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Amnesty International Report 2015-2016 So steht es um die Menschenrechte in der Schweiz

24. Februar 2016
Überwachung, mangelnder Schutz für Opfer von Menschenhandel, unverhältnismässige Gewaltanwendung durch Polizeibeamte, menschenrechtsfeindliche Volksinitiativen: Das sind Kernpunkte aus dem Schweiz-Kapitel des Amnesty International Report 2015-2016.

Amtliche Bezeichnung: Schweizerische Eidgenossenschaft
Bundespräsidentin 2015: Simonetta Sommaruga

Zusammenfassung

Das Parlament verabschiedete ein weitreichendes neues Überwachungsgesetz. Unverhältnismässige Gewaltanwendung durch Polizeibeamte, namentlich bei Abschiebungen von Asylsuchenden, waren weiterhin ein Thema, ebenso die Schwäche der geltenden Rechenschaftsmechanismen für Polizeibeamte. Opfern von Menschenhandel sowie ausländischen Opfern von häuslicher Gewalt wurde der Zugang zu Schutzmassnahmen erschwert.

Gesetzliche, verfassungsrechtliche und institutionelle Entwicklungen

Im März 2015 lancierte die Schweizerische Volkspartei (SVP), die Ende des Jahres die grösste Fraktion in der Bundesversammlung stellte, unter dem Titel «Schweizer Recht statt fremde Richter» eine Volksinitiative mit dem Ziel, die Schweizer Bundesverfassung über völkerrechtliche Verpflichtungen zu stellen. Die vorgeschlagene Verfassungsänderung müsste zwar zuerst noch in einer Volksabstimmung gutgeheissen werden, um in Kraft zu treten. Die damit verbundenen Debatten schürten jedoch bereits ein Klima der Feindseligkeit gegenüber internationalen Menschenrechtsverträgen und besonders der Europäischen Menschenrechtskonvention.

Folter und andere Misshandlungen

Im August 2015 kritisierte der UN-Ausschuss gegen Folter, dass der Tatbestand der Folter noch immer nicht ins Schweizer Strafgesetzbuch aufgenommen wurde. Auch äusserte sich der Ausschuss besorgt über die unzureichende Finanzierung der Nationalen Kommission zur Verhütung von Folter (Folter-Präventionsmechanismus des Landes).

Der UN-Ausschuss forderte die Schweizer Behörden im Weiteren auf, einen wirksamen unabhängigen Beschwerdemechanismus für Fälle von Polizeigewalt einzurichten. Ausserdem sollen mit Gesetzesänderungen und einer besseren Ausbildung von Justiz- und Polizeibeamten die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, dass mehr Fälle von Gewalt gegen Frauen strafrechtlich verfolgt werden. Eine weitere Forderung des Ausschusses ist die Aufnahme des Istanbul-Protokolls (UN-Standard für die Untersuchung und Dokumentation von Folter) n die Ausbildungsinhalte von Beamten der Strafverfolgungsbehörden.

Polizei und Sicherheitskräfte

Im Juli veröffentlichte die Nationale Kommission zur Verhütung von Folter (NKVF) einen Bericht, in dem sie sich besorgt zeigte über die übertriebene Anwendung von Zwangsmassnahmen durch die Polizei und die Sicherheitskräfte bei Ausschaffungen (Abschiebungen). Der Bericht dokumentierte Fälle von Vollfesselungen schutzbedürftiger Personen und die Anwendung von Zwangsmassnahmen gegen Personen, die keine Gegenwehr gegen ihre Abschiebung leisteten. Die NKVF äusserte zudem erneut Besorgnis über eine fehlende einheitliche Vorgehensweise der verschiedenen kantonalen Polizeieinheiten bei Abschiebungen.

Flüchtlinge, Asylsuchende, Migrantinnen und Migranten

Abschiebungshaft
Zivilgesellschaftliche Organisationen und der UN-Ausschuss gegen Folter zeigten sich besorgt über die unverhältnismässig vielen Inhaftierungen von Migrantinnen und Migranten ohne regulären Aufenthaltsstatus in einigen Kantonen. Besonders häufig kam es im Zusammenhang mit Dublin-Rückführungen von Asylsuchenden in EU-Länder zu solchen Inhaftierungen. Der Ausschuss kritisierte ausserdem, dass Asylsuchende im Alter von 15 bis 18 Jahren in der Schweiz bis zu einem Jahr in Haft gehalten werden können.

Menschenhandel
Zivilgesellschaftliche Organisationen äusserten sich kritisch über eine nationale Weisung, die im Juli 2015 an die Kantone übermittelt wurde. Die mit der Weisung in Kraft gesetzten neuen Massnahmen sehen vor, dass Opfer von Menschenhandel nur unter der Bedingung Zugang zu humanitärem Schutz erhalten, dass sie in Strafverfahren gegen Schleuser aussagen. Zudem wurden Opfer von Menschenhandel, die sich in einem laufenden Asylverfahren befinden, durch die neuen Bestimmungen von humanitären Schutzmassnahmen ausgeschlossen.

Häusliche Gewalt
Im August 2015 kritisierte der UN-Ausschuss gegen Folter, dass Ausländerinnen, die häusliche Gewalt erleiden, erst ab einem bestimmten Schweregrad der Übergriffe als Härtefall betrachtet werden. Ist dieser Schweregrad nicht erreicht, müssen die Gewaltopfer gemäss dem geltenden Ausländergesetz befürchten, ihre an den Ehemann gebundene Aufenthaltsgenehmigung zu verlieren, wenn sie sich von ihm trennen wollen.

Recht auf Privatsphäre

Im September 2015 erliess das Parlament ein neues Überwachungsgesetz, das unter anderem den Nachrichtendienst des Bundes dazu befugt, Datenströme in die Schweiz und aus der Schweiz weitflächig abzufangen, Metadaten, Browserverläufe und Inhalte von E-Mails einzusehen sowie Spionage-Software der Regierung (Staatstrojaner) einzusetzen.