Volksrepublik China
Staatsoberhaupt: Xi Jinping
Regierungschef: Li Keqiang
Menschenrechtsverteidiger*innen
Autonome Regionen Xinjiang, Tibet und Innere Mongolei
Religions- und Glaubensfreiheit
Lesben, Schwule, Bisexuelle, Trans- und Intergeschlechtliche (LGBTI*)
Sonderverwaltungsregion Hongkong
Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit
Chinesische Bürger*innen forderten Meinungsfreiheit und Transparenz, nachdem die staatlichen Stellen medizinisches Personal wegen deren Warnungen vor dem Virus gemassregelt hatten. Vor den Vereinten Nationen wurde China scharf kritisiert und aufgefordert, den sofortigen, wirksamen und ungehinderten Zugang zu Xinjiang zu gewähren. Die Meinungsfreiheit wurde nach wie vor stark beschnitten. Ausländische Journalist*innen mussten mit ihrer Inhaftierung und Ausweisung rechnen, und ihre Anträge auf Visumsverlängerung wurden mit Verzögerung bearbeitet oder abgelehnt. Chinesische und ausländische Technologieunternehmen sperrten von der Regierung als politisch sensibel eingestufte Inhalte, wodurch die Zensurbestimmungen auch ausserhalb Chinas Anwendung fanden. China erliess sein erstes Zivilgesetzbuch, zu dem Tausende von Eingaben aus der Bevölkerung mit der Forderung nach der Legalisierung der gleichgeschlechtlichen Ehe eingegangen waren. Mit der Einführung eines Gesetzes über nationale Sicherheit in Hongkong wurde dort die Meinungsfreiheit beträchtlich eingeschränkt.
Menschenrechtsverteidiger*innen
Trotz verfassungsrechtlicher Bestimmungen sowie internationaler Zusagen und Verpflichtungen setzte China seine unerbittliche Verfolgung von Menschenrechtsverteidiger*innen und politisch engagierten Bürger*innen fort. Diese waren das ganze Jahr über systematischer Drangsalierung und Einschüchterungen ausgesetzt, wurden willkürlich in Gewahrsam ohne Kontakt zur Aussenwelt genommen, zu langen Haftstrafen verurteilt oder fielen dem Verschwindenlassen zum Opfer. Das Fehlen einer unabhängigen Justiz und wirksamer Garantien für ein faires Gerichtsverfahren kam bei diesen immer wiederkehrenden Menschenrechtsverletzungen erschwerend hinzu. Vielen Menschenrechtsanwält*innen verwehrte man ihr Recht auf Bewegungsfreiheit, ebenso wie das Recht, Angeklagte zu treffen und zu vertreten und Einsicht in die Fallakten zu erhalten. Menschenrechtsverteidiger*innen und politisch engagierte Bürger*innen gerieten ins Visier der Staatsorgane und wurden wegen weit gefasster und vage formulierter Vergehen wie «Untergrabung der staatlichen Ordnung» bzw. der Anstiftung dazu oder wegen «Provokation von Streit und Sabotage der gesellschaftlichen Ordnung» angeklagt.
Zahlreiche prominente Menschenrechtsverteidiger*innen und engagierte Bürger*innen wurden weiterhin willkürlich festgehalten, weil sie im Dezember 2019 an einer privaten Versammlung in Xiamen, in der Provinz Fujian, teilgenommen hatten. Am 23. März brachten UN-Menschenrechtsexpert*innen ihre grosse Sorge um den früheren Menschenrechtsanwalt Ding Jiaxi und andere Menschenrechtsverteidiger zum Ausdruck, die nach Einschätzung der Vereinten Nationen dem Verschwindenlassen zum Opfer gefallen sind. Am 19. Juni wurden die Juristen Xu Zhiyong und Ding Jiaxi nach sechsmonatiger Haft ohne Kontakt zur Aussenwelt wegen «Anstiftung zur Untergrabung der staatlichen Ordnung» formell verhaftet und unter «Hausarrest an einem festgelegten Ort» gestellt, ohne Zugang zu ihren Familien und Rechtsbeiständen ihrer Wahl zu erhalten. Am 24. Februar wurde der Hongkonger Buchhändler Gui Minhai nach einem Geheimprozess wegen «illegaler Preisgabe von Geheimdienstinformationen an ausländische Stellen» zu zehn Jahren Haft verurteilt. Cheng Yuan, Liu Yongze und Wu Gejianxiong, die mit ihren Aktionen Diskriminierung angeprangert hatten, standen zwischen dem 31. August und dem 4.September wegen «Untergrabung der staatlichen Ordnung» in einem geheimen Verfahren vor Gericht, nachdem sie zuvor mehr als ein Jahr ohne Kontakt zur Aussenwelt in Haft verbracht hatten. Die drei Männer wurden allein aus dem Grund willkürlich inhaftiert, weil sie sich für die Rechte von Randgruppen und besonders schutzbedürftigen Menschen eingesetzt haben.
Huang Qi, Gründer und Leiter des Menschenrechtsportals «64 Tianwang» in Sichuan, durfte am 17. September schliesslich mit seiner Mutter sprechen, das erste Mal seit seiner Inhaftierung vor mehr als vier Jahren. Sein Gesundheitszustand hat sich Berichten zufolge seit seiner Verurteilung zu zwölf Jahren Gefängnis im Januar 2019 verschlechtert, und er wies demnach Symptome von Unterernährung auf. Der wegen Spionage angeklagte australische Schriftsteller und Blogger Yang Hengjun, der seit dem 30.Dezember 2019 ohne Kontakt zur Aussenwelt in Haft gehalten wird, durfte am 31. August schliesslich einen konsularischen Vertreter Australiens und seinen Anwalt sehen. Er hat Berichten zufolge über 300 Verhöre über sich ergehen lassen müssen und streitet weiterhin alle Anschuldigungen gegen ihn ab.
Fünf Jahre nach dem beispiellosen Vorgehen gegen Menschenrechtsverteidiger*innen und Rechtsanwält*innen, das als «Razzia 709» bekannt wurde, sind viele Anwält*innenweiterhin im Gefängnis oder werden ständig observiert. Am 17.Juni wurde der Menschenrechtsanwalt Yu Wensheng unter Ausschluss der Öffentlichkeit vor Gericht gestellt und wegen angeblicher «Anstiftung zur Untergrabung der staatlichen Ordnung» zu vier Jahren Haft verurteilt, nachdem er 18 Monate lang ohne Kontakt zur Aussenwelt in Gewahrsam gehalten worden war. Nach Angaben seines Rechtsbeistands wurde Yu Wensheng in der Haft gefoltert, und sein Gesundheitszustand hat sich drastisch verschlechtert. Der Menschenrechtsanwalt Jiang Tianyong, den man 2019 nach Verbüssung einer zweijährigen Haftstrafe wegen «Anstiftung zur Untergrabung der staatlichen Ordnung « freigelassen hatte, wurde zusammen mit seinen Eltern nach wie vor streng überwacht. Der Menschenrechtsanwalt Wang Quanzhang wurde am 4.April nach mehr als vier Jahren Gefängnis wegen «Untergrabung der staatlichen Ordnung» auf freien Fuss gesetzt und war Ende April wieder bei seiner Familie. Er war nach Angaben seines Anwalts gefoltert worden.
Autonome Regionen Xinjiang, Tibet und Innere Mongolei
Unter dem Vorwand der Bekämpfung von Separatismus, Extremismus und Terrorismus in der Uigurischen Autonomen Region Xinjiang und der Autonomen Region Tibet hielten die schweren und weitreichenden Repressionen gegen ethnische Minderheiten unvermindert an. Die Ein- und Ausreise nach bzw. aus Tibet blieben stark eingeschränkt, und zwar insbesondere für Journalist*innen, Wissenschaftler*innen und Vertreter*innen von Menschenrechtsorganisationen, was es extrem schwierig machte, die Menschenrechtslage in der Region zu überprüfen und zu dokumentieren. Seit 2017 wurden in Xinjiang schätzungsweise eine Million oder noch mehr Uigur*innen, Kasach*innen und Angehörige anderer überwiegend muslimischer Volksgruppen willkürlich und ohne Gerichtsverfahren inhaftiert und in Einrichtungen zur «Umerziehung» politischer Indoktrination und kultureller Zwangsassimilation unterzogen. Das volle Ausmass der Menschenrechtsverletzungen zu dokumentieren, war aufgrund fehlender öffentlich zugänglicher Daten und des beschränkten Zugangs zu der Region nach wie vor nicht möglich. Obwohl die staatlichen Stellen zunächst die Existenz der Lager geleugnet hatten, bezeichneten sie sie später als «Berufsbildungsstätten». Auf Satellitenbildern ist zu sehen, dass im Laufe des Jahres immer mehr Lager errichtet worden sind.
Der seit 2017 verschollene prominente uigurische Historiker und Verleger Iminjan Seydin tauchte plötzlich wieder auf und lobte die chinesische Regierung in einem Video, das Anfang Mai von einer staatlichen englischsprachigen Zeitung veröffentlicht wurde. Die allem Anschein nach vorformulierten Äusserungen sollten wohl dazu dienen, die öffentliche Aussage seiner Tochter über seine willkürliche Inhaftierung zu diskreditieren. Von Ekpar Asat, einem uigurischen Unternehmer und Philanthropen, fehlte seit 2016 jede Spur, nachdem er von der Teilnahme an einem Schulungsprogramm des US-Aussenministeriums für Führungskräfte nach Xinjiang zurückgekehrt war. Im Januar entdeckte seine Schwester, dass er insgeheim wegen «Anstiftung zu ethnisch motiviertem Hass und Diskriminierung» zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt worden war.
Von dem seit Januar inhaftierten uigurischen Fotomodell Merdan Ghappar hatte man seit März nichts mehr gesehen oder gehört, als Nachrichten und Bilder von ihm, die über seine schlechten Haftbedingungen Auskunft geben, in den sozialen Medien auftauchten. Die Uigurin Mahira Yakub, die für eine Versicherung arbeitete, wurde im Januar wegen «materieller Unterstützung terroristischer Aktivitäten» angeklagt, weil sie Geld an ihre Eltern in Australien überwiesen hatte. Laut ihrer Schwester diente das im Jahr 2013 überwiesene Geld dazu, ihren Eltern beim Kauf eines Hauses zu helfen. Der kasachische Schriftsteller Nagyz Muhammed wurde im September wegen «Separatismus» im Zusammenhang mit einem Abendessen zu lebenslanger Haft verurteilt, zu dem er sich vor rund zehn Jahren am kasachi schen Unabhängigkeitstag mit Freund*in nen eingefunden hatte.
Immer mehr Uigur*innen im Ausland forderten von den staatlichen Stellen Beweise, dass ihre verschollenen Angehörigen in Xinjiang noch am Leben sind. Im Ausland lebende Uigur*innen wurden Berichten zufolge von diplomatischen Vertretungen Chinas im jeweiligen Land ihres Aufenthalts darauf hingewiesen, dass sie ihren chinesischen Pass nur erneuern könnten, wenn sie nach Xinjiang zurückkehrten. Botschaften und Agent*in nen der Volksrepublik China schikanierten und schüchterten in der Diaspora lebende Uigur*innen und Angehörige anderer Minderheiten auf der ganzen Welt ein. Um den Aktivitäten der im Ausland lebenden Uigur*innen Einhalt zu gebieten und sie zum Schweigen zu bringen, nahmen die örtlichen Behörden in Xinjiang Berichten zufolge deren dort lebende Angehörige ins Visier. Zahlreiche Uigur*innen, die sich im Ausland aufhalten, wurden von chinesischen Sicherheitsbeamt*innen über Kurznachrichtendienste kontaktiert und aufgefordert, Informationen wie ihre Ausweisnummer und die ihrer Ehepartner*innen und Angaben über ihren Wohnort sowie Passfotos zu übermitteln. Andere erhielten Berichten zufolge wiederholt Anrufe vom chinesischen Staatssicherheitsdienst, in denen sie aufgefordert wurden, Informationen über andere uigurische Gemeinschaften im Ausland zu sammeln und diese auszuspionieren.
Im Juni 2020 übten 50 unabhängige UN-Menschenrechtsexpert*innen scharfe Kritik an China wegen der Unterdrückung religiöser und ethnischer Minderheiten, zu der es unter anderem in Xinjiang und Tibet gekommen ist. Am 6. Oktober gaben 39 UN-Mitgliedstaaten eine gemeinsame Erklärung ab, in der sie ihre grosse Besorgnis über die Menschenrechtslage in Xinjiang, Hongkong und anderen Landesteilen zum Ausdruck brachten und China aufforderten, unabhängigen Beobachter*innen, einschliesslich des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte und der zuständigen UN-Sonderverfahren, umgehend einen wirksamen und ungehinderten Zugang zu Xinjiang zu gewähren. Unter Ausnutzung seines wachsenden politischen und wirtschaftlichen Einflusses und seiner immer gewichtigeren Rolle innerhalb der Vereinten Nationen suchte China weiterhin nach Wegen, wie es etablierte Menschenrechtsmechanismen untergraben kann.
In einzelnen Regionen der Inneren Mongolei kam es zu Protesten gegen eine neue «zweisprachige Bildungspolitik», die darauf abzielt, die Unterrichtssprache in mehreren Fächern während der neun Jahre umfassenden Schulpflicht schrittweise von Mongolisch auf Hochchinesisch umzustellen. Medienberichten zufolge wurden Hunderte von Menschen, darunter Schüler*innen, Eltern, Lehrer*innen, schwangere Frauen und Kinder, wegen «Provokation von Streit und Sabotage der gesellschaftlichen Ordnung» festgenommen, nur weil sie an friedlichen Protesten teilgenommen oder Informationen über Proteste im Internet verbreitet hatten. Der Menschenrechtsanwalt Hu Baolong wurde Berichten zufolge unter dem Vorwurf der «Weiterleitung von Staatsgeheimnissen ins Ausland» formell verhaftet.
Recht auf Gesundheit
Durch die staatliche Zensur wurde der Austausch lebenswichtiger Informationen in den ersten Wochen des Corona-Ausbruchs in Wuhan behindert. In der Anfangsphase der Epidemie wurden Journalist*innen und Bürger*innen, die eigene Recherchen angestellt hatten, sowie das Gesundheitspersonal daran gehindert, über den Ausbruch zu berichten. Die örtlichen Behörden gaben später zu, dass sie Informationen zurückgehalten und somit die Öffentlichkeit daran gehindert hatten, rechtzeitig notwendige Informationen über das Virus zu erhalten. Bis zum 21. Februar gab es nach Angaben des Ministeriums für öffentliche Sicherheit bereits mehr als 5511 strafrechtliche Ermittlungsverfahren gegen Personen, die Informationen im Zusammenhang mit dem Covid-19-Ausbruch veröffentlicht hatten, und zwar wegen der «Erfindung und absichtlichen Verbreitung falscher und schädlicher Informationen».
Obwohl Gesundheitsexpert*innen Ende Dezember 2019 wegen des Virus Alarm geschlagen hatten, wurde eine koordinierte Reaktion durch das Versäumnis der Regierung, sofort zu reagieren, und durch die gezielte Verfolgung derjenigen, die ihre Stimme erhoben, hinausgezögert.
Durch die allumfassende Anwendung von Beschattungsmassnahmen und technologischer Überwachung im Namen der öffentlichen Gesundheit und Sicherheit geriet die Gesellschaft immer mehr in den Würgegriff des Staates. Jede Provinzregierung setzte Hunderttausende von kommunalen Bediensteten ein, damit sie über einzelne Zellen wachen, in die ihre Stadtteile aufgeteilt wurden, und Abriegelungsmassnahmen durchsetzen. Vielen Bewohner*innen, die entsprechende Dokumente nicht vorweisen konnten oder kurzzeitig verreist waren, wurde der Zutritt zu ihren eigenen Wohnungen verweigert. Im April wurden in Guangzhou (Kanton) und an anderen Orten lebende Afrikaner*innen im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie diskriminiert, indem man sie aus ihren Wohnungen oder Hotels vertrieben und ihnen das Betreten von Restaurants untersagt hat.
Meinungsfreiheit
Das Internet wurde weiterhin zensiert, unter anderem mit dem Ziel, Informationen über die Corona-Pandemie und extreme Abriegelungsmassnahmen zu unterdrücken. In Wuhan, dem Epizentrum der Pandemie, wurden medizinisches Personal und engagierte Bürger*innen von den Behörden wegen «falscher Äusserungen» und «schwerer Störung der gesellschaftlichen Ordnung» schikaniert. Der Arzt Li Wenliang, einer von acht Personen, die versuchten, Alarm zu schlagen, bevor der Ausbruch bekanntgegeben wurde, wurde vier Tage, nachdem er eine Warnmeldung in einer Chat-Gruppe verschickt hatte, in der er seinen Kolleg*innen riet, persönliche Schutzausrüstung zu tragen, um einer Infektion vorzubeugen, von der örtlichen Polizei zurechtgewiesen. Als er dann an Covid-19 starb, löste dies im Internet landesweite Empörung und Trauer aus, und es wurden Forderungen nach Meinungsfreiheit und einem Ende der Zensur laut. Die Behörden blockierten Hunderte von Kombinationen bestimmter Schlüsselwörter in den sozialen Medien und Kurznachrichtdiensten. Kommentare von Andersdenkenden im Internet, sensible Hashtags im Zusammenhang mit dem Ausbruch der Pandemie und Forderungen nach Redefreiheit wurden schnell gelöscht. Durchgesickerte Nachrichten deuteten darauf hin, dass der «Verbreitung von Gerüchten» beschuldigte Personen von den staatlichen Stellen angewiesen wurden, ihre Social-Media-Konten und Beiträge zu löschen.
Personen, die Details über den Covid-19-Ausbruch offenlegten, wurden von den Staatsorganen festgenommen oder anderweitig bestraft. Zahlreiche Journalist*innen und politisch engagierte Bürger*innen wurden dem Vernehmen nach drangsaliert und über länger Zeit ohne Kontakt zur Aussenwelt in Gewahrsam gehalten, nur weil sie Informationen über die Corona-Pandemie in den sozialen Medien veröffentlicht hatten. Der Menschenrechtsverteidiger Chen Mei und zwei weitere an dem durch Crowdsourcing finanzierten Vorhaben «Terminus2049» beteiligte Personen wurden am 19.April von der Polizei in Peking festgenommen. Der Kontakt zu ihren Familien wurde ihnen verwehrt, nur weil sie öffentliche Informationen über die Pandemie gesammelt und archiviert hatten. Der unerschrockene Anwalt und als inoffizieller Journalist tätige Chen Qiushi und der in Wuhan lebende Fang Bin sind seit Anfang Februar verschollen, nachdem sie über den Ausbruch der Krankheit berichtet und Bildmaterial aus Krankenhäusern in Wuhan veröffentlicht hatten. Ihr genauer Aufenthaltsort konnte nicht in Erfahrung gebracht werden. Am 28.Dezember wurde Zhang Zhan, die sich ebenfalls als inoffizielle Reporterin betätigt hatte, wegen ihrer Berichterstattung über die Corona-Pandemie in Wuhan zu vier Jahren Haft verurteilt. Mehr als drei Monate lang war sie ohne Unterbrechung gefesselt. Berichten zufolge wurde sie zudem gefoltert und von Amtspersonen zwangsernährt, nachdem sie in einen Hungerstreik getreten war.
Im Laufe des Jahres drohte mehreren ausländischen Journalist*innen die Ausweisung, während anderen die Verlängerung ihres Visums verschleppt oder verweigert wurde. Das chinesische Aussenministerium entzog für US-Mediengruppen tätigen amerikanischen Journa list*in nen die Akkreditierung und wies sie aus dem Land. Im August wurde die australische Journalistin Cheng Lei wegen des Verdachts der «Gefährdung der nationalen Sicherheit» «an einem festgelegten Ort unter Hausarrest» gestellt. Zwei weitere australische Journalisten verliessen das Land, nachdem sie zunächst an der Ausreise gehindert und von Angehörigen der Sicherheitsdienste verhört worden waren.
Im April 2020 legten die staatlichen Stellen neue strenge Beschränkungen für wissenschaftliche Abhandlungen über die Suche nach dem Ursprung des Corona-Virus fest, die nun einer vom Staatsrat ernannten Arbeitsgruppe zur Genehmigung vorgelegt werden müssen. Am 13. Juli wurde der Juraprofessor Xu Zhangrun, der Kritik an der Reaktion der Regierung auf den Ausbruch der Corona-Pandemie öffentlich kundgetan hatte, nach sechs Tagen Haft freigelassen. Wie es heisst, verlor er einen Tag nach seiner Haftentlassung seine Stelle an der Tsinghua-Universität. Am 19.August kündigte die Universität Peking neue Regeln für die Teilnahme an Webinaren und Konferenzen im Internet an, die von Einrichtungen im Ausland bzw. in Hongkong oder Macao organisiert werden. Laut der Mitteilung müssen die Teilnehmer*innen 15 Tage vor einer Veranstaltung eine Genehmigung beantragen und einholen.
Chinas Zensur und Überwachung erstreckte sich 2020 auch über die Grenzen des Landes hinaus. Unter Einhaltung der strengen inländischen Zensurvorgaben blockierten und zensierten chinesische Technologie-Unternehmen, die ausserhalb Chinas tätig sind, Inhalte, die als «politisch sensibel» gelten, darunter Themen, die sich auf ethnische Minderheiten, politische Unruhen und Kritik an der chinesischen Regierung beziehen. Am 12. Juni 2020 räumte das US-Unternehmen Zoom, das Software für Videokonferenzen anbietet, ein, dass es gemäss der Forderung der chinesischen Regierung die Konten von ausserhalb Chinas lebenden Menschenrechtsverteidiger*innen gesperrt hat, und deutete an, dass es fortan Videokonferenzen, die von der chinesischen Regierung als «illegal» betrachtet werden, blockieren werde. Das Videoportal TikTok löschte zahlreiche Videos, die von im Ausland lebenden Uigur*innen verbreitet wurden, um damit auf ihre verschollenen Angehörigen aufmerksam zu machen. An die Öffentlichkeit gelangten internen Dokumenten ist zu entnehmen, dass TikTok Moderator*innen angewiesen hat, Videos zu zensieren, die «politisch sensible» Themen wie Falun Gong oder die blutige Niederschlagung der Proteste auf dem Tiananmen-Platz im Jahr 1989 zum Inhalt hatten.
Religions- und Glaubensfreiheit
Mit am 1.Februar 2020 in Kraft getretenen Verordnungen wurde festgelegt, dass religiöse Gruppen «der Führung der Kommunistischen Partei Chinas folgen, (…) die Richtung einer Sinisierung der Religion beibehalten und die grundlegenden sozialistischen Werte hochhalten» müssen. Die Regierung war bestrebt, religiöse Lehren und Praktiken mit der Staatsideologie in Einklang zu bringen und die Kontrolle sowohl über staatlich anerkannte als auch nicht registrierte religiöse Gruppen umfassend zu verstärken. In Berichten wurde die Zerstörung Tausender kultureller und religiöser Stätten, vor allem im Nordwesten Chinas, dokumentiert. Besonders schlimm war die staatliche Unterdrückung der Religion weiterhin in Xinjiang und Tibet. Menschen wurden willkürlich wegen gewöhnlicher religiöser Praktiken inhaftiert, die von den Behörden gemäss den «Verordnungen zur Entradikalisierung» als «Anzeichen von Extremismus» angesehen wurden.
Lesben, Schwule, Bisexuelle, Trans- und Intergeschlechtliche (LGBTI)
Am 13.August kündigte Shanghai Pride, Chinas grösstes und am längsten bestehendes LGBTI-Festival, angesichts der schrumpfenden Betätigungsmöglichkeiten für die LGBTI*-Gemeinschaft an, alle Aktivitäten einzustellen. Menschen, die sich für die Rechte von LGBTI einsetzen, wurden schikaniert, weil sie sich gegen Diskriminierung und Homofeindlichkeit aussprachen. Internetplattformen, einschliesslich Mikroblogs und Online-Magazinen, blockierten und entfernten LGBTI*-bezogene Inhalte und Hashtags. Trotz dieser Widrigkeiten und des zunehmenden Drucks kämpften zu den LGBTI*-Gemeinschaften gehörende Personen weiter für ihre Rechte. Eine Studentin hat Berichten zufolge eine offizielle Beschwerde über Verweise auf Schwule und Lesben in einem von der Regierung genehmigten Lehrbuch eingereicht, wonach diese an einer «gängigen psychosexuellen Störung» litten. Das Gericht wies die Klage im August ab, obwohl China «Homosexualität» seit 2001 nicht mehr als psychische Störung einstuft. Am 28. Mai verabschiedete der Nationale Volkskongress (NVK) sein erstes Zivilgesetzbuch, zu dessen Entwurf 213'634 Kommentare aus der Öffentlichkeit zum Kapitel über die Ehe eingegangen waren. Obwohl ein Sprecher des Nationalen Volkskongresses (NPC) eine grosse Zahl von Forderungen nach der Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe bestätigte, wurde diese nach dem Zivilgesetzbuch, das am 1. Januar 2021 in Kraft trat, noch nicht legalisiert.
Sonderverwaltungsregion Hongkong
Chinas oberstes Legislativorgan verabschiedete das weit gefasste Gesetz der Volksrepublik China zur Wahrung der nationalen Sicherheit in der Sonderverwaltungsregion Hongkong (das Gesetz zur nationalen Sicherheit). Die Regierung von Hongkong ging immer schärfer gegen Anhänger*innen der Demokratiebewegung und führende Oppositionelle vor und nutzte die nationale Sicherheit als Vorwand, um im Bereich der Medien und der Bildung einzuschreiten. Das Recht auf Versammlungsfreiheit in friedlicher Form wurde durch die offenkundig willkürliche Durchsetzung von Vorschriften der räumlichen Distanzierung im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie weiter beschnitten.
Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit
Die Massnahmen zur Unterdrückung des Rechts auf friedliche Versammlung wurden auch nach den Protesten im Jahr 2019 fortgesetzt. Nur drei Stunden nach dem Beginn einer Kundgebung am Neujahrstag erklärte die Polizei eine genehmigte Demonstration für «rechtswidrig» und gab den Organisator*innen und Zehntausenden von weitgehend friedlichen Demonstrierenden 30 Minuten Zeit, sich zu zerstreuen. Die Polizei setzte dann Tränengas und Wasserwerfer gegen die Demonstrant*innen ein und nahm 287 Personen fest, darunter drei Menschenrechtsbeobachter*innen.
Am 18.April verhafteten die Behörden 15 prominente Wortführer*innen und Aktivist*innen der Demokratiebewegung wegen Verstosses gegen die «Verordnung zum Schutz der öffentlichen Ordnung», ein Gesetz, das häufig eingesetzt wird, um weitgehend friedliche Proteste zu verbieten und zu beenden. Den Festgenommenen wurde vorgeworfen, «nicht genehmigte Versammlungen» organisiert und an diesen teilgenommen zu haben, die mehr als sechs Monate vor ihrer Festnahme stattgefunden hatten.
Das Recht auf friedliche Versammlungsfreiheit wurde weiter beschnitten, nachdem die Behörden als Reaktion auf die Corona-Pandemie Vorschriften der räumlichen Distanzierung erlassen hatten. Im März erliess die Regierung die Verordnung zur Prävention und Kontrolle von Krankheiten (Verbot von Gruppenversammlungen), mit der öffentliche Versammlungen von mehr als vier Personen verboten wurden. Das Verbot wurde mehrmals überarbeitet und galt zum Jahresende für Versammlungen von mehr als zwei Personen.
Die Behörden verboten daraufhin mindestens 14 Protestkundgebungen mit Verweis auf die Corona-Pandemie. Dazu gehörte das komplette Verbot der jährlichen Mahnwache zum Gedenken an die Ereignisse vom 4.Juni 1989 auf dem Tiananmen-Platz und des Protestmarsches am 1. Juli. Dies geschah, obwohl die Organisator*innen beider Kundgebungen zugesagt hatten, die Abstandsregeln einzuhalten, und den Behörden detaillierte Pläne für entsprechende Vorbeugemassnahmen vorgelegt hatten. Es war das erste Mal, dass die Regierung diese beiden jedes Jahr stattfindenden Protestdemonstrationen verboten hat. Trotz des Verbots versammelten sich Tausende zum Gedenken an den 4. Juni an dem historischen Ort der Kundgebung. Gegen 26 Aktivist*innen wurde wegen einer «nicht genehmigten Versammlung» Anklage erhoben, weil sie sich an der Mahnwache beteiligt hatten.
Bis zum 4.Dezember hatte die Hongkonger Polizei mindestens 7164 Geldbussen im Rahmen des Verbots öffentlicher Versammlungen verhängt. Das neue Verbot wurde häufig gegen friedliche Demonstrierende angewandt, auch wenn sie die Vorschriften zur Wahrung des Abstands befolgt hatten. Journalist*innen, die über Proteste berichteten, wurden ebenfalls mit einer Geldstrafe belegt, obwohl die Verordnung eine Ausnahmeregelung für Personen vorsieht, die im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit daran teilnehmen.
Etwa 9000 Krankenhausbeschäftigte traten im Februar in den Streik, weil die Regierung Grenzkontrollen als Reaktion auf die Corona-Pandemie erst mit Verzögerung eingeführt hatte. Die für die Krankenhäuser zuständige Behörde verlangte später von den Personen, die sich am Streik beteiligt hatten, die Angabe von Gründen für ihr «Fernbleiben von der Arbeit» und drohte mit Vergeltungsmassnahmen, womit Ärzt*innen davor abgeschreckt werden sollten, sich zu organisieren und zu streiken.
Meinungsfreiheit
Die nationale Sicherheit wurde als Vorwand benutzt, um die Meinungsfreiheit zu beschneiden. Unter den extrem vagen Bestimmungen des Gesetzes zur nationalen Sicherheit, das am 30. Juni ohne jede sinnvolle Konsultation verabschiedet wurde und am nächsten Tag in Kraft trat, kann praktisch alles als Bedrohung der «nationalen Sicherheit» angesehen werden. Das Gesetz, mit dem die Behörden nun neue Gründe anführen können, um friedliche Aktivitäten zu verfolgen, hat einschneidende Auswirkungen auf die frelen, der Gründung ausländischer Organisationen, die zur Unabhängigkeit Hongkongs aufrufen, oder der Unterstützung bie Meinungsäusserung. Bis zum Jahresende nahmen die Behörden 34 Personen wegen des Anbringens politischer Paroestimmter politischer Gruppen fest. Die Behörden wandten ausserdem die extraterritoriale Bestimmung des Gesetzes an und stellten Haftbefehle gegen acht politisch engagierte Bürger aus, die sich ausserhalb Hongkongs aufhalten.
Am 10. August wurde Jimmy Lai, Eigentümer der pro-demokratischen Zeitung «Apple Daily», wegen «geheimer Absprachen mit einem ausländischen Land oder externen Elementen» verhaftet. Die Polizei führte eine Razzia in den Redaktionsräumen der Zeitung durch und durchsuchte Unterlagen, offensichtlich unter Missachtung der für Journalist*innen geltenden Sonderregeln zum Schutz ihrer Quellen. Jimmy Lai blieb in Haft, nachdem die Staatsanwaltschaft gegen eine zunächst gewährte Freilassung gegen Kaution Rechtsmittel eingelegt hatte.
Am 6. Oktober entzogen die Behörden einem Grundschullehrer seine Lehrzulassung, weil er «die Idee der Unabhängigkeit Hongkongs verbreitet» hatte. Berichten zufolge hatte er an seine Schüler ein Arbeitsblatt mit Fragen wie «Was ist Redefreiheit?» und «Was sind Gründe für ein Eintreten für Hongkongs Unabhängigkeit?» ausgeteilt.
Rechte von LGBTI*
Am 4. März entschied das Gericht der ersten Instanz (High Court), dass gleichgeschlechtliche Paare, die im Ausland geheiratet hatten, das gleiche Recht haben, sich um staatliche Mietwohnungen zu bewerben. Am 18.September sprach dasselbe Gericht verheirateten gleichgeschlechtlichen Paaren gleiche Rechte in Bezug auf das Erbe und die Erbfolge zu, wenn ein*e Ehepartner*in ohne Testament stirbt. In einem separaten Urteil vom selben Tag entschied das Gericht jedoch, dass es verfassungsgemäss sei, gleichgeschlechtlichen Paaren das Recht zu verweigern, in Hongkong zu heiraten.