Aktion zur Lancierung des Appells gegen die sture Umsetzung der Dublin-Verordnung an der GV 2017 von Amnesty Schweiz. © Mario Heller
Aktion zur Lancierung des Appells gegen die sture Umsetzung der Dublin-Verordnung an der GV 2017 von Amnesty Schweiz. © Mario Heller

Generalversammlung von Amnesty Schweiz 2017 Keine sture Anwendung der Dublin-Verordnung

Basel, 23. April 2017
Die Mitglieder von Amnesty Schweiz haben auf ihrer Generalversammlung in Basel einen Appell gegen die sture Anwendung der Dublin-Verordnung verabschiedet. Ausserdem forderten die Aktivistinnen und Aktivisten ein Antidiskriminierungsgesetz zum Schutz der Rechte von LGBTI*. Zudem setzt sich Amnesty Schweiz für die Freilassung von inhaftierten Medienschaffenden in der Türkei ein.

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Die Schweiz steht bei den Dublin-Rückführungen an der Spitze Europas. In den vergangenen sechs Jahren hat sie 19'517 Personen in ein anderes europäisches Land zurückgeschickt, das entspricht 15 Prozent aller Asylsuchenden, die in die Schweiz gekommen sind. Im Vergleich dazu: in Deutschland betrifft das nur drei Prozent der Asylsuchenden.

«Die Schweiz wendet die Dublin-Verordnung zu strikt an», sagte Denise Graf, Asylexpertin von Amnesty Schweiz. «Dieser übertriebene Formalismus kann bei den Betroffenen die psychische und physische Gesundheit beeinträchtigen und zu einer Verletzung ihrer Grundrechte sowie der Rechte von Kindern führen.» Denn im Rahmen des Dublin-Abkommens werden Familien getrennt, Kinder mitten im Jahr aus ihrer Schulklasse gerissen und Kranke in ein Land abgeschoben, in dem ihre medizinische Versorgung nicht garantiert ist.

Das könnte vermieden werden, wenn die Schweiz Paragraph 17 der Einleitung zur Dublin-Verordnung III beherzigen würde, wonach sie in Härtefällen und / oder aus humanitären Gründen selbst über einen Asylantrag entscheiden kann

In einem nationalen Appell gegen die sture Anwendung der Dublin-Verordnung fordern die Mitglieder der Schweizer Sektion von Amnesty International deshalb gemeinsam mit den Organisationen Solidarité Tattes, Collectif R, Solidarité sans frontières und Droit de Rester vom Bundesrat, dass die Schweiz vermehrt von dieser Möglichkeit Gebrauch macht. Dublin-Rückschaffungen sollen vermieden werden, wenn Asylsuchende für Kleinkinder oder bereits eingeschulte Kinder verantwortlich sind, Familienangehörige haben, die bereits in der Schweiz leben, im Ausland nicht ausreichend medizinisch betreut werden können oder einen sogenannten Härtefall darstellen. Die kantonalen Behörden sollen zudem beim Vollzug von Dublin-Rückschaffungen internationales Recht und insbesondere die Uno-Kinderrechtskonvention respektieren.

Im Beisein von Prominenten aus Wissenschaft, Politik und Kultur wurde der Appell gegen die sture Anwendung der Dublin-Verordnung am Samstag national lanciert. Rund 200 Aktivistinnen und Aktivisten machten mit einer Menschenkette in Basel auf die Aktion aufmerksam und forderten eine grössere Solidarität der Schweiz mit Menschen auf der Flucht.

Antidiskriminierungsgesetz zum Schutz von LGBTI*-Rechten

Amnesty International Schweiz fordert ein Ende der Diskriminierung von sexuellen Minderheiten in der Schweiz und weltweit. Insbesondere braucht die Schweiz ein griffiges Anti-Diskriminierungs-Gesetz gegen verbale Beleidigung und Benachteiligung in Alltag und Beruf. Hassverbrechen müssen effektiv bekämpft und verhindert werden. Die Mitglieder von Amnesty Schweiz fordern auch ein Ende der Diskriminierung von nicht-heteronormativen Partnerschaften. Dazu gehört das Recht auf Familienleben, das Recht heiraten zu können, das Recht auf einen nicht-diskriminierenden Zugang zu Adoption und Fortpflanzungsmedizin. Sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität müssen zudem als Fluchtgrund anerkannt werden.

Pressefreiheit in der Türkei

Die Türkei hält einen traurigen Rekord bei der Einschränkung der Pressefreiheit, seit in der Folge des Putschversuchs vom Juli 2016 der Ausnahmezustand verhängt wurde: Nirgendwo sonst auf der Welt sind mehr Medienschaffende inhaftiert. Mehr als 120 Journalistinnen, Herausgeber und andere Medienangestellte sitzen zurzeit im Gefängnis. Über 160 Medienerzeugnisse wurden in den letzten Monaten, zumeist unter vagen Vorwürfen der Verbindung zu «terroristischen Organisationen», geschlossen, darunter sämtliche unabhängigen kurdischen Medien. Tausende verloren ihren Job. Regierungskritische Berichterstattung ist damit kaum mehr möglich. Diejenigen, die dies trotzdem wagen, zahlen einen hohen Preis.

Die Mitglieder der Schweizer Sektion von Amnesty International fordern vom türkischen Justizminister das Ende der Repressionskampagne gegen die Medienfreiheit und die sofortige Freilassung der inhaftierten Medienschaffenden.

 * LGBTI = Lesben, Schwule, Bi, Trans*- und Inter*-Personen. Das Sternchen lässt Raum für Personen, die sich nicht einordnen mögen oder können.