Amnesty International Report Regionalkapitel Europa und Zentralasien

7. April 2021
Staatliche Corona-Massnahmen bedrohten in Europa und Zentralasien zahlreiche Rechte und legten die menschlichen Kosten von sozialer Ausgrenzung, Ungleichheit und staatlicher Übergriffigkeit offen. Viele Regierungen benutzten die Pandemie auch als Deckmantel für die Ausweitung von Machtbefugnissen und die rigorose Einschränkung von Freiheitsrechten.

Rechte auf Gesundheit und soziale Sicherheit

Einschränkungen von Rechten

Unabhängigkeit der Justiz

Menschenrechte in Konfliktzonen

Menschenrechtsverteidiger*innen

Rechte von Frauen sowie Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Trans und Intergeschlechtlichen (LGBTI*)

Rechte von Flüchtlingen und Migrant*innen

Klimaschutz und Unternehmensverantwortung

Menschenrechte im europäischen und weltpolitischen Kontext

In zahlreichen Ländern untergruben die Regierungen weiter die Unabhängigkeit der Justiz. Die Präsidentschaftswahl in Belarus löste eine Krise der Menschenrechte aus, in der die Rechte auf ein faires Verfahren und Rechenschaftspflicht vollständig ausgehöhlt wurden. Ungelöste Konflikte in der Region wirkten sich nachteilig auf das Recht auf Bewegungsfreiheit und andere Rechte aus, wie etwa das Recht auf Gesundheit. In dem bewaffneten Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan setzten alle Seiten verbotene Streumunition in Wohngebieten ein und verübten Kriegsverbrechen.

Die Handlungsspielräume für Menschenrechtsverteidiger*innen wurden enger, bedingt durch strenge Gesetze und schlechtere Finanzierung aufgrund der Pandemie. Hilfsorganisationen meldeten Rekordzahlen von häuslicher Gewalt während der Corona-Lockdowns; gleichzeitig schränkten die pandemiebedingten Massnahmen den Zugang zu Hilfseinrichtungen für die Betroffenen ein.

Die Pandemie verschlimmerte auch die bereits prekäre Lage von Flüchtlingen und Migrant*innen. Mehrere Länder verzögerten oder unterbrachen die Bearbeitung von Asylanträgen, und viele Flüchtlinge und Migrant*innen befanden sich in besonderer Gefahr, da sie in überfüllten und unhygienischen Unterkünften leben mussten. Staaten versäumten es, sich für die Verringerung von Treibhausgasen Ziele zu setzen, mit denen sich die schlimmsten Auswirkungen der Klimakrise auf die Menschenrechte verhindern liessen. Angriffe auf das europäische Menschenrechtsgefüge setzten sich fort. Trotz der Gefahr von Menschenrechtsverletzungen im bewaffneten Konflikt im Jemen hielten die Waffenverkäufe an Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) an.

Rechte auf Gesundheit und soziale Sicherheit

Europa und Zentralasien wurden von der Corona-Pandemie schwer getroffen. Ende 2020 gab es in der Region etwa 27 Millionen Infizierte und 585’000 Tote, was etwa ein Drittel der weltweiten Gesamtzahlen ausmachte. Die Zahlen könnten allerdings in Wirklichkeit noch höher sein, da manche Länder wie z.B. Turkmenistan absichtlich nicht alle Fälle meldeten. Die Reaktionen der Regierungen auf die Pandemie wichen drastisch voneinander ab, ebenso die Qualität der Gesundheitsversorgung und der Datenerfassung. Daher war der Bezugsrahmen für die gemeldeten Infektions- und Sterberaten von Land zu Land oft sehr unterschiedlich.

Die Infektions- und Sterberaten schwankten enorm zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen. Laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) waren in manchen Ländern fast die Hälfte derer, die an Covid-19 starben, ältere Menschen in Langzeitpflegeheimen. Beschäftigte im Gesundheitswesen und in Pflegeheimen wurden häufiger infiziert und hatten höhere Sterberaten zu verzeichnen als der Rest der Bevölkerung, was in einigen Fällen daran lag, dass keine angemessene und ausreichende persönliche Schutzausrüstung bereitgestellt wurde. Laut den verfügbaren Daten fanden sich mit Stand September 2020 die höchsten Sterbezahlen unter Beschäftigten im Gesundheitswesen in Grossbritannien und Nordirland sowie in Russland, Italien, Kirgisistan und Spanien. Die Pandemie warf ein Schlaglicht auf den geschwächten Zustand der Gesundheitssysteme in vielen westeuropäischen Ländern nach jahrelangen Sparmassnahmen sowie auf die chronische Unterfinanzierung der Gesundheitssysteme in Osteuropa und Zentralasien.

Lockdown-Massnahmen im Zusammenhang mit Covid-19 wirkten sich unmittelbar auf die Wirtschaft und die Rechte von Arbeitnehmer*innen aus. Viele Beschäftigte, vor allem jene im informellen Sektor, waren mit Barrieren beim Zugang zu verschiedenen sozialen Sicherungssystemen konfrontiert, darunter Lohnfortzahlung bei Zwangsbeurlaubung oder im Krankheitsfall sowie andere einkommensergänzende Leistungen. Besonders betroffen waren Beschäftigte in der sogenannten Gig-Economy sowie saisonale Arbeitskräfte, Reinigungspersonal, Angestellte in Pflegeheimen und Sexarbeiter*innen. Die Pandemie offenbarte die zentrale Rolle von Arbeitsmigrant*innen in der Landwirtschaft und anderen Sektoren, nachdem einige Regierungen wie etwa in Grossbritannien und Deutschland auf dem Höhepunkt des ersten Lockdowns Arbeitsmigrant*innen einfliegen liessen und andere Länder wie Spanien, Italien und Portugal manchen Gruppen schnell einen regulären Aufenthaltsstatus verliehen.

In vielen Ländern wiesen People of Colour und Angehörige ethnischer Minderheiten unverhältnismässig hohe Infektions- und Sterberaten auf. Dies spiegelte die zahlreichen Herausforderungen wider, mit denen diese Bevölkerungsgruppen konfrontiert sind, darunter Hürden beim Zugang zu angemessener Gesundheitsversorgung sowie ein höheres Auftreten von Vorerkrankungen, verschlimmert durch Armut, strukturellen Rassismus und Diskriminierung. Die Behörden lösten ihre zu Beginn der Pandemie gemachten Versprechungen meist nicht ein, ältere oder minderjährige Inhaftierte sowie Frauen mit Kindern oder Gefangene mit Vorerkrankungen aus der Haft zu entlassen. Eine tragische Folge war der Tod des kirgisischen Menschenrechtsverteidigers und gewaltlosen politischen Gefangenen Azimjan Askarov am 25.Juli 2020. Berichten zufolge starb er an einer Lungenentzündung. Man hatte ihn 2010 aufgrund falscher Anschuldigungen zu lebenslanger Haft verurteilt, woraufhin mehrfach Forderungen nach seiner Freilassung erhoben worden waren, unter anderem aufgrund der Gefahr von Covid-19 für seine Gesundheit.

Die Regierungen müssen den unverhältnismässig hohen Todeszahlen unter anderem in Pflegeheimen sowie Versäumnissen bei der Bereitstellung von angemessener persönlicher Schutzausrüstung auf den Grund gehen. Dringend erforderlich ist auch der gleichberechtigte Zugang zu Impfstoffen innerhalb einzelner Länder und über Landesgrenzen hinweg. Ebenso ist die Zusammenarbeit zwischen Einzelstaaten unerlässlich, um zu gewährleisten, dass Behandlung und Impfstoffe für alle bezahlbar, zugänglich und verfügbar sind.

Einschränkungen von Rechten

Nahezu die Hälfte aller Länder der Region verhängte im Zusammenhang mit Covid-19 den Ausnahmezustand. Regierungen schränkten nicht nur das Recht auf Bewegungsfreiheit ein, sondern auch andere Rechte wie das Recht auf freie Meinungsäusserung und die Versammlungsfreiheit. Einige politische Bewegungen versuchten, den Menschenrechtsdiskurs an sich zu reissen, indem sie sich Lockdown-Massnahmen und dem Tragen von Masken widersetzten, doch der menschliche Tribut, den das Virus forderte, unterstrich die Bedeutung von Wissenschaft und Fakten. Präsident Alexander Lukaschenko in Belarus wischte beides beiseite, als er Covid-19 als «Psychose» abtat.

Eine Rekordzahl von Ländern (Mitte 2020 waren es zehn) wich von den Vorschriften der Europäischen Menschenrechtskonvention ab, mehrere davon für längere Zeiträume. Auch wenn Länder unter bestimmten Bedingungen in Krisenzeiten von einigen ihrer Menschenrechtsverpflichtungen abweichen dürfen, müssen diese Einschränkungen vorübergehend, notwendig und verhältnismässig sein.

Die Durchsetzung von Lockdowns und anderen Gesundheitsmassnahmen im Zusammenhang mit Covid-19 traf marginalisierte Personen und Gruppen unverhältnismässig heftig, wodurch diese von Gewalt, diskriminierenden Personenkontrollen, Zwangsquarantänen und Geldstrafen betroffen waren. Solche Praktiken offenbarten strukturellen Rassismus, Diskriminierung und fehlende Rechenschaftspflicht in Bezug auf mutmassliche Fälle von rechtswidrigem Einsatz von Gewalt durch Sicherheitskräfte. Rom*nja und Menschen ohne festen Wohnsitz wie etwa Flüchtlinge und Asylsuchende wurden in Bulgarien, Frankreich, Griechenland, Russland, Serbien, der Slowakei, Ungarn und Zypern unter diskriminierende Zwangsquarantäne gestellt. Beobachter*innen registrierten den rechtswidrigen Einsatz von Gewalt durch Beamt*innen mit Polizeibefugnissen zusammen mit anderen Menschenrechtsverletzungen in Belgien, Frankreich, Georgien, Griechenland, Italien, Kasachstan, Kirgisistan, Polen, Rumänien und Spanien. In Aserbaidschan häuften sich Festnahmen aufgrund politisch motivierter Anklagen unter dem Vorwand der Pandemiebekämpfung. Regierungskritiker*innen wurden festgenommen, als der Präsident im März 2020 erklärte, er werde die Opposition «isolieren» und «säubern».

Viele Bereiche, in denen die Freiheitsrechte bereits massiv eingeschränkt waren, wurden im Jahr 2020 in einigen Ländern noch weiter beschnitten. Russische Behörden begannen damit, nicht nur Organisationen, sondern auch Einzelpersonen als «ausländische Agenten» zu stigmatisieren. Zudem gingen sie rigoroser gegen Protestaktionen von Einzelpersonen vor. Die Behörden in Kasachstan und Usbekistan entwarfen bzw. verabschiedeten neue strenge Gesetze über Versammlungen. Als Anschuldigungen wegen Wahlbetrugs Massenproteste auslösten, reagierte die Polizei in Belarus mit massiver und beispielloser Gewalt, Folter und anderen Misshandlungen. Unabhängige Stimmen wurden brutal unterdrückt, während willkürliche Festnahmen, politisch motivierte Strafverfolgungen und andere Vergeltungsmassnahmen gegen Kandidat*innen der Opposition und deren Unterstützer*innen, politisch und zivilgesellschaftlich engagierte Personen sowie unabhängige Medien eskalierten.

Während zeitnahe, korrekte und wissenschaftsbasierte Informationen im Kampf gegen die Pandemie dringend benötigt wurden, verhängten mehrere Regierungen ungerechtfertigte Einschränkungen des Rechts auf freie Meinungsäusserung und den Zugang zu Informationen. In Armenien, Aserbaidschan, Belarus, Bosnien und Herzegowina, Frankreich, Kasachstan, Polen, Rumänien, Russland, Serbien, Tadschikistan, der Türkei, Turkmenistan, Ungarn und Usbekistan missbrauchten Regierungen bestehende und neue Gesetze, um das Recht auf freie Meinungsäusserung zu beschneiden.

Regierungen ergriffen nur unzureichende Massnahmen, um Journalist*innen und Whistleblower zu schützen, darunter auch Beschäftigte im Gesundheitswesen. Zudem nahmen sie Personen ins Visier, die den Umgang der Behörden mit Covid-19 kritisierten. Dies war der Fall in Albanien, Armenien, Belarus, Bosnien und Herzegowina, Kasachstan, Kosovo, Polen, Russland, Serbien, der Türkei, der Ukraine, Ungarn und Usbekistan. In Tadschikistan und Turkmenistan wagten es Beschäftigte im Gesundheitswesen und in anderen systemrelevanten Berufen nicht, gegen die bereits gravierenden Beschränkungen des Rechts auf freie Meinungsäusserung zu protestieren. In der Türkei setzte die Regierung «Troll-Armeen» ein, verhängte Online-Restriktionen und sorgte gezielt für die Weiterleitung auf bestimmte Internetseiten, um von anderen Websites, Accounts und unerwünschten Informationen abzulenken.

Manche Regierungen verknüpften die Gesundheitskrise mit Massnahmen zum vermeintlichen Schutz der inneren Sicherheit, wie etwa in Ungarn. In Frankreich und der Türkei wurden beispielsweise Gesetze zur nationalen Sicherheit in Eilverfahren durchgepeitscht, während Regierungen in Russland und anderswo ihre Überwachungskapazitäten aufstockten und persönliche Daten horteten und manchmal auch offenlegten, was eine nachhaltige Bedrohung des Rechts auf Privatsphäre und anderer Rechte bedeutete. Die im Dezember verabschiedete Antiterroragenda der EU versprach, die Macht der Technologie zu nutzen, um Menschen vor gewaltsamen Übergriffen zu schützen. Jedoch würde die Agenda die Überwachungskapazitäten sowie den Einsatz von Vorhersagetechnologien ausweiten, was auf Kosten der Rechte auf freie Meinungsäusserung, Privatsphäre, faire Verfahren und Nichtdiskriminierung gehen würde.

Die Regierungen dürfen die Pandemie nicht weiter als Vorwand für rigorose Massnahmen gegen Oppositionelle benutzen, sondern müssen stattdessen polizeiliche Übergriffigkeit zügeln, Rechenschaftspflicht für Fehlverhalten gewährleisten und das Abgleiten in den Überwachungsstaat aufhalten.

Unabhängigkeit der Justiz

In mehreren Ländern unternahm die Regierung weitere Schritte, welche die Unabhängigkeit der Justiz untergruben. Eine gängige Massnahme bestand darin, Richter*innen mit Disziplinarverfahren zu überziehen oder ihre Ernennung bzw. die Sicherheit ihrer Stellung anzufechten, wenn sie Unabhängigkeit bewiesen, die Behörden kritisierten oder Urteile fällten, die den Wünschen der Regierung zuwiderliefen.

In Polen verabschiedete das Parlament ein neues Gesetz, das es Richter*innen verbot, die Qualifikationen von Richter*innen zu hinterfragen, die vom Präsidenten für die Disziplinarkammer des Obersten Gerichts ernannt wurden. Der Staat leitete im August Disziplinarverfahren gegen 1.278 Richter*innen ein, die die OSZE aufgefordert hatten, die Präsidentschaftswahlen zu überwachen. Trotz einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom April 2020, wonach die polnische Regierung ihr neues System von Disziplinarverfahren gegen Richter*innen unverzüglich aussetzen muss, weigerten sich die Behörden, dieses Urteil umzusetzen.

In Ungarn stellten hohe Regierungsmitglieder in offiziellen Verlautbarungen und in den Medien rechtskräftige Urteile infrage und verzögerten so deren Umsetzung. In der Türkei leitete der Rat der Richter*innen und Staatsanwält*innen ein Disziplinarverfahren gegen die drei Richter ein, die die Angeklagten im Gezi-Prozess freigesprochen hatten, nachdem der Präsident den Freispruch kritisiert hatte.

Die türkischen Behörden untergruben auch Garantien für ein faires Verfahren, indem sie Massnahmen zur Kontrolle von Anwaltskammern ergriffen und Anwält*innen wegen ihrer beruflichen Aktivitäten ins Visier nahmen. Im Juli 2020 verabschiedete das Parlament ein Gesetz, mit dem die Struktur der Anwaltskammern verändert und damit ihre Fähigkeit geschwächt wird, Bedenken über Themen wie die mangelnde Unabhängigkeit der Justiz und die Menschenrechte zu äussern. Im September wurden 47 Anwält*innen ausschliesslich auf Grundlage ihrer Arbeit unter dem Verdacht der «Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung» von der Polizei festgenommen. Ebenfalls im September bestätigte das Kassationsgericht die Haftstrafen gegen 14 Anwält*innen, die wegen Terrorismusvorwürfen strafrechtlich verfolgt worden waren.

In Russland und weiten Teilen Osteuropas und Zentralasiens blieben Verletzungen des Rechts auf ein faires Verfahren an der Tagesordnung, wobei die Behörden die Pandemie ins Feld führten, um den Inhaftierten Treffen mit Rechtsbeiständen zu verweigern und eine öffentliche Beobachtung von Verhandlungen zu verbieten. Während der Menschenrechtskrise in Belarus wurden die Rechte auf ein faires Verfahren und Rechenschaftspflicht vollständig ausgehöhlt: Tötungen und Folterungen friedlicher Protestierender wurden nicht untersucht, und die Behörden setzten alles daran, Opfer von Menschenrechtsverletzungen daran zu hindern, Anzeige gegen die Verantwortlichen zu erstatten.

Die Regierungen müssen die Achtung der Rechtsstaatlichkeit gewährleisten, die Unabhängigkeit der Justiz schützen und Verfahrensgarantien aufrechterhalten.

Menschenrechte in Konfliktzonen

Konflikte in Ländern der ehemaligen Sowjetunion bremsten weiterhin die menschliche Entwicklung und die regionale Zusammenarbeit. Kontaktlinien entlang nicht anerkannter Gebiete schränkten die Rechte der Einwohner*innen auf beiden Seiten ein.

In Georgien schränkten Russland und die abtrünnigen Gebiete Abchasien und Südossetien/Zchinwali-Region das Recht auf Bewegungsfreiheit gegenüber dem Rest des Landes weiter ein, unter anderem durch den Weiterbau physischer Grenzen. Im Jahr 2019 geschlossene Grenzübergänge blieben weiterhin geschlossen, und mindestens zehn Personen sollen gestorben sein, nachdem ihnen die Erlaubnis verweigert wurde, für eine medizinische Behandlung nach Georgien auszureisen. In Moldawien führte die De-facto-Regierung im nicht anerkannten Transnistrien Reisebeschränkungen aus Gebieten unter Regierungskontrolle ein, was die medizinische Versorgung der einheimischen Bevölkerung beeinträchtigte. In der Ukraine verhängten sowohl Regierungstruppen als auch von Russland gestützte Separatisten im Osten des Landes Reisebeschränkungen über die Kontaktlinie hinweg, was oft mit entsprechenden Vergeltungsmassnahmen quittiert wurde, sodass die Zahl der Grenzüberquerungen von einem monatlichen Durchschnitt von einer Million bis Oktober 2020 auf ein paar Zehntausend sank. Diese sowie die Corona-Beschränkungen bedeuteten, dass zahlreiche Menschen unter familiären Trennungen und fehlendem Zugang zu Gesundheitsfürsorge, Rentenzahlungen und Arbeitsplätzen litten. Ältere Menschen und besonders schutzbedürftige Gruppierungen waren davon am stärksten betroffen.

Die schwersten Zusammenstösse ereigneten sich im September 2020, als heftige Kämpfe zwischen Aserbaidschan und Armenien und von Armenien unterstützten Streitkräften in der abtrünnigen aserbaidschanischen Region Bergkarabach ausbrachen. Über 5000 Tote waren die Folge. Alle Konfliktparteien setzten in dicht besiedelten Gebieten schwere Explosivwaffen mit grossflächiger Wirkung ein, unter anderem ballistische Raketen und bekanntermassen ungenaue Salven von Artillerieraketen, die Todesfälle und Verletzungen bei Zivilpersonen sowie umfangreiche Zerstörungen in Wohngebieten verursachten. Streumunition, die nach dem humanitären Völkerrecht verboten ist, wurde bei Angriffen auf Stepanakert/Khankendi, die Hauptstadt von Bergkarabach, und die Stadt Barda in einem von der aserbaidschanischen Regierung kontrollierten Gebiet eingesetzt. Sowohl aserbaidschanische als auch armenische Streitkräfte verübten Kriegsverbrechen, darunter aussergerichtliche Hinrichtungen und die Folterung von Gefangenen sowie die Schändung von Leichnamen gegnerischer Soldaten.

Alle an den Konflikten Beteiligten müssen das humanitäre Völkerrecht vollständig respektieren und die Zivilbevölkerung vor den Auswirkungen der Kampfhandlungen schützen. Jegliche Einschränkung des Rechts auf Bewegungsfreiheit sollte absolut notwendig, von echten Sicherheitserfordernissen und militärischen Erwägungen bestimmt sowie verhältnismässig sein.

Menschenrechtsverteidiger*innen

Einige Regierungen begrenzten den Handlungsspielraum für Menschenrechtsverteidiger*innen und NGOs durch restriktive Gesetze und Massnahmen sowie stigmatisierende Sprache noch weiter. Dieser Trend beschleunigte sich während der Pandemie, welche die Reihen der Zivilgesellschaft durch finanzielle Einbussen ausdünnte, da finanzielle Zuwendungen von Einzelpersonen, Stiftungen, Firmen und Regierungen infolge der Corona-Massnahmen ausblieben.

In der Türkei wurden NGOs, Menschenrechtsverteidiger*innen und oppositionelle Stimmen weiterhin unterdrückt und drangsaliert. Zugleich setzte die Regierung ein zentrales Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte nicht um, das die sofortige Freilassung des zu Unrecht inhaftierten zivilgesellschaftlich engagierten Kulturförderers Osman Kavala

verlangte. Die Regierungen in Kasachstan und Russland brachten NGOs nach wie vor durch Hetzkampagnen zum Schweigen, und die Steuerbehörden in Kasachstan bedrohten auf der Grundlage angeblicher Verstösse im Zusammenhang mit Angaben über Einkünfte aus dem Ausland mehr als ein Dutzend Menschenrechtsorganisationen mit einem Verbot. In Russland waren friedliche Protestierende, Menschenrechtsverteidiger*innen sowie zivilgesellschaftlich und politisch engagierte Personen Festnahmen und Strafverfolgung ausgesetzt. In Kirgisistan schufen vorgeschlagene Änderungen der NGO-Gesetze belastende Vorschriften für die Rechnungslegung.

Im Kontext der Terrorismusbekämpfung haben Frankreich und Österreich im Zuge problematischer Verfahrensweisen mehrere muslimische Vereinigungen aufgelöst. Restriktive neue Gesetze über NGOs wurden in Bulgarien, Griechenland, Polen und Serbien diskutiert, während die Regierungen in Frankreich, Italien, Malta und anderswo die Arbeit von NGOs, die sich an der Rettung von Migrant*innen und Asylsuchenden beteiligten oder ihnen humanitären Beistand leisteten, nach wie vor behinderten und in einigen Fällen kriminalisierten.

Positiv war zu verzeichnen, dass der EuGH ein restriktives NGO-Gesetz aus dem Jahr 2017 in Ungarn als Verstoss gegen EU-Recht kippte. Im Berichtsjahr erhielten zudem gesellschaftliche Bewegungen, die sich auf Umwelt, Rechenschaftspflicht, Frauenrechte und Antirassismus konzentrierten, grösseren Zuspruch. Protestierende machten in Belarus gegen angefochtene Wahlergebnisse, in Bulgarien gegen Korruption und in Slowenien gegen Rückschritte vonseiten der neuen Regierung mobil. Tausende widersetzten sich in Frankreich einem umstrittenen Vorschlag für ein Sicherheitsgesetz und in Polen einer weiteren Einschränkung des Zugangs zu sicheren Schwangerschaftsabbrüchen.

Regierungen müssen der Stigmatisierung von NGOs und Menschenrechtsverteidiger*innen Einhalt gebieten und sicherstellen, dass sie die Menschenrechte verteidigen und fördern können, ohne Strafe, Vergeltung oder Einschüchterung fürchten zu müssen.

Rechte von Frauen sowie Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Trans und Intergeschlechtlichen (LGBTI*)

Fortschritte bei der Bekämpfung von häuslicher Gewalt stagnierten in vielen Ländern – oder kehrten sich sogar um. 2020 wurde das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (Istanbul-Konvention) von keinem Land neu unterzeichnet oder ratifiziert. Stattdessen weigerte sich das ungarische Parlament, es zu ratifizieren, während der polnische Justizminister ankündigte, sein Land werde sich aus dem Übereinkommen zurückziehen, und der türkische Präsident die gleichen Erwägungen anstellte.

Da viele Frauen während des Lockdowns der zuhause herrschenden Gewalt nicht entkommen konnten, registrierten Hilfsorganisationen in vielen Ländern einen steilen Anstieg in der Zahl der Fälle von häuslicher Gewalt, während der Zugang zu Hilfsdiensten schwieriger wurde. In der Ukraine und vielen anderen Ländern Osteuropas und Zentralasiens bedeuteten die strengen Quarantänemassnahmen, dass viele Opfer von häuslicher Gewalt keinen Zugang zu kostenloser Online-Rechtsberatung hatten, da sie sich mit dem Täter den Wohnraum teilten. Auch hatten sie keine Möglichkeit, in den entsprechenden Notunterkünften Schutz zu suchen. Einige Regierungen in der EU ergriffen spezielle Massnahmen, um den Betroffenen während der Pandemie beizustehen, indem sie Hotelzimmer anmieteten, statt die Frauen in Notunterkünfte zu schicken, wo das Infektionsrisiko höher war, oder indem sie neue Hotlines für Frauen einrichteten. Mehrere Länder, darunter Dänemark, Kroatien, die Niederlande und Spanien, ergriffen Massnahmen, um ihre Vergewaltigungsgesetze dahingehend zu verbessern, dass sie auf dem Zustimmungsprinzip beruhten.

Unter dem Lockdown stuften einige Justizbehörden Schwangerschaftsabbrüche als nicht notwendige medizinische Behandlungen ein und erzeugten damit neue Hindernisse für die sexuelle und reproduktive Gesundheit von Frauen und deren diesbezügliche Rechte. Während eine Gesetzesinitiative für eine weitere Einschränkung des Zugangs zu Schwangerschaftsabbrüchen in der Slowakei knapp scheiterte, strich das Verfassungsgericht in Polen eine Klausel, die es Frauen erlaubte, bei schweren oder tödlichen Missbildungen des Fötus eine Schwangerschaft zu beenden. Dieser Schritt löste in Polen Massenproteste von Frauen und deren Unterstützer*innen aus. Friedlich Protestierende wurden mit Polizeigewalt konfrontiert und waren Verwaltungsstrafen und strafrechtlicher Verfolgung ausgesetzt. In Griechenland wurden elf Frauenrechtler*innen wegen Verstössen gegen öffentliche Gesundheitsvorschriften festgenommen und angeklagt, nachdem sie eine symbolische Aktion gegen geschlechtsspezifische Gewalt veranstaltet hatten.

In mehreren Ländern benutzten religiöse und politische Persönlichkeiten die Corona-Pandemie als Vorwand, um Hassreden gegen die LGBTI*-Community zu verteidigen und diese für die Pandemie verantwortlich zu machen. Beobachter*innen berichteten ausserdem im Zusammenhang mit Covid-19 von einem starken Anstieg häuslicher Gewalt gegenüber LGBTI*. Manche Länder benutzten die Pandemie als Rechtfertigung, um den Zugang zu Hormonbehandlungen und anderen medizinischen Behandlungen für Transpersonen einzuschränken. Mehrere Lokalbehörden in Polen erklärten Regionen zu «LGBTI*-freien Zonen», und der amtierende Staatspräsident Andrzej Duda beförderte im Zuge der Kampagne für seine Wiederwahl Hassreden gegen die LGBTI*-Community. Ende des Jahres legte die ungarische Regierung eine Reihe von Gesetzen vor, die die Rechte von LGBTI* einschränken sollten. In ähnlicher Ausrichtung verabschiedete das rumänische Parlament ein Gesetz, das es verbot, Gender Studies zu lehren. Das Gesetz wurde Ende des Jahres vor dem Verfassungsgericht angefochten.

Die Regierungen müssen Hilfsangebote für Frauen und LGBTI*, die Opfer von häuslicher Gewalt geworden sind, ausbauen; sie müssen Hindernisse für den Zugang zu sexuellen und reproduktiven Rechten beseitigen und Diskriminierung gegen Frauen und LGBTI* beenden.

Rechte von Flüchtlingen und Migrant*innen

Covid-19 verschlimmerte die bereits prekäre Lage von Geflüchteten und Migrant*innen. Mehrere Länder verzögerten oder unterbrachen die Bearbeitung von Asylanträgen. Viele Flüchtlinge und Migrant*innen waren in besonderer Gefahr, sich mit Covid-19 zu infizieren, da sie in überfüllten und unhygienischen Einrichtungen, Lagern oder besetzten Häusern leben mussten. Der eklatanteste Fall war das Lager Moria auf der griechischen Insel Lesbos, wo ein Feuer 13’000 Geflüchtete und Migrant*innen obdachlos machte. Grenzschliessungen beraubten Saisonarbeiter*innen und Arbeitsmigrant*innen ihres Lebensunterhalts und ihre Familien der Überweisungen aus dem Ausland, unter anderem in Zentralasien.

Zurückweisungen (Push-Backs) und Gewalt an Land- und Seegrenzen rissen nicht ab. In einem zynischen und gefährlichen Schachzug instrumentalisierte die Türkei Flüchtlinge und Migrant*innen für politische Zwecke, indem sie sie ermutigte, aus der Türkei an die Landgrenze zu Griechenland zu reisen, wobei sie ihren Transport manchmal unterstützte. Im Gegenzug verübten die griechischen Behörden Menschenrechtsverletzungen gegen migrierende Menschen, darunter exzessive Gewaltanwendung, Prügel, den Einsatz von scharfer Munition und Push-Backs in die Türkei. Kroatien setzte die Abschiebung von Asylsuchenden fort, oft begleitet von Gewalt und Misshandlungen. Regierungen in ganz Südeuropa verboten es Schiffen auf dem Mittelmeer, gerettete Migrant*innen und Flüchtlinge an Land zu bringen, sodass sie extrem lange Zeitspannen ohne Perspektive auf See festsassen. In einem unverhohlenen Versuch, ihre gesetzlichen Verpflichtungen gegen Push-Backs zu umgehen, setzten Italien, Malta und die EU ihre Kooperation mit Libyen fort, wo ausgeschiffte Migrant*innen und Flüchtlinge Opfer schwerer Menschenrechtsverletzungen wurden. Die EU begann die Diskussion über einen neuen Migrationspakt, der die zentrale Strategie der EU fortsetzte, nämlich vor Migration abzuschrecken, anstatt auf menschenrechtskonforme Weise mit ihr umzugehen.

Die Regierungen müssen für mehr sichere und reguläre Migrationswege nach Europa sorgen, vor allem für schutzbedürftige Personen, ergänzt durch humanitäre Visa, Neuansiedlung, Gemeinschafts-Sponsoring und Familiennachzug.

Klimaschutz und Unternehmensverantwortung

Im Dezember 2020 beschloss der Europarat, die Emissionen von Treibhausgasen bis 2030 um mindestens 55 Prozent zu reduzieren. Dieses Ziel ist zwar ein Fortschritt gegenüber der vorherigen, noch unzureichenderen Zusage, würde aber immer noch nicht ausreichen, um die Emissionen so schnell zu reduzieren, dass die schlimmsten menschenrechtlichen Auswirkungen der Klimakrise vermieden werden. Zudem würde dieses Klimaziel Entwicklungsländer übermässig belasten. Auf nationaler Ebene hat sich die überwiegende Mehrheit der europäischen Länder, die Netto-Null-Emissionsziele ankündigten, weiterhin lediglich verpflichtet, diese bis 2050 zu erreichen. Um die Rechte von Menschen in und ausserhalb Europas nicht erheblich zu schädigen, müssen sie allerdings lange vor diesem Datum die CO2-Neutralität anstreben. Darüber hinaus enthielten Netto-Null-Pläne in den meisten Fällen Schlupflöcher, die den Klimaschutz verzögern könnten, zusammen mit Massnahmen, die sich nachteilig auf die Menschenrechte auswirken würden. In einigen Ländern wie zum Beispiel Deutschland, Frankreich, Grossbritannien, Italien und Russland konnten fossile Brennstoffunternehmen, die Luftfahrtindustrie und andere Firmen von Konjunkturmassnahmen wie Steuernachlässen und Krediten profitieren, ohne dass im Gegenzug von ihnen verlangt worden wäre, ihren CO2-Fussabdruck zu reduzieren.

Die Zahl der klimabezogenen Gerichtsverfahren gegen Regierungen und Unternehmen nahm deutlich zu, wobei die wichtigsten neuen Prozesse unter anderem in Frankreich (unter Anwendung des jüngst verabschiedeten «Wachsamkeitsgesetzes»), Deutschland, Grossbritannien, Polen und Spanien angestrengt wurden. Dazu kam eine Klage von sechs portugiesischen Kindern und Jugendlichen gegen 33 EU-Mitgliedstaaten vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Der Oberste Gerichtshof Irlands verlangte von der Regierung, ehrgeizigere Ziele für die Verringerung von Emissionen umzusetzen, während das Schweizer Bundesgericht ähnliche Forderungen zurückwies.

Nach jahrelangem Druck vonseiten der Zivilgesellschaft und von Gewerkschaften leitete die Europäische Kommission das Verfahren zur Einführung eines Gesetzes ein, das Firmen dazu verpflichtet, Menschenrechts- und Umweltstandards entlang der gesamten Wertschöpfungskette von Unternehmen zu respektieren. Im November stimmte eine Mehrheit der Schweizer Wahlberechtigten dafür, in der Schweiz ein ähnliches Gesetz einzuführen, doch die Initiative scheiterte, da sie von den meisten Kantonen nicht unterstützt wurde.

Die Regierungen müssen ihre unzureichenden Zeitpläne beschleunigen, um die Treibhausgasemissionen zu reduzieren und den Kohlenstoffausstoss auf Null zu senken, sowie Schlupflöcher schliessen, die ein Handeln zugunsten des Klimas verzögern. Sie sollten sämtliche Konjunkturmassnahmen für Unternehmen mit einem hohen Ausstoss an Treibhausgasen an die Bedingung knüpfen, innerhalb eines festgelegten Zeitraums aus den fossilen Brennstoffen auszusteigen. EU-Gesetzgeber müssen gewährleisten, dass Unternehmen gesetzlich zur Einhaltung der Menschenrechte verpflichtet sowie für die Umweltschäden innerhalb ihrer Wertschöpfungskette zur Rechenschaft gezogen werden, und dass Betroffene Zugang zu Rechtsmitteln haben.

Menschenrechte im europäischen und weltpolitischen Kontext

Angriffe gegen den Europäischen Menschenrechtsrahmen setzten sich 2020 fort. In der OSZE konnten sich die Staaten nicht auf die Besetzung hochrangiger Mandate in den zentralen Menschenrechtsinstitutionen einigen und liessen diese Mandate viele Monate lang unbesetzt, ehe sie Neubesetzungen zustimmten. Mitgliedstaaten des Europarats verzögerten weiterhin die Umsetzung von Urteilen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte oder setzten diese nur selektiv um. Ein auffälliger Indikator für das Umgehen von Abmachungen war die Zunahme von Urteilen, in denen ein Verstoss gegen Artikel 18 der Europäischen Menschenrechtskonvention festgestellt wurde, der die Beschränkung von Rechten für andere als die in der Konvention festgelegten Zwecke verbietet. So stellte der Europäische Menschenrechtsgerichtshof fest, dass Mitgliedstaaten wie Aserbaidschan, die Türkei und Russland Personen missbräuchlich festgenommen, strafrechtlich verfolgt oder ihre Rechte anderweitig eingeschränkt hatten. Verletzungen von Artikel 18 sollten Alarmglocken läuten lassen: Sie sind ein Indiz für politische Verfolgung.

Die EU tat sich immer noch schwer damit, gegen die anhaltende Erosion der Rechtsstaatlichkeit in Ungarn und Polen vorzugehen, leitete jedoch Vertragsverletzungsverfahren gegen die beiden Staaten ein, da man ihnen schwere Verstösse gegen die zentralen Werte der Gemeinschaft vorwarf. Ende 2020 willigten die EU-Mitgliedstaaten ein, Fördermittel der EU wie z. B. Gelder für die wirtschaftliche Erholung nach Covid-19 oder klimabezogene Finanzmittel mit einer Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit zu verknüpfen, jedoch blieb unklar, wie diese Bedingungen in Zukunft durchgesetzt werden können. Der EuGH fällte einige wichtige menschenrechtsbezogene Urteile über die Unabhängigkeit der Justiz und Angriffe auf NGOs. Doch das Versäumnis der EU, den Einschränkungen des Handlungsspielraums für NGOs sowie Menschenrechtsverletzungen in Verbindung mit Migration Einhalt zu gebieten oder diese Entwicklung umzukehren, belastete den inneren und äusseren Zusammenhalt und erschwerte es der EU, sich in der Aussenpolitik glaubhaft für die Menschenrechte einzusetzen.

In Osteuropa und Zentralasien übten Russland und China weiter politischen, wirtschaftlichen und manchmal auch militärischen Einfluss aus. Sie untergruben den internationalen Menschenrechtsrahmen und die mit seinem Schutz beauftragten Institutionen. Russland bot den belarussischen Behörden finanzielle und mediale Unterstützung an, als diese mit unverhohlener Gewalt gegen die Bevölkerung vorgingen; und die EU, die UN sowie regionale Menschenrechtseinrichtungen waren ausserstande, genug politischen Einfluss geltend zu machen, um den empörenden Menschenrechtsverletzungen Einhalt zu gebieten. In Westeuropa gehörten Frankreich, Grossbritannien, Belgien und die Tschechische Republik zu den Staaten, die Waffenverkäufe an Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate erlaubten, obwohl eine hohe Wahrscheinlichkeit bestand, dass diese Waffen dazu benutzt würden, um in dem Konflikt im Jemen Menschenrechtsverletzungen zu verüben.

Trotz einiger interner Herausforderungen blieben die EU und ihre Mitgliedstaaten wichtige Akteure bei der weltweiten Förderung der Menschenrechte. Im Jahr 2020 unternahm die EU bedeutende Schritte, um ihre Menschenrechtspolitik zu stärken, unter anderem durch die Verabschiedung eines neuen Aktionsplans für Menschenrechte.

Die Staaten müssen die vertraglichen Verpflichtungen erfüllen, die sie sich selbst auferlegt haben, und die Menschenrechtsarchitektur respektieren, der sie angehören. Wo sie eingewilligt haben, die Entscheidungen internationaler Menschenrechtsgerichte zu respektieren, müssen sie diese Entscheidungen auch umsetzen.