Amnesty International Jahresreport 2014/15 Bericht zur Schweiz

Diskriminierung

Im März 2014 gab der UN-Ausschuss für die Beseitigung der Rassendiskriminierung eine Empfehlung an die Regierung ab, eine klare und übergreifende Definition von direkter und indirekter Diskriminierung auf allen Rechtsgebieten einzuführen. Der Ausschuss appellierte zudem an die Regierung, aussagekräftige Daten über Diskriminierung zu erheben. Darüber hinaus empfahl er Massnahmen zur Verhinderung von Diskriminierung aufgrund der Rasse oder ethnischen Zugehörigkeit bei Identitäts- und Personenkontrollen und anderen Polizeieinsätzen.

Im November 2014 entschied das Verwaltungsgericht des Kantons St. Gallen, dass eine Schule unverhältnismässig gehandelt hatte, als sie einer muslimischen Schülerin das Tragen eines Kopftuchs verboten hatte.

Im September 2013 hatten sich die Bürgerinnen und Bürger des Kantons Tessin für ein Verbot der Vollverschleierung ausgesprochen. Das Verbot kann jedoch erst in Kraft treten, wenn das nationale Parlament zugestimmt hat.

Flüchtlinge, Asylsuchende, Migrantinnen und Migranten

Die Nationale Kommission zur Verhütung von Folter (NKVF) und verschiedene nationale NGOs zeigten sich nach wie vor besorgt über die Behandlung von Asylsuchenden. Kritikpunkte waren beispielsweise Verstösse gegen das Non-Refoulement-Prinzip (Ausschaffungsverbot) sowie der Einsatz von Gewalt bei Abschiebungen.

Die NKVF hat Fälle von unverhältnismässiger Gewaltanwendung und Fesselungsmassnahmen beim Transport von Ausschaffungshäftlingen zum Flughafen beobachtet und dokumentiert. Um das Problem unterschiedlicher Praktiken bei verschiedenen Polizeieinheiten zu lösen, hat die NKVF eine einheitliche Herangehensweise gefordert und die Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektorinnen und -direktoren (KKJPD) um eine landesweite Regulierung gebeten. Angesichts der Praxis, bei Zwangsrückführungen Minderjährige zeitweise von ihren Eltern zu trennen, rief die NKVF dazu auf, den Grundsatz des Kindeswohls stärker zu achten.

Im Mai 2014 veröffentlichte das Bundesamt für Migration (BFM) die Empfehlungen aus internen und externen Überprüfungen, welche durchgeführt wurden, nachdem zwei tamilische Asylsuchende aus der Schweiz nach Sri Lanka ausgeschafft und dort im Juli und August 2013 festgenommen worden waren. Die beiden Männer wurden mehrere Monate lang von den sri-lankischen Behörden festgehalten und in ein «Resozialisierungslager» überstellt. Nach Kritik durch NGOs und in Erwartung der Überprüfungsergebnisse setzte das BFM im September 2013 Ausschaffungen nach Sri Lanka kurzzeitig aus. Nach einer weiteren Informationsreise der schweizerischen Behörden nach Sri Lanka kündigte das BFM im Mai 2014 an, alle Fälle von Asylsuchenden aus Sri Lanka prüfen zu wollen, deren Anträge in letzter Instanz abgelehnt wurden, und die Rückführungen nach Sri Lanka wieder aufzunehmen.

Haftbedingungen

Am 26. Februar 2014 entschied das Bundesgericht, dass die Haftbedingungen von zwei Gefangenen in der Genfer Strafanstalt Champ-Dollon unmenschlicher Behandlung entsprochen hatten und die Anstalt damit Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention verletzt hatte. Die beiden Männer waren jeweils drei Monate lang in einer 23m2 grossen Zelle festgehalten worden, die nur für drei Häftlinge ausgelegt war, in der sich jedoch sechs Gefangene befanden. Sie mussten pro Tag 23 Stunden in der Zelle verbringen und hatten keinerlei Zugang zu Aktivitäten. Die NKVF sowie verschiedene schweizerische NGOs haben wiederholt Bedenken bezüglich einer Überbelegung der Strafanstalt Champ-Dollon geäussert. Im November 2014 wurden dort statt der vorgesehenen 376 Personen 811 Personen festgehalten. Im Februar 2014 kam es zu Unruhen, in deren Zuge acht Wärter und etwa 30 Insassen verletzt wurden.

Weitere gesetzliche, verfassungsrechtliche und institutionelle Entwicklungen

Zu den Schlussfolgerungen des UN-Ausschuss für die Beseitigung der Rassendiskriminierung vom März 2014 gehörte auch die Empfehlung an die Regierung, einen unabhängigen Mechanismus einzurichten, der sicherstellt, dass Volksinitiativen nicht zu Gesetzen führen, die mit den Verpflichtungen der Schweiz nach internationalen Menschenrechtsstandards unvereinbar sind. Mehrere Volksinitiativen und Referenden der Schweizerischen Volkspartei wurden bisher nicht umgesetzt, da sie mit dem Völkerrecht unvereinbar sind. Hierzu gehört zum Beispiel die als «Ausschaffungsinitiative», die vom Volk im Jahr 2010 angenommen wurde: Sie fordert eine Verfassungsänderung, um ausländische Staatsangehörige, die wegen bestimmter Straftaten verurteilt wurden, automatisch auszuweisen. Auch die Volksinitiative «gegen Masseneinwanderung», die willkürliche Einwanderungskontingente einführen wollte, wurde bisher nicht umgesetzt.