willkürlichen Eingriffen privater Parteien geschützt werden.
Beeinträchtigung des Rechts auf politische Partizipation
Einzelpersonen und Organisationen können durch SLAPPs davon abgehalten werden, sich an der öffentlichen Debatte zu beteiligen, Unternehmen und Regierungspolitik zu kritisieren oder sich zu wichtigen Themen zu äussern, wenn die Drohung von gerichtlichen Verfahren fortbesteht. Dies kann das Recht auf politische Partizipation gefährden.