Amnesty International Report 2022/23 Länderbericht Afghanistan

29. März 2023
Die Einschränkungen der Frauenrechte, der Medienfreiheit und des Rechts auf freie Meinungsäusserung nahmen 2022 exponentiell zu. Institutionen, die sich für Menschenrechte einsetzten, wurden massiv behindert oder ganz geschlossen. Friedlich Protestierende wurden willkürlich festgenommen, gefoltert und Opfer des Verschwindenlassens. Die Taliban verbreiteten ein Klima der Angst, indem sie vermeintliche Gegner*innen aussergerichtlich hinrichteten, willkürlich festnahmen, folterten und rechtswidrig inhaftierten, ohne dafür zur Rechenschaft gezogen zu werden.
Amtliche Bezeichnung

Islamische Republik Afghanistan

Staats- und Regierungschef

Mohammad Hassan Akhund

Hintergrund

Aussergerichtliche Hinrichtungen

Todesstrafe, Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung

Rechte auf Meinungs-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit

Rechte von Frauen und Mädchen

Rechtswidrige Angriffe und Tötungen

Recht auf Gesundheit

Flüchtlinge und Binnenvertriebene

Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Trans- und Intergeschlechtlichen (LGBTI*)

Straflosigkeit

Die extreme Armut nahm weiter zu und wurde durch Dürren und andere Naturkatastrophen noch weiter verschärft. Es wurden öffentliche Hinrichtungen und Auspeitschungen vollzogen, um Mord, Diebstahl, nichteheliche Beziehungen und Verstösse gegen soziale Normen zu bestrafen. Frauen wurden grundlegender Rechte beraubt und zunehmend aus dem öffentlichen Leben verbannt. Afghanistan war das einzige Land weltweit, in dem Mädchen keine weiterführenden Schulen besuchen durften. Die Taliban schlossen fast alle Institutionen, die die Vorgängerregierung eingerichtet hatte, um geschlechtsspezifische Gewalt zu bekämpfen.

Hintergrund

Die internationale Isolation und der wirtschaftliche Einbruch nach der Machtübernahme der Taliban im Jahr 2021 stürzten das ohnehin schon arme Land 2022 noch tiefer in die Armut. Nach Angaben des UN-Amts für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten lebten 97 Prozent der Bevölkerung in Armut, während es zwei Jahre zuvor 47 Prozent waren. Da es keine sozialen Sicherungssysteme gab, sahen sich Familien gezwungen, auf Massnahmen wie Kinderheirat oder Organverkauf zurückzugreifen. Die zur Verfügung stehende humanitäre Hilfe konnte die Bedürfnisse der Bevölkerung nicht decken. Die wirtschaftliche Situation war weiterhin sehr schwierig, weil die internationale Gemeinschaft nach der Machtübernahme der Taliban afghanische Devisenreserven im Ausland eingefroren und Finanzhilfen für das Land gekürzt hatte. Die internationale Unterstützung beschränkte sich 2022 im Wesentlichen auf humanitäre Hilfe, um eine Hungersnot zu verhindern, trug aber nicht dazu bei, andere Notlagen zu bekämpfen. In Bezug auf Gesundheitsversorgung, Beschäftigung und Bildung verschlechterte sich die Lage weiter. Zudem fehlte es in diesen Bereichen an qualifiziertem Personal, weil zahlreiche Ärzt*innen, Ingenieur*innen, Anwält*innen, Lehrer*innen und Regierungsbedienstete das Land verlassen hatten.

Dürren, Überschwemmungen, Erdbeben und andere Naturkatastrophen, die teilweise auf den Klimawandel zurückzuführen waren, verschärften die humanitäre Krise zusätzlich.

Nachdem der Oberste Taliban-Führer die Taliban-Richter im November angewiesen hatte, das islamische Recht (Scharia) in vollem Umfang durchzusetzen, begannen öffentliche Hinrichtungen und Auspeitschungen.

Aussergerichtliche Hinrichtungen

Unter der Herrschaft der Taliban wurden 2022 allem Anschein nach häufig und systematisch aussergerichtliche Hinrichtungen verübt. Opfer waren Personen, die mit der früheren Regierung zusammengearbeitet hatten, Mitglieder bewaffneter Gruppen wie der Nationalen Widerstandsfront (NRF) und des Islamischen Staats – Provinz Khorasan (IS-KP) sowie Personen, die bezichtigt wurden, gegen die von den Taliban festgesetzten Regeln verstossen zu haben. Auch ehemalige Regierungsmitglieder und Sicherheitskräfte zählten zu den Opfern. Nach Angaben der Hilfsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan (UNAMA) wurden ab dem Zeitpunkt der Machtübernahme der Taliban am 15. August 2021 bis zum 15. Juni 2022 mindestens 237 aussergerichtliche Hinrichtungen verübt. Im Dezember 2022 meldeten die Vereinten Nationen mindestens 69 weitere Fälle, bei denen vor allem Mitglieder der bewaffneten Gruppe NRF exekutiert wurden. 48 dieser aussergerichtlichen Hinrichtungen wurden zwischen dem 12. und 14. September 2022 in der Provinz Pandschir verübt.

Bei einer nächtlichen Razzia auf der Suche nach einem ehemaligen Sicherheitsbeamten töteten Mitglieder der Taliban am 26. Juni in der Provinz Ghor sechs Angehörige der schiitischen Minderheit der Hazara: vier Männer, eine Frau und ein Mädchen. Drei der hingerichteten Männer hatten früher einer lokalen Anti-Taliban-Miliz namens «Volksaufstand» angehört. Obwohl die Opfer Zivilpersonen waren, behaupteten die Taliban nach den Hinrichtungen, die Getöteten seien «Rebellen» gewesen. Im September 2022 tauchten in den Sozialen Medien neue Videos und Bilder auf, die zeigten, wie Taliban-Mitglieder Personen aussergerichtlich hinrichteten, denen sie eine Zusammenarbeit mit der NRF in der Provinz Pandschir vorwarfen. Die Vorfälle stellten eindeutig Kriegsverbrechen dar. Das Verteidigungsministerium der Taliban kündigte eine Untersuchung an, doch wurden keine Ergebnisse veröffentlicht. Medienberichten zufolge wurden in dem Gebiet ausserdem Häuser von Zivilpersonen zwangsweise geräumt, um sie anschliessend als Polizei- und Militäreinrichtungen zu nutzen. Zudem sollen die Taliban in der Provinz Pandschir Zivilpersonen zu Tode gefoltert haben. Am 6. September 2022 berichtete der UN-Sonderberichterstatter über die Menschenrechtssituation in Afghanistan, dass im Bezirk Balkhab in der Provinz Sar-i Pul gefangene Anti-Taliban-Kämpfer hingerichtet worden seien.

Unter dem Regime der Taliban herrschte im gesamten Berichtsjahr Straffreiheit für derartige Verbrechen. Aussergerichtliche Hinrichtungen und andere schwere Menschenrechtsverletzungen wurden nicht gründlich und transparent untersucht. Taliban-Vertreter leugneten die Taten und bestritten entsprechende Erkenntnisse von Amnesty International und anderen NGOs.

Todesstrafe, Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung

Die Taliban begannen, Menschen wegen Mordes, Diebstahls, nichtehelicher Beziehungen und Verstössen gegen soziale Normen öffentlich hinzurichten und auszupeitschen. Nach Angaben von UN-Menschenrechtsexpert*innen wurden vom 18. November bis zum 16. Dezember 2022 in verschiedenen Provinzen mehr als 100 Menschen in Stadien öffentlich ausgepeitscht.

Im Dezember 2022 vollstreckten die Taliban-Behörden in der Provinz Farah ihre erste öffentliche Hinrichtung, an der hochrangige Taliban-Vertreter wie der stellvertretende Regierungschef, mehrere Minister sowie der Oberste Richter teilnahmen.

Rechte auf Meinungs-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit

Massive Einschüchterungen seitens der Taliban schränkten die Medienfreiheit drastisch ein und zwangen viele Medienunternehmen zur Schliessung. Journalist*innen, die Kritik an den Taliban übten, mussten willkürliche Festnahmen, rechtswidrige Inhaftierungen und weitere Repressalien befürchten. Viele von ihnen übten daher Selbstzensur. In der Haft wurden Journalist*innen verprügelt und anderweitig gefoltert. Viele flohen aus dem Land. TV-Journalistinnen mussten ihr Gesicht fast vollständig verhüllen.

Die offizielle afghanische Menschenrechtsinstitution (Afghanistan Independent Human Rights Commission – AIHRC) blieb geschlossen, und zivilgesellschaftliche Organisationen hatten kaum noch Möglichkeiten, Menschenrechtsverletzungen zu dokumentieren und über die Menschenrechtssituation zu berichten. Unabhängige Menschenrechtsgruppen konnten nicht frei arbeiten. Personen, die in den Sozialen Medien, insbesondere auf Facebook, Kritik an den Taliban übten, wurden festgenommen und rechtswidrig inhaftiert.

Die Taliban liessen keinerlei Raum für friedliche Kundgebungen, Demonstrationen oder Versammlungen, und die Taliban-Polizei ging mit übermässiger und unnötiger Gewalt gegen Demonstrierende vor. Friedlich Demonstrierende wurden willkürlich festgenommen, inhaftiert, gefoltert und fielen dem Verschwindenlassen zum Opfer. In der Haft waren sie körperlicher und seelischer Folter ausgesetzt. Frauen wurden von ihren Familienangehörigen aus Angst vor Repressalien daran gehindert, an Protesten teilzunehmen, was ihr Recht auf Versammlungsfreiheit zusätzlich beschnitt.

Rechte von Frauen und Mädchen

Das von den Taliban anstelle des Frauenministeriums eingerichtete «Ministerium für Gebet und Orientierung sowie zur Förderung von Tugenden und Verhinderung von Lastern» erliess restriktive Anordnungen, die die Rechte von Frauen und Mädchen massiv unterdrückten. Frauen, die dagegen protestierten, waren Gewalt ausgesetzt und wurden rechtswidrig inhaftiert.

Mädchen durften 2022 weiterhin keine weiterführenden Schulen besuchen. Im Dezember wurde Frauen auch jegliche Hochschulbildung untersagt. In den Monaten zuvor waren Studentinnen bereits mit erheblichen Einschränkungen und Hürden konfrontiert. So wurden sie beispielsweise in separaten Räumen unterrichtet und mussten einen Ganzkörperschleier (Burka) tragen. Man legte ihnen Steine in den Weg, wenn sie an der landesweiten Hochschulaufnahmeprüfung teilnehmen oder sich für Lehrveranstaltungen anmelden wollten und verwehrte ihnen in einigen Fällen das Betreten von Universitätsgebäuden. Ausserdem durften sie nur bestimmte Fächer studieren. Am Jahresende war es Frauen und Mädchen nur noch erlaubt, Grundschulen zu besuchen.

Die Taliban ergriffen verschiedene Massnahmen, die Frauen und Mädchen zunehmend aus dem öffentlichen Raum verbannten. Sie verhängten eine Kleiderordnung und verfügten, dass Frauen in der Öffentlichkeit von einem männlichen Verwandten begleitet werden mussten, der als Aufpasser (Mahram) fungierte. Ausserdem verboten sie Frauen und Mädchen, öffentliche Parks zu betreten. Im August 2022 berichteten Medien, dass 60 Universitätsstudentinnen die Ausreise aus dem Land verweigert wurde, weil sie nicht von Aufpassern begleitet wurden. Die Durchsetzung dieser Vorschriften erfolgte willkürlich und war unkalkulierbar, sodass sich viele Frauen entschieden, nicht allein zu reisen.

Die Ankündigung der Taliban, männliche Familienmitglieder für Verstösse ihrer weiblichen Verwandtschaft zur Verantwortung zu ziehen, bewirkte, dass viele Familien die Rechte von Frauen und Mädchen von sich aus beschnitten, weil sie Repressalien der Taliban-Behörden befürchteten. Die Taliban gingen hart gegen Frauen vor, die öffentlich oder in den Sozialen Medien gegen die Einschränkungen protestierten, u. a. mit Prügel, rechtswidriger Inhaftierung oder Festnahme von Familienangehörigen. Gegen einige inhaftierte Frauen, darunter auch solche, die vor Gewalt geflohen waren, wurde Anklage wegen «moralischer Verdorbenheit» erhoben, einem vagen, nicht klar definierten «Verbrechen». Es war unklar, inwiefern noch Gesetze aus der Zeit vor der Machtübernahme der Taliban galten, da die Taliban konsequent ihre rigorose und restriktive Auslegung des islamischen Rechts (Scharia) im Land durchsetzten. Das gesamte Jahr über gab es Proteste gegen die Einschränkung von Frauenrechten, die von der Taliban-Polizei unterdrückt wurden, indem sie Demonstrierenden den Weg versperrte und Journalist*innen festnahm, die darüber berichten wollten.

Die Zerschlagung früherer Regierungsinstitutionen wie des Frauenministeriums oder der AIHRC und die Umwandlung des einstigen Rechtssystems in das religiös fundierte Scharia-Rechtssystem hatten zur Folge, dass Schutzmechanismen für Frauen und Mädchen verloren gingen. Dementsprechend nahmen Berichte über häusliche Gewalt und Zwangsverheiratungen zu. Für Opfer häuslicher Gewalt gab es keine Anlaufstellen mehr, an die sie sich wenden konnten. Gerichte und Staatsanwaltschaften, die zuvor für die Ermittlung und Strafverfolgung von Fällen geschlechtsspezifischer Gewalt zuständig waren, blieben geschlossen. Sowohl die Taliban-Behörden als auch lokale Schlichtungsgremien bestraften Frauen, die häusliche Gewalt anzeigten.

Im Dezember 2022 untersagten die Taliban Frauen und Mädchen, für NGOs zu arbeiten. Diese und weitere Anordnungen, die Frauen das Recht auf Arbeit ausserhalb des Hauses absprachen, wirkten sich massiv auf den Lebensunterhalt von Frauen aus, insbesondere auf Haushalte, in denen sie die Alleinverdienerinnen waren, und dies in einer Situation, in der die Ernährungslage im Land immer prekärer wurde.

Rechtswidrige Angriffe und Tötungen

Vom 15. August 2021 bis zum 15. Juni 2022 verzeichnete die UNAMA 700 getötete und 1.406 verwundete Zivilpersonen. Für einen Grossteil war die bewaffnete Gruppe IS-KP verantwortlich, die weiterhin systematisch und gezielt ethnische und religiöse Minderheiten angriff, u. a. durch Anschläge auf Gebetshäuser, Bildungsstätten und öffentliche Verkehrsmittel, die von diesen Gruppen genutzt wurden. Am 18. Juni 2022 gab es einen Anschlag auf einen Sikh-Tempel in der Hauptstadt Kabul. Am 30. September wurden bei einem Selbstmordattentat auf eine Bildungseinrichtung in einem hauptsächlich von Hazara bewohnten Viertel Kabuls mindestens 52 Jugendliche getötet, die meisten von ihnen Mädchen. Die Taliban-Behörden leiteten keine Untersuchung der Anschläge ein und ergriffen keine angemessenen Massnahmen, um Minderheiten zu schützen. Stattdessen beendeten sie einige der Sicherheitsmassnahmen, die die Vorgängerregierung zum Schutz von Minderheiten eingeführt hatte. So zogen die Taliban-Behörden z. B. Wachposten an Orten ab, an denen ein hohes Anschlagsrisiko bestand, und erhöhten damit die Gefahr, dass es dort zu Angriffen kam.

In Gebieten, in denen der bewaffnete Widerstand gegen die Taliban andauerte – insbesondere in den Provinzen Pandschir, Baghlan, Badachschan und Sar-i Pul – bestand für Zivilpersonen weiterhin die Gefahr, getötet, willkürlich festgenommen und gefoltert zu werden. Ausserdem verfügten die örtlichen Taliban-Behörden Einschränkungen der Bewegungsfreiheit. Bewohner*innen berichteten auch von rechtswidrigen Zwangsräumungen der Taliban in diesen Gebieten, insbesondere in Pandschir.

Recht auf Gesundheit

Die Machtübernahme der Taliban wirkte sich weiterhin verheerend auf das Gesundheitssystem aus. Ihre Position in Bezug auf weibliche Beschäftigte im Gesundheitswesen war unklar und widersprüchlich. Die Vorschrift, dass Frauen nur in Begleitung eines männlichen Aufpassers unterwegs sein durften, die Angst vor Repressalien seitens der Taliban und die Flucht zahlreicher gut ausgebildeter Frauen ins Ausland führte zu einem massiven Verlust an qualifiziertem Personal. Besonders hart traf dies ländliche Gebiete, die bereits unter der Vorgängerregierung unterversorgt waren. Weil ein Grossteil der internationalen Hilfe, die das Gesundheitswesen vor 2021 weitgehend finanziert hatte, eingefroren war, verfügten die Krankenhäuser und Gesundheitszentren nur über begrenzte finanzielle und personelle Ressourcen, wodurch sich die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung weiter verschlechterte.

Flüchtlinge und Binnenvertriebene

Auch 2022 flohen zahlreiche Afghan*innen aus begründeter Furcht vor Verfolgung durch die Taliban aus dem Land. Einige von ihnen wurden auf der Flucht erschossen, anderen verweigerte man das Recht, einen Asylantrag zu stellen, oder hinderte sie durch Pushbacks am Grenzübertritt. Eine Reihe von Afghan*innen wurden in den Ländern, in denen sie Zuflucht suchten, Opfer von Menschenrechtsverletzungen und Ausbeutung durch die Behörden. Einige Staaten schoben weiterhin afghanische Flüchtlinge und Asylsuchende nach Afghanistan ab, trotz der Gefahren, die ihnen dort drohten.

Anfang 2022 gab es in Afghanistan 3,8 Mio. Binnenvertriebene. Ihre Lebensumstände waren sehr schwierig und erfüllten den Anspruch der Betroffenen auf grundlegende Rechte nicht im Entferntesten. Nach Angaben des Norwegischen Flüchtlingsrats vertrieben die Taliban Binnenvertriebene in einigen Fällen gewaltsam aus städtischen Gebieten und zwangen sie, in ihre Heimatdörfer zurückzukehren, wo extreme Armut herrschte und sie keine Möglichkeit hatten, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten.

Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Trans- und Intergeschlechtlichen (LGBTI*)

Lesbische, schwule, bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche Menschen waren weiterhin Drohungen, gezielten Angriffen, sexualisierten Übergriffen, willkürlichen Inhaftierungen und anderen schweren Menschenrechtsverletzungen durch die Taliban ausgesetzt. Viele LGBTI* hatten Angst, die Taliban könnten wieder Massnahmen ergreifen, die sie in der Vergangenheit angewendet hatten, wie z. B. die Todesstrafe für gleichgeschlechtliche sexuelle Beziehungen. Viele LGBTI* hielten sich weiterhin versteckt, da sie um ihr Leben fürchteten.

Straflosigkeit

Unter der Herrschaft der Taliban existierten keine Institutionen, die dafür Sorge trugen, dass die Opfer von Völkerrechtsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen Wahrheit, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung erfuhren. Gerichte und Staatsanwaltschaften unterliessen es, aussergerichtliche Hinrichtungen zu untersuchen und Personen strafrechtlich zu verfolgen, die Menschenrechtsverletzungen verübt hatten. Die Taliban haben das gesamte Rechtssystem des Landes willkürlich geändert und Richter*innen und Gerichte durch Vertreter und Institutionen ihres eigenes Justizsystems ersetzt.

Im Oktober 2022 genehmigte eine Vorverfahrenskammer des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) dem Chefankläger des IStGH, die Ermittlungen zur Lage in Afghanistan wieder aufzunehmen. In ihrer Entscheidung vermerkte die Kammer, die Ermittlungen sollten «alle mutmasslichen Verbrechen und Akteure» betreffen, einschliesslich der «Angehörigen der Streitkräfte und der Sicherheits- und Nachrichtendienste von Nicht-Vertragsstaaten». Dies stand im Gegensatz zu einer vorherigen Entscheidung des Chefanklägers, der sich auf mutmassliche Straftaten der Taliban und des IS-KP konzentrieren wollte.