Einführung: Warum diese Version und welche Änderungen vorgenommen wurden
Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte AEMR entstand 1948 aus dem Wunsch heraus, dass sich die Schrecken des Zweiten Weltkriegs nie wiederholen sollen. Mit der AEMR wurden von der Generalversammlung der Vereinten Nationen (Uno) Grundsätze verabschiedet, welche die Rechte jedes einzelnen Menschen überall auf der Welt garantieren. Die AEMR gilt als Grundlage der internationalen Menschenrechtsgesetzgebung, sie wurde später durch eine Reihe internationaler Verträge konkretisiert, wie z. B. zur Beseitigung aller Formen der Diskriminierung (1965), zur Beseitigung aller Formen der Diskriminierung von Frauen (1979), die Anti-Folter-Konvention (1984) und weitere mehr.
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Diverse Formulierungen in der AEMR würden heute nicht mehr so gemacht werden. Und unter dem Begriff «Mensch» stellen wir uns heutzutage nicht mehr in erster Linie einen (weissen) Mann vor.
Wir haben daher die AEMR behutsam in eine Form gebracht, die insbesondere alle Geschlechter einbezieht, rassistische Terminologie vermeidet und Geschlechterstereotype nicht wiederholt.
Wir haben allerdings Paragrafen nicht verändert, wenn dies zu einer Neu-Interpretation der ursprünglichen Absicht geführt hätte. Aufgrund der juristischen Terminologie bleibt die Sprache daher komplex – dies ist also keine AEMR in «Einfacher Sprache»
Unsere inklusivere, diskriminierungsfreiere Version ist ein Versuch, die in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte festgehaltenen Prinzipien und Werte in die heutige Welt zu überführen. Wir möchten insbesondere dazu inspirieren, die Menschenrechtserklärung kennenzulernen, sie zu diskutieren, aber auch kritisch zu hinterfragen.
- Da die Anerkennung der allen Menschen angeborenen Würde und ihrer gleichen und unveräusserlichen Rechte die Grundlage der Freiheit, der Gerechtigkeit und des Friedens in der Welt bildet,
- da Nicht-Anerkennung und Missachtung der Menschenrechte zu Akten der Barbarei führten, die das Gewissen der Menschheit tief verletzt haben, und da die Schaffung einer Welt, in der den Menschen frei von Furcht und Not, Rede- und Glaubensfreiheit zuteil wird, als das höchste Bestreben der Menschheit verkündet worden ist,
- da es wesentlich ist, die Menschenrechte durch das Recht zu schützen, damit die Menschen nicht zum Aufstand gegen Tyrannei und Unterdrückung als letztem Mittel gezwungen werden,
- da es wesentlich ist, die Entwicklung freundschaftlicher Beziehungen zwischen Nationen zu fördern,
- da die Völker der Vereinten Nationen in der Charta ihren Glauben an die grundlegenden Menschenrechte, an die Würde und den Wert der menschlichen Person und an die Gleichberechtigung aller Menschen erneut bekräftigt und beschlossen haben, den sozialen Fortschritt und bessere Lebensbedingungen bei grösserer Freiheit zu fördern,
- da die Mitgliedstaaten sich verpflichtet haben, in Zusammenarbeit mit den Vereinten Nationen die allgemeine Achtung und Verwirklichung der Menschenrechte und Grundfreiheiten durchzusetzen
- da eine gemeinsame Auffassung über diese Rechte und Freiheiten von grösster Wichtigkeit für die volle Erfüllung dieser Verpflichtung ist,
verkündet die Generalversammlung
die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte als das von allen Völkern und Nationen zu erreichende gemeinsame Ideal, damit alle Menschen und alle Organe der Gesellschaft sich diese Erklärung stets gegenwärtig halten. Sie sollen sich bemühen, durch Unterricht und Erziehung die Achtung dieser Rechte und Freiheiten zu fördern; sie sollen ausserdem durch fortschreitende Massnahmen im nationalen und internationalen Bereich ihre allgemeine und tatsächliche Anerkennung und Verwirklichung bei der Bevölkerung sowohl der Mitgliedstaaten wie der ihrer Oberhoheit unterstellten Gebiete zu gewährleisten.
Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geiste der Solidarität begegnen.
Alle Menschen haben Anspruch auf alle in dieser Erklärung verkündeten Rechte und Freiheiten, ohne irgendeinen Unterschied, etwa nach race1, Hautfarbe, Geschlecht, Sprache, Religion, politischer oder sonstiger Anschauung, nationaler oder sozialer Herkunft, Vermögen, Geburt oder sonstigem Stand.
Des Weiteren darf kein Unterschied gemacht werden auf Grund der politischen, rechtlichen oder internationalen Stellung des Landes oder Gebietes, dem eine Person angehört, gleichgültig ob dieses unabhängig ist, unter Treuhandschaft steht, keine Selbstregierung besitzt oder sonst in seiner Souveränität eingeschränkt ist.
Alle Menschen haben das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit der Person.
Kein Mensch darf in Versklavung oder Leibeigenschaft gehalten werden; Sklaverei und Handel von versklavten Menschen sind in allen ihren Formen verboten.
Kein Mensch darf der Folter oder grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden.
Alle Menschen haben das Recht, überall als rechtsfähig anerkannt zu werden.
Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich und haben ohne Unterschied Anspruch auf gleichen Schutz durch das Gesetz. Alle haben Anspruch auf gleichen Schutz gegen jede Diskriminierung, die gegen diese Erklärung verstösst, und gegen jede Aufhetzung zu einer derartigen Diskriminierung.
Alle Menschen haben Anspruch auf einen wirksamen Rechtsbehelf bei den zuständigen innerstaatlichen Gerichten gegen Handlungen, durch die ihre zustehenden Grundrechte verletzt werden, die ihnen nach der Verfassung oder nach dem Gesetz zustehen.
Kein Mensch darf willkürlich festgenommen, in Haft gehalten oder des Landes verwiesen werden.
- Alle Menschen, die einer strafbaren Handlung beschuldigt werden, haben das Recht, als unschuldig zu gelten, solange ihre Schuld nicht in einem öffentlichen Verfahren, in dem sie alle für ihre Verteidigung notwendigen Garantien gehabt haben, gemäss dem Gesetz nachgewiesen ist.
- Keine Person darf wegen einer Handlung oder Unterlassung verurteilt werden, die zur Zeit ihrer Begehung nach innerstaatlichem oder internationalem Recht nicht strafbar war. Ebenso darf keine schwerere Strafe als die zum Zeitpunkt der Begehung der strafbaren Handlung angedrohte Strafe verhängt werden.
Keine Person darf willkürlichen Eingriffen in ihr Privatleben, ihre Familie, ihre Wohnung und ihren Schriftverkehr oder Beeinträchtigungen ihrer Ehre und ihres Rufes ausgesetzt werden. Alle Menschen haben Anspruch auf rechtlichen Schutz gegen solche Eingriffe oder Beeinträchtigungen.
- Alle Menschen haben das Recht, sich innerhalb eines Staates frei zu bewegen und ihren Aufenthaltsort frei zu wählen.
- Alle Menschen haben das Recht, jedes Land, einschliesslich des eigenen, zu verlassen und in ihr Land zurückzukehren.
- Alle Menschen haben das Recht, in anderen Ländern vor Verfolgung Asyl zu suchen und zu geniessen.
- Dieses Recht kann nicht in Anspruch genommen werden im Falle einer Strafverfolgung, die tatsächlich auf Grund von Verbrechen nichtpolitischer Art oder auf Grund von Handlungen erfolgt, die gegen die Ziele und Grundsätze der Vereinten Nationen verstossen.
- Alle Menschen haben das Recht auf eine Staatsangehörigkeit.
- Keinem Menschen darf die eigene Staatsangehörigkeit willkürlich entzogen noch das Recht versagt werden, die Staatsangehörigkeit zu wechseln.
- Heiratsfähige Menschen haben ohne jede Beschränkung aufgrund von race[1], der Staatsangehörigkeit oder der Religion das Recht, zu heiraten und eine Familie zu gründen. Sie haben bei der Eheschliessung, während der Ehe und bei deren Auflösung gleiche Rechte.
- Eine Ehe darf nur bei freier und uneingeschränkter Willenseinigung der künftigen Ehepartner*innen geschlossen werden.
- Die Familie hat Anspruch auf Schutz durch Gesellschaft und Staat.
- Alle Menschen haben das Recht, sowohl allein als auch in Gemeinschaft mit anderen Eigentum innezuhaben.
- Kein Mensch darf willkürlich des Eigentums beraubt werden.
Alle Menschen haben das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit; dieses Recht schliesst die Freiheit ein, die Religion oder die Weltanschauung zu wechseln, sowie die Freiheit, ihre Religion oder ihre Weltanschauung allein oder in Gemeinschaft mit anderen, öffentlich oder privat durch Lehre, Ausübung, Gottesdienst und Kulthandlungen zu bekennen.
Alle Menschen haben das Recht auf Meinungsfreiheit und freie Meinungsäusserung; dieses Recht schliesst die Freiheit ein, Meinungen ungehindert anzuhängen sowie über Medien jeder Art und ohne Rücksicht auf Staatsgrenzen Informationen und Gedankengut zu suchen, zu empfangen und zu verbreiten.
- Alle Menschen haben das Recht, sich friedlich zu versammeln und zu Vereinigungen zusammenzuschliessen.
- Kein Mensch darf gezwungen werden, einer Vereinigung anzugehören
- Alle Menschen haben das Recht, an der Gestaltung der öffentlichen Angelegenheiten des eigenen Landes unmittelbar oder durch frei gewählte Vertreter*innen mitzuwirken.
- Alle Menschen haben das Recht auf gleichen Zugang zu öffentlichen Ämtern im eigenen Lande.
- Der Wille des Volkes bildet die Grundlage für die Autorität der öffentlichen Gewalt; dieser Wille muss durch regelmässige, unverfälschte, allgemeine und gleiche Wahlen mit geheimer Stimmabgabe oder einem gleichwertigen freien Wahlverfahren zum Ausdruck kommen
Alle Menschen haben als Mitglieder der Gesellschaft das Recht auf soziale Sicherheit und Anspruch darauf, durch innerstaatliche Massnahmen und internationale Zusammenarbeit sowie unter Berücksichtigung der Organisation und der Mittel jedes Staates in den Genuss der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte zu gelangen, die für ihre Würde und die freie Entwicklung der Persönlichkeit unentbehrlich sind.
- Alle Menschen haben das Recht auf Arbeit, auf freie Berufswahl, auf gerechte und befriedigende Arbeitsbedingungen sowie auf Schutz vor Arbeitslosigkeit.
- Alle Menschen haben ohne Unterschied das Recht auf gleichen Lohn für gleiche Arbeit.
- Alle Menschen, die arbeiten, haben das Recht auf gerechte und befriedigende Entlohnung, die ihnen und ihrer Familie eine der menschlichen Würde entsprechende Existenz sichert, gegebenenfalls ergänzt durch andere soziale Schutzmassnahmen.
- Alle Menschen haben das Recht, zum Schutze ihrer Interessen Gewerkschaften zu bilden und solchen beizutreten.
Alle Menschen haben das Recht auf Erholung und Freizeit und insbesondere auf eine vernünftige Begrenzung der Arbeitszeit und regelmässigen bezahlten Urlaub.
- Alle Menschen haben das Recht auf einen Lebensstandard, der ihnen und ihren Familien Gesundheit und Wohl gewährleistet, einschliesslich Nahrung, Kleidung, Wohnung, ärztliche Versorgung und notwendige soziale Leistungen, sowie das Recht auf Sicherheit im Falle von Arbeitslosigkeit, Krankheit, Behinderung oder Verwitwung, im Alter sowie bei anderweitigem Verlust ihrer Unterhaltsmittel durch unverschuldete Umstände.
- Erziehungsverantwortliche2 und Kinder haben Anspruch auf besondere Fürsorge und Unterstützung. Alle Kinder geniessen den gleichen sozialen Schutz.3
- Alle Menschen haben das Recht auf Bildung. Die Bildung ist unentgeltlich, zum mindesten der Grundschulunterricht und die grundlegende Bildung. Der Grundschulunterricht ist obligatorisch. Fach- und Berufsschulunterricht müssen allgemein verfügbar gemacht werden, und der Hochschulunterricht muss allen gleichermassen entsprechend ihren Fähigkeiten offenstehen.
- Die Bildung muss auf die volle Entfaltung der menschlichen Persönlichkeit und auf die Stärkung der Achtung vor den Menschenrechten und Grundfreiheiten gerichtet sein. Sie muss zu Verständnis, Toleranz und Freundschaft zwischen allen Nationen und allen Menschen beitragen und der Tätigkeit der Vereinten Nationen für die Wahrung des Friedens förderlich sein.
- Die Erziehungsberechtigten haben ein vorrangiges Recht, die Art der Bildung zu wählen, die den Kindern zuteil werden soll.
- Alle Menschen haben das Recht, am kulturellen Leben der Gemeinschaft frei teilzunehmen, sich an den Künsten zu erfreuen und am wissenschaftlichen Fortschritt und dessen Errungenschaften teilzuhaben.
- Alle Menschen haben das Recht auf Schutz der geistigen und materiellen Interessen, die ihnen als Urheber*innen von Werken der Wissenschaft, Literatur oder Kunst erwachsen.
Alle Menschen haben Anspruch auf eine soziale und internationale Ordnung, in der die in dieser Erklärung verkündeten Rechte und Freiheiten voll verwirklicht werden können.
- Alle Menschen haben Pflichten gegenüber der Gemeinschaft, in der allein die freie und volle Entfaltung ihrer Persönlichkeit möglich ist.
- Alle Menschen sind bei der Ausübung ihrer Rechte und Freiheiten nur den Beschränkungen unterworfen, die das Gesetz ausschliesslich zu dem Zweck vorsieht, die Anerkennung und Achtung der Rechte und Freiheiten anderer zu sichern und den gerechten Anforderungen der Moral, der öffentlichen Ordnung und des allgemeinen Wohles in einer demokratischen Gesellschaft zu genügen.
- Diese Rechte und Freiheiten dürfen in keinem Fall im Widerspruch zu den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen ausgeübt werden.
Keine Bestimmung dieser Erklärung darf dahin ausgelegt werden, dass sie für einen Staat, eine Gruppe oder eine Person irgendein Recht begründet, eine Tätigkeit auszuüben oder eine Handlung zu begehen, welche die Beseitigung der in dieser Erklärung verkündeten Rechte und Freiheiten zum Ziel hat.
1 Das englischsprachige Wort «race» und das deutsche Wort «Rasse» meinen unterschiedliche Dinge. Im englischsprachigen Raum bezieht sich der Begriff «race» auf die historische und aktuelle Wirkungsmacht der Rassialisierung von Menschen. Das deutsche Wort «Rasse» impliziert im allgemeinen deutschen Sprachgebrauch jedoch weiterhin die Existenz unterschiedlicher «menschlicher Rassen» und ist daher nicht zu verwenden. Mehr dazu im Glossar zur inklusiven Sprache: amnesty.ch/glossar
2 In der Originalfassung steht hier der Begriff «Mütter», den wir erweitern möchten auf alle Menschen, die Verantwortung für Kinder haben, ungeachtet ihrer biologischen Beziehung zum Kind.
3 In der Originalfassung steht in einem Nebensatz, dass sich der Schutz auf eheliche wie aussereheliche Kinder gleichermassen bezieht.