Amtliche Bezeichnung: Islamische Republik Iran
Staatsoberhaupt: Ali Khamenei
Regierungschef: Hassan Rohani
Rechte auf Meinungs-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit
Folter und andere Misshandlungen
Recht auf Gesundheit - Gefangene
Diskriminierung - Ethnische Minderheiten
Recht auf Religions- und Glaubensfreiheit
Das Recht auf ein faires Gerichtsverfahren wurde systematisch verletzt. Die Todesstrafe diente als Mittel der politischen Unterdrückung. Eine Exekution wurde öffentlich vollstreckt, einige weitere im Geheimen. Zu den Hingerichteten gehörten auch Personen, die zur Tatzeit noch minderjährig waren. Die Behörden machten sich weiterhin des Verschwindenlassens schuldig, das ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellt, weil sie systematisch das Schicksal und den Verbleib Tausender politisch Andersdenkender vertuschten, die 1988 «verschwunden» und aussergerichtlichen Hinrichtungen zum Opfer gefallen waren. Massengräber, in denen man die sterblichen Überreste der Verschwundenen vermutete, wurden weiterhin zerstört.
Hintergrund
Nachdem ein gezielter Drohnenangriff der USA am 3. Januar 2020 den iranischen General und Kommandeur der Revolutionsgarden Qassem Soleimani in der irakischen Hauptstadt Bagdad getötet hatte, war die politische Lage angespannt. Inmitten der Eskalation schossen die Revolutionsgarden am 8. Januar Raketen auf ein ukrainisches Passagierflugzeug im iranischen Luftraum und verursachten damit einen Absturz, bei dem alle 176 Menschen an Bord ums Leben kamen. Nachdem die iranischen Behörden den Vorfall zunächst vertuscht hatten, gaben sie schliesslich «menschliches Versagen» als Grund für den Absturz an.
Im bewaffneten Konflikt in Syrien leistete der Iran weiterhin den Regierungstruppen militärische Unterstützung.
Der Ausbruch der Corona-Pandemie überforderte das Gesundheitssystem. Berichten zufolge starben mindestens 300 Personen, die im Gesundheitswesen tätig waren, an Covid-19.
Die von den USA verhängten Sanktionen trafen die Wirtschaft des Landes nach wie vor hart und wirkten sich verheerend auf die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte der Bevölkerung aus.
Im März erneuerte der UN-Menschenrechtsrat das Mandat des UN-Sonderberichterstatters über die Menschenrechtssituation im Iran. Die Behörden verweigerten sowohl ihm als auch anderen UN-Expert*innen und unabhängigen Menschenrechtsbeobachter*innen die Einreise.
Rechte auf Meinungs-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit
Die Behörden unterdrückten 2020 weiterhin massiv die Rechte auf freie Meinungsäusserung, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit.
Das Innenministerium sowie die Sicherheits- und Nachrichtendienste verboten nach wie vor unabhängige politische Parteien, Menschenrechtsgruppen und andere zivilgesellschaftliche Initiativen. Alle Arten von Medien unterlagen der Zensur, und ausländische Satellitensender waren weiterhin gestört. Die Internetseiten von Facebook, Telegram, Twitter und YouTube blieben blockiert.
Erneut wurden Hunderte Menschen willkürlich inhaftiert, die lediglich friedlich ihre Menschenrechte wahrgenommen hatten. Dazu zählten Rechtsanwält*innen, Aktivist*innen und andere Menschenrechtsverteidiger*innen, die sich für die Umwelt, die Rechte von Frauen, Arbeitnehmer*innen und Minderheiten einsetzten oder sich gegen die Todesstrafe engagierten oder Aufklärung, Gerechtigkeit und Entschädigung im Zusammenhang mit den massenhaften Hinrichtungen und dem Verschwindenlassen von Menschen in den 1980er Jahren verlangten. Auch Demonstrierende, Journalist*innen und andere Medienschaffende, politisch Andersdenkende, Künstler*innen und Schriftsteller*innen wurden willkürlich inhaftiert.
Hunderte gewaltlose politische Gefangene waren von Begnadigungen und vorübergehenden Freilassungen ausgeschlossen. Die Oppositionsführer Mehdi Karroubi und Mir Hossein Mussawi sowie dessen Ehefrau Zahra Rahnavard standen noch immer ohne Anklage oder Gerichtsverfahren unter willkürlichem Hausarrest.
Das gesamte Jahr über schlossen die Behörden rechtswidrig die Einrichtungen zahlreicher Journalist*innen, die für unabhängige Medien im Ausland arbeiteten, sowie von Menschenrechtsverteidiger*innen und deren Familien, oder froren deren Bankkonten und Vermögen ein. Um Demonstrierende, Journalist*innen und Menschenrechtsverteidiger*innen für ihre Tätigkeiten zu bestrafen, wurden auch Familienmitglieder, wie zum Beispiel deren Kinder oder betagte Eltern, eingeschüchtert, verhört oder willkürlich festgenommen und inhaftiert.
Im Januar gingen die Sicherheitskräfte mit rechtswidriger Gewalt gegen Proteste vor. Sie verwendeten Luftgewehre und Munition, die normalerweise für die Jagd verwendet wird, Gummigeschosse, Tränengas und Pfefferspray, um friedlich Demonstrierende auseinanderzutreiben, die Gerechtigkeit für die Opfer des Absturzes des ukrainischen Flugzeuges forderten. Ausserdem traten sie auf Demonstrierende ein, versetzten ihnen Fausthiebe, verprügelten sie und nahmen zahlreiche Menschen willkürlich in Haft.
Um eine unabhängige Berichterstattung im Vorfeld der Parlamentswahlen zu verhindern, gingen die Behörden im Januar und Februar gezielt gegen Journalist*innen vor, inhaftierten sie willkürlich und führten Hausdurchsuchungen und Verhöre durch.
Die Behörden ergriffen Massnahmen, die eine unabhängige Berichterstattung über Covid-19 und jegliche Kritik am staatlichen Umgang mit der Pandemie unterbinden sollten. Das Ministerium für Kultur und islamische Führung wies Medien und Journalist*innen an, bei der Berichterstattung nur offizielle Quellen und Statistiken zu verwenden. Die Internetpolizei gründete eine spezielle Einheit, um gegen «Internet-Gerüchte» und «Fake News» über Corona in den sozialen Medien vorzugehen. Zahlreiche Journalist*innen, Nutzer*innen Sozialer Medien, Mitarbeiter*innen im Gesundheitswesen und andere Personen wurden festgenommen, verhört oder verwarnt. Im April erhoben die Behörden Anklage gegen Rahim Yousefpour, einen Arzt aus Saqqez in der Provinz Kurdistan, wegen «Verbreitung von Propaganda gegen das System» und «Störung der öffentlichen Meinung», weil er auf Instagram Beiträge über Covid-19 veröffentlicht hatte.
Folter und andere Misshandlungen
Folter und andere Misshandlungen waren 2020 nach wie vor weit verbreitet und wurden systematisch angewendet, vor allem während Verhören.
Die iranische Polizei, der Geheimdienst, die Sicherheitskräfte und das Gefängnispersonal hielten Inhaftierte über lange Zeit in Einzelhaft, schlugen sie, peitschten sie aus, zwangen sie, in schmerzhaften Positionen zu verharren, verabreichten ihnen chemische Substanzen und quälten sie mit Elektroschocks. Die Gefängnisverwaltungen und die Strafverfolgungsbehörden verweigerten gewaltlosen politischen Gefangenen und anderen Personen, die aus politisch motivierten Gründen inhaftiert waren, absichtlich eine angemessene medizinische Behandlung.
Das Strafgesetzbuch sah weiterhin Körperstrafen vor, die der Folter gleichkamen, wie Auspeitschung, Blendung, Amputation, Kreuzigung und Steinigung.
Nach Angaben des NGO Abdorrahman Boroumand Center wurden 2020 mindestens 160 Personen zu Peitschen- bzw. Stockhieben verurteilt, sowohl wegen Diebstahls oder Überfällen als auch wegen Handlungen, die laut Völkerrecht nicht strafbar sind, wie z.B. Beteiligung an friedlichen Protesten, aussereheliche oder einvernehmliche gleichgeschlechtliche Beziehungen sowie Teilnahme an Feiern, bei denen sowohl Männer als auch Frauen anwesend waren. In vielen Fällen wurden die Auspeitschungen vollstreckt.
Allein in einem Gefängnis in Urumieh in der Provinz West-Aserbaidschan, drohte mindestens sechs Menschen die Amputation von Gliedmassen.
Mehrere Männer starben unter ungeklärten Umständen in Gewahrsam, wobei Foto- und Videobeweise darauf hindeuteten, dass mindestens zwei von ihnen vor ihrem Tod gefoltert worden waren, darunter ein jugendlicher Straftäter, der im April starb.
Recht auf Gesundheit – Gefangene
Die Haftbedingungen in vielen Gefängnissen und Hafteinrichtungen blieben 2020 grausam und unmenschlich. Die Gefangenen litten unter überfüllten Zellen, begrenztem Zugang zu warmem Wasser, unhygienischen Bedingungen, unzureichender Ernährung und Trinkwasserversorgung, Mangel an Liegemöglichkeiten und sanitären Anlagen, Ungeziefer und schlechter Belüftung, wodurch sie einem erhöhten Risiko ausgesetzt waren, sich mit dem Coronavirus zu infizieren.
Von Februar bis Mai liessen die Behörden als Reaktion auf die Corona-Pandemie etwa 128’000 Gefangene vorübergehend frei und begnadigten 10’000 weitere. Offizielle Schreiben, die im Juli durchsickerten, enthüllten, dass das Gesundheitsministerium wiederholt Anträge der Gefängnisverwaltungen ignorierte, die um Lieferungen von Desinfektionsmitteln, Schutzausrüstung und anderen medizinischen Produkten gebeten hatten. Einige Gefangene beschwerten sich darüber, dass die Behörden unsachgemäss Bleichmittel einsetzten, um Oberflächen zu desinfizieren, was die schlechte Luftqualität in den Haftanstalten noch verschlimmerte und zu schwerem Husten, Engegefühl in der Brust und Asthmaanfällen führte.
Im März und April protestierten Gefangene im ganzen Land mit Hungerstreiks und Aufständen, weil die Behörden nicht in der Lage waren, sie vor Corona-Infektionen zu schützen. Die Behörden reagierten mit rechtswidrigen Mitteln. Sie schlugen die Inhaftierten und beschossen sie mit scharfer Munition, Metallkugeln und Tränengas, um die Proteste niederzuschlagen. Dies führte dazu, dass am 31.März im Sheiban-Gefängnis in Ahwaz in der Provinz Khuzestan mehrere Gefangene, die der arabischen Ahwazi-Minderheit angehörten, getötet und viele weitere verletzt wurden.
Verschwindenlassen
Die Behörden liessen 2020 viele Inhaftierte, darunter auch gewaltlose politische Gefangene, verschwinden. Sie hielten sie an unbekannten Orten fest und weigerten sich, die Familien der Inhaftierten über deren Schicksal und Verbleib zu informieren. Zum Tode verurteilte Personen, die ethnischen Minderheiten angehörten, wurden weiterhin heimlich hingerichtet. Die Behörden verschwiegen, was mit den sterblichen Überresten der Opfer geschah, wodurch deren Familien fortwährend unter dem Verbrechen des Verschwindenlassens leiden mussten.
Mehrere Gefangene, die der arabischen Ahwazi-Minderheit angehörten, blieben 2020 verschwunden.
Die Behörden vertuschten nach wie vor systematisch das Schicksal von Tausenden politisch Andersdenkenden, die 1988 heimlich hingerichtet worden waren, und verstiessen damit weiterhin gegen das Völkerrecht, das die Praxis des Verschwindenlassens als Verbrechen gegen die Menschlichkeit definiert. Massengräber, in denen man die sterblichen Überreste der Verschwundenen vermutete, wurden nach wie vor zerstört.
Sicherheits- und Geheimdienste drohten den Familien der Opfer mit Festnahme, wenn sie Informationen über ihre Angehörigen einholen wollten, Gedenkfeiern abhielten oder ihre Meinung kundtaten.
Unfaire Gerichtsverfahren
Das Recht auf ein faires Gerichtverfahren wurde im Strafrechtssystem systematisch verletzt.
Die Behörden verweigerten Personen, denen Anklagen im Zusammenhang mit der nationalen Sicherheit drohten, während der Untersuchungshaft den Zugang zu einem unabhängigen Rechtsbeistand, einigen wurde sogar während der Gerichtsverhandlung ein Rechtsbeistand verwehrt. In einigen Fällen wurde in Abwesenheit der Angeklagten verhandelt, weil man sie nicht über ihre Verhandlungstermine informiert oder sie nicht vom Gefängnis zum Gericht transportiert hatte.
Viele Prozesse fanden hinter verschlossenen Türen statt. Bei Verfahren vor Revolutionsgerichten herrschte offene Feindseligkeit gegenüber den Angeklagten, und Anschuldigungen von Sicherheits- und Geheimdiensten wurden als Tatsachen behandelt, die bereits feststanden.
Erzwungene «Geständnisse», die unter Folter und anderen Misshandlungen zustande gekommen waren, wurden vor Beginn der Prozesse im Staatsfernsehen ausgestrahlt. Gerichte nutzten sie durchweg als Beweismittel und begründeten damit Schuldsprüche, selbst wenn die Angeklagten ihre Aussagen widerriefen.
In vielen Fällen bestätigten Berufungsgerichte Schuldsprüche und Strafen, ohne eine Anhörung abzuhalten.
Häufig weigerten sich Gerichte, Angeklagten, die wegen Straftaten in Zusammenhang mit der nationalen Sicherheit verurteilt worden waren, das Urteil in schriftlicher Form zukommen zu lassen.
Rechte von Frauen und Mädchen
Das Familienrecht und das Strafgesetzbuch enthielten weiterhin zahlreiche Bestimmungen, die Frauen diskriminierten, unter anderem bezüglich Eheschliessung, Scheidung und Erbschaftsangelegenheiten sowie beim Zugang zum Arbeitsmarkt und zu politischen Ämtern.
Die Sittenpolizei und Bürgerwehren gingen 2020 weiterhin massiv gegen Millionen Frauen und Mädchen vor, um den diskriminierenden und entwürdigenden Kopftuchzwang durchzusetzen, der gesetzlich vorgeschrieben war. Ihre täglichen Schikanen und gewaltsamen Angriffe auf Frauen und Mädchen kamen Folter und anderen Misshandlungen gleich. Mehrere Frauenrechtsverteidiger*innen, die sich gegen den Kopftuchzwang engagiert hatten, sassen noch immer im Gefängnis.
Die Behörden unternahmen nichts, um die weitverbreitete geschlechtsspezifische Gewalt gegen Frauen und Mädchen strafbar zu machen, wie zum Beispiel häusliche Gewalt, Vergewaltigung in der Ehe sowie Früh- und Zwangsverheiratungen.
Das gesetzliche Heiratsalter für Mädchen lag nach wie vor bei 13 Jahren. Väter und Grossväter konnten jedoch bei Gericht eine Erlaubnis einholen, wenn sie Mädchen noch früher verheiraten wollten. Nach offiziellen Angaben wurden jedes Jahr etwa 30'000 Mädchen unter 14 Jahren verheiratet.
Männer, die ihre Ehefrauen oder Töchter getötet hatten, blieben weiterhin straffrei. Die Behörden unternahmen nichts, um die Täter zur Rechenschaft zu ziehen und sie in einer Weise zu bestrafen, die der Schwere des Verbrechens angemessen war.
Im Juni billigte der Wächterrat ein neues Kinderschutzgesetz, das jedoch keinen Schutz vor sogenannten Ehrenmorden, Kinderheirat und Vergewaltigung in der Ehe bot.
Die Regierung überprüfte weiterhin einen seit 2012 anhängigen Gesetzentwurf zum Schutz von Frauen vor Gewalt. Grund für die Verzögerung waren Änderungen, die bei der juristischen Überprüfung vorgenommen wurden, die eine erhebliche Schwächung der Schutzmassnahmen beinhalteten.
Diskriminierung – Ethnische Minderheiten
Ethnische Minderheiten, darunter arabische, aserbaidschanische, belutschische, kurdische und turkmenische Bevölkerungsgruppen, wurden weiterhin systematisch diskriminiert. Dies betraf vor allem ihren Zugang zu Bildung, zum Arbeitsmarkt, zu angemessenem Wohnraum und zu politischen Ämtern. Die Verarmung und Ausgrenzung ethnischer Minderheiten wurde dadurch verstärkt, dass die Behörden Regionen, in denen Minderheiten lebten, wirtschaftlich stark vernachlässigten. Trotz zahlreicher Appelle für mehr sprachliche Vielfalt, war Persisch weiterhin die einzige zulässige Unterrichtssprache in Grundschulen und weiterführenden Schulen.
Angehörigen von Minderheiten, die die Verletzung ihrer Rechte kritisierten oder ein gewisses Mass an regionaler Selbstverwaltung forderten, drohten willkürliche Inhaftierung, Folter und andere Misshandlungen. Die Behörden kriminalisierten Personen, die sich friedlich für Separatismus oder Föderalismus aussprachen, und beschuldigten Aktivist*innen, die für Minderheitenrechte eintraten, sie würden Irans territoriale Integrität gefährden.
Mehrere aserbaidschanisch-türkische Aktivist*innen wurden 2020 im Zusammenhang mit den Protesten im November 2019 und ihrem friedlichen Einsatz für die aserbaidschanisch-türkische Minderheit zu Haftstrafen und Peitschenhieben verurteilt. In zwei Fällen wurden die Auspeitschungen vollstreckt.
Arabische Ahwazi beklagten, dass die Behörden Ausdrucksformen der arabischen Kultur, wie traditionelle Kleidung oder Dichtkunst, unterdrückten.
Iranische Grenzschützer schossen weiterhin rechtswidrig auf zahlreiche unbewaffnete kurdische Männer, die unter grausamen und unmenschlichen Bedingungen als Träger (kulbar) arbeiteten und Lasten aus den kurdischen Regionen diesseits und jenseits der iranisch-irakischen Grenze hin- und hertransportierten. Nach Angaben kurdischer Menschenrechtsorganisationen wurden mindestens 40 Männer getötet und zahlreiche weitere verletzt.
In der verarmten Provinz Sistan und Belutschistan war die Infrastruktur so schlecht, dass vielen belutschischen Dorfbewohner*innen ihr Recht auf ausreichendes, gut zugängliches und sicheres Trinkwasser verwehrt wurde. Sie mussten sich das Wasser zum Trinken und für den Hausgebrauch aus unsicheren Quellen holen, wie Flüssen, Brunnen, Teichen und Gruben, in denen es Krokodile gab. Mehrere Menschen ertranken beim Wasserholen, darunter auch Minderjährige, wie zum Beispiel ein achtjähriges Mädchen aus Jakigoor, einem Dorf, das im August 2020 eine Woche lang von der Wasserversorgung abgeschnitten war. In einigen Fällen erklärten die lokalen Behörden, die Opfer seien selbst schuld an ihrem Tod, weil sie nicht vorsichtig genug gewesen seien. Zudem mangelte es in der Provinz an Stromversorgung, Schulen und Gesundheitseinrichtungen, weil der Staat nicht genug investierte.
Recht auf Religions- und Glaubensfreiheit
Das Recht auf Religions- und Glaubensfreiheit wurde sowohl durch Gesetze als auch im täglichen Leben systematisch verletzt. Die Behörden zwangen Menschen aller Glaubensrichtungen sowie Atheisten weiterhin einen Kodex für Verhalten in der Öffentlichkeit auf, der auf einer strengen Auslegung des schiitischen Islams gründete. Die Behörden verweigerten Personen mit muslimischen Eltern weiterhin das Recht, ihre Religion zu wechseln oder sich zum Atheismus zu bekennen. Wer dennoch von diesem Recht Gebrauch machte, riskierte, willkürlich inhaftiert, gefoltert und wegen »Apostasie« (Abfall vom Glauben) zum Tode verurteilt zu werden.
Wichtige politische Ämter standen ausschliesslich schiitischen Muslimen offen. Angehörige religiöser Minderheiten, wie Baha’i, Christ*innen, Gonabadi-Derwische und Yaresan (Ahl-e Haq), sowie schiitische Muslim*innen, die zum sunnitischen Islam oder zum Christentum konvertiert waren, wurden im Bildungswesen und auf dem Arbeitsmarkt systematisch diskriminiert und wegen Ausübung ihres Glaubens willkürlich festgenommen, inhaftiert, gefoltert und anderweitig misshandelt.
Im Oktober 2020 erhielt ein Christ in der Provinz Buschehr 80 Peitschenhiebe, weil er Abendmahlswein getrunken hatte.
Anhänger*innen der spirituellen Lehre Erfan-e Halgheh wurden willkürlich inhaftiert.
Die systematischen Angriffe auf die Glaubensgemeinschaft der Baha’i setzten sich fort. Die Behörden ordneten die Schliessung von Unternehmen im Besitz von Baha’i an, beschlagnahmten ihr Vermögen und verweigerten ihnen den Zugang zu Universitäten und eine Beschäftigung im öffentlichen Dienst. Staatliche Medien schürten regelmässig Hass und Gewalt gegen die Baha’i-Minderheit.
Es gab weiterhin Razzien in christlichen Hauskirchen.
Sunnitische Muslime, die eigene Moscheen gründen wollten, waren nach wie vor mit Einschränkungen konfrontiert.
Todesstrafe
Die Todesstrafe wurde zunehmend als Instrument der politischen Unterdrückung von Demonstrierenden, Andersdenkenden und Angehörigen von Minderheiten eingesetzt.
Zahlreichen Demonstrierenden wurde »Feindschaft zu Gott« oder »Förderung von Verdorbenheit auf Erden« zur Last gelegt, was mit der Todesstrafe geahndet wird. Mehrere Protestierende wurden nach unfairen Gerichtsverfahren auf Grundlage von »Geständnissen«, die unter Folter erpresst wurden, zum Tode verurteilt.
Im Dezember 2020 richteten die Behörden den Dissidenten und Journalisten Ruhollah Zam hin, der den regierungskritischen Telegram-Kanal Amad News betrieben hatte.
Hinrichtungen wurden nach unfairen Gerichtsverfahren vollstreckt. Ein Opfer wurde öffentlich hingerichtet, andere im Geheimen. Unter den Hingerichteten waren auch Personen, die zum Tatzeitpunkt noch minderjährig waren.
Eine unverhältnismässig grosse Anzahl der Hingerichteten gehörte der kurdischen oder der belutschischen Minderheit im Iran an.
Einvernehmliche gleichgeschlechtliche sexuelle Handlungen konnten weiterhin mit der Todesstrafe geahndet werden.
Steinigung war nach wie vor als Hinrichtungsmethode für Personen vorgesehen, die wegen Ehebruchs zum Tode verurteilt worden waren.
Straflosigkeit
Niemand in den Reihen der Staatsbediensteten wurde für Verbrechen wie rechtswidrige Tötungen, Folter und Verschwindenlassen oder andere schwere Menschenrechtsverletzungen strafrechtlich verfolgt oder zur Rechenschaft gezogen.
Die Anwendung tödlicher Gewalt durch Sicherheitskräfte gegen Personen, von denen keine unmittelbare Gefahr für Leib und Leben anderer ausging, wurde von den Justizbehörden nicht unabhängig und transparent untersucht.
Was die fortgesetzten Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Zusammenhang mit den Gefängnismassakern von 1988 anging, herrschte nach wie vor ein Klima der Straflosigkeit. Viele der damals Verantwortlichen bekleideten nach wie vor hohe Ämter in der Justiz und in der Regierung, zu ihnen zählten zum Beispiel die derzeitige Oberste Justizautorität und der derzeitige Justizminister.
Im Mai 2020 griffen iranische Grenzposten zahlreiche Afghanen auf, darunter auch Minderjährige, die auf der Suche nach Arbeit die Grenze übertreten hatten, schlugen sie und zwangen sie mit vorgehaltener Waffe in den iranisch-afghanischen Grenzfluss Hariroud. Dabei ertranken mehrere Menschen. Die Behörden wiesen jede Verantwortung für den Vorfall zurück.
Die Behörden verheimlichten nach wie vor die tatsächliche Anzahl der Menschen, die bei den Demonstrationen im November 2019 getötet wurden, und lobten vielmehr die Sicherheits- und Geheimdienste für ihr hartes Vorgehen zur Niederschlagung der Proteste. Im Juni 2020 gaben die Behörden erstmals bekannt, es seien etwa 230 Personen getötet worden, darunter sechs Angehörige der Sicherheitskräfte. Amnesty International liegen detaillierte Angaben zu 311 Männern, Frauen und Kindern vor, die von Sicherheitskräften getötet wurden. Die tatsächliche Zahl der Todesopfer dürfte allerdings noch höher sein.