AMNESTY INTERNATIONAL REPORT 2023/24 Länderbericht Iran

Im Nachgang der Proteste unter dem Motto «Frau, Leben, Freiheit» im Jahr 2022 unterdrückten die Behörden auch 2023 weiterhin die Rechte auf Meinungs-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit und gingen verstärkt gegen Frauen und Mädchen vor, die sich den diskriminierenden Verschleierungsgesetzen widersetzten. Die Sicherheitskräfte gingen mit rechtswidriger Gewalt und Massenfestnahmen gegen Protestierende vor. Tausende Menschen wurden verhört, willkürlich festgenommen, zu Unrecht verfolgt und inhaftiert, weil sie friedlich ihre Menschenrechte wahrgenommen hatten.

Berichtszeitraum: 1. Januar 2023 bis 31. Dezember 2023

Verschwindenlassen sowie Folter und andere Misshandlungen waren auch 2023 an der Tagesordnung und kamen systematisch zur Anwendung. Frauen, Mädchen, lesbische, schwule, bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche Menschen (LGBTI*) sowie ethnische und religiöse Minderheiten waren systemischer Diskriminierung und Gewalt ausgesetzt. Die Behörden verhängten und vollstreckten grausame und unmenschliche Strafen, einschliesslich Auspeitschungen. Die Anwendung der Todesstrafe als Mittel der politischen Unterdrückung wurde 2023 verschärft, und die Zahl der Hinrichtungen nahm zu. Die meisten Gerichtsverfahren entsprachen weiterhin nicht den internationalen Standards. Die im Zusammenhang mit den Gefängnismassakern im Jahr 1988 verübten Verbrechen gegen die Menschlichkeit und andere völkerrechtliche Verbrechen, die bis in die Gegenwart reichten, blieben nach wie vor straflos.

Hintergrund

Rechte auf Meinungs-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit

Willkürliche Inhaftierung und unfaire Gerichtsverfahren

Verschwindenlassen sowie Folter und andere Misshandlungen

Diskriminierung und Gewalt gegen Frauen und Mädchen

Diskriminierung

Todesstrafe

Straflosigkeit

Recht auf eine gesunde Umwelt

 

Hintergrund

Im März 2023 erneuerte der UN-Menschenrechtsrat das Mandat des Sonderberichterstatters zur Menschenrechtslage im Iran. In seinem Bericht vom Februar hatte dieser auf mögliche völkerrechtliche Verbrechen hingewiesen, die während der Proteste der «Frau, Leben, Freiheit»-Bewegung im Jahr 2022 begangen worden waren, darunter Verbrechen gegen die Menschlichkeit wie Mord, Inhaftierung, Verschwindenlassen, Folter, Vergewaltigung, sexualisierte Gewalt und Verfolgung.

Der Iran verweigerte der von den Vereinten Nationen eingesetzten unabhängigen Untersuchungskommission zur Lage im Iran sowie anderen unabhängigen Uno-Expert*innen und internationalen Menschenrechtsbeobachter*innen die Einreise in den Iran.

Im November 2023 forderte der Uno-Menschenrechtsausschuss in seinen abschliessenden Bemerkungen zum vierten periodischen Bericht über den Iran die Behörden auf, die diskriminierenden Verschleierungsgesetze abzuändern bzw. aufzuheben und die «Sittenpolizei» aufzulösen. Ausserdem äusserte der Ausschuss seine Sorge über die fehlende Rechenschaftspflicht für den Einsatz tödlicher Gewalt bei weitgehend friedlichen Protesten und forderte die Behörden auf, Tötungen, Folterungen und andere Menschenrechtsverletzungen während der zahlreichen Protestveranstaltungen unparteiisch und unabhängig zu untersuchen, um sicherzustellen, dass die Verantwortlichen vor Gericht gestellt und die Betroffenen entschädigt werden.

Im Mai 2023 wurde der zu Unrecht inhaftierte belgische Staatsangehörige Olivier Vandecasteele freigelassen und durfte den Iran verlassen. Dies geschah im Rahmen einer Vereinbarung zwischen Belgien und dem Iran über die vorzeitige Freilassung und Rückkehr des iranischen Geheimdienstagenten Assadolah Assadi in den Iran, der in Belgien eine 20-jährige Haftstrafe für einen vereitelten Bombenanschlag gegen iranische Dissident*innen in Frankreich verbüsste. Diese Vereinbarung leistete Geiselnahmen und anderen völkerrechtlichen Verbrechen seitens der iranischen Behörden weiter Vorschub (siehe Länderkapitel Belgien).

Im bewaffneten Konflikt in Syrien leistete der Iran weiterhin militärische Unterstützung für syrische Truppen (siehe Länderkapitel Syrien).

Der Iran lieferte weiterhin Drohnen an Russland, die zur gezielten Zerstörung ziviler Infrastruktur in der Ukraine eingesetzt wurden. Darüber hinaus stellte er die Technologie und das Fertigungs-Know-how zur Verfügung, um es Russland zu ermöglichen, diese Drohnen auch selbst zu produzieren.

Die iranische Regierung bestritt, an dem Angriff der Hamas und anderer bewaffneter palästinensischer Gruppen auf Israel am 7. Oktober beteiligt gewesen zu sein oder davon gewusst zu haben.

Rechte auf Meinungs-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit

Die Behörden zensierten im Jahr 2023 die Medien, störten Satellitenfernsehkanäle und blockierten bzw. filterten weiterhin mobile Apps und Social-Media-Plattformen, darunter Facebook, Google Play, Instagram, Signal, Telegram, Whatsapp, X (ehemals Twitter) und Youtube.

Ein Gesetzentwurf, der das Recht der Menschen auf Privatsphäre verletzen und die Online-Freiheiten sowie den Zugang zum weltweiten Internet weiter einschränken könnte, wurde Ende 2023 noch im Parlament debattiert.

Die Internet- und Mobilfunknetze waren während und im Vorfeld von zu erwarteten Protesten unterbrochen.

Die Behörden griffen 2023 zu repressiven Massnahmen, um landesweite Massenproteste zu verhindern. Kleinere lokale Proteste schlugen die Sicherheitskräfte mit rechtswidriger Gewalt und Massenfestnahmen nieder.

Im Mai 2023 setzten Sicherheitskräfte rechtswidrige Gewalt gegen Dorfbewohner*innen ein, die in der Ortschaft Gojag (Provinz Hormozgan) gegen den Abriss eines Hauses protestierten. Mehrere Menschen wurden dabei verletzt.

Während und im Vorfeld des Jahrestags der Proteste der «Frau, Leben, Freiheit»-Bewegung unterdrückten die Behörden im September 2023 Demonstrationen und Gedenkveranstaltungen, u. a. indem sie willkürlich Angehörige der Opfer festnahmen und Tausenden Studierenden die Zusicherung abnötigten, nicht zu protestieren.

Die Angriffe auf die wöchentlichen Freitagsproteste in der Stadt Zahedan in der Provinz Sistan und Belutschistan erreichten am 20. Oktober ihren Höhepunkt, als Sicherheitskräfte rechtswidrig Tränengas, Schrotflinten und Wasserwerfer gegen Tausende Demonstrierende und Gläubige, darunter auch Minderjährige, einsetzten und willkürliche Massenfestnahmen vornahmen.

Tausende Menschen, darunter auch Minderjährige, wurden wegen der friedlichen Wahrnehmung ihrer Menschenrechte im Jahr 2023 unter Verletzung ihrer Menschenrechte verhört, willkürlich inhaftiert, zu Unrecht strafrechtlich verfolgt oder von ihrem Ausbildungs- bzw. Arbeitsplatz freigestellt. Zu den Betroffenen gehörten Demonstrierende, Frauen, die in der Öffentlichkeit das obligatorische Kopftuch abnahmen, Journalist*innen, Schauspieler*innen, Musiker*innen, Schriftsteller*innen, Akademiker*innen, Studierende und LGBTI*. Auch Menschenrechtsverteidiger*innen wie z. B. Frauenrechtler*innen, Aktivist*innen gegen die Todesstrafe, Rechtsanwält*innen und Familien, die sich für Wahrheitsfindung und Gerechtigkeit für rechtswidrig Getötete einsetzten, gerieten ins Visier.

Die Behörden verboten weiterhin unabhängige politische Parteien, zivilgesellschaftliche Organisationen und Gewerkschaften. Zudem setzten sie Arbeitnehmer*innen und Arbeitsrechtsaktivist*innen Repressalien aus, wenn sie streikten oder friedliche Versammlungen abhielten, u. a. am Internationalen Tag der Arbeit.

Willkürliche Inhaftierung und unfaire Gerichtsverfahren

Gerichtsverfahren waren systematisch unfair, was dazu führte, dass Tausende Menschen willkürlich in Haft genommen wurden. Zu den systematischen Verstössen gegen ein ordnungsgemässes Verfahren gehörten die Verweigerung des Rechts auf einen Rechtsbeistand ab dem Zeitpunkt der Festnahme, die Zulassung von durch Folter erzwungenen «Geständnissen» als Beweismittel sowie Schnellverfahren, die zu Haftstrafen, Auspeitschungen und Todesurteilen führten.

Die Justiz spielte eine zentrale Rolle bei der Zementierung der Straflosigkeit für Folter, Verschwindenlassen und andere Menschenrechtsverletzungen, da es ihr an Unabhängigkeit mangelte. Ausserdem gehörten ihr hochrangige Staatsbedienstete an, gegen die selbst wegen Verbrechen unter dem Völkerrecht ermittelt werden müsste.

Die Behörden versuchten, die Unabhängigkeit der iranischen Anwaltskammer durch Gesetzesänderungen und andere repressive Massnahmen weiter zu untergraben.

Die Praxis der willkürlichen Inhaftierung von ausländischen Staatsangehörigen und Personen mit doppelter Staatsbürgerschaft als Druckmittel wurde nach wie vor nicht geahndet. Einige dieser Fälle erfüllten den Straftatbestand der Geiselnahme.

Der gegen die Dissident*innen Mehdi Karroubi, Mir Hossein Mussawi sowie Mussawis Ehefrau Zahra Rahnavard verhängte willkürliche Hausarrest ging in sein 13. Jahr.

Verschwindenlassen sowie Folter und andere Misshandlungen

Die Behörden liessen Häftlinge routinemässig verschwinden oder hielten sie ohne Kontakt zur Aussenwelt fest, häufig in Einrichtungen, die vom Geheimdienstministerium, den Revolutionsgarden oder verschiedenen Organen der iranischen Polizei kontrolliert wurden.

Folter und andere Misshandlungen waren weit verbreitet und erfolgten systematisch, u. a. durch Schläge, Auspeitschungen, Elektroschocks, Scheinhinrichtungen, lange Einzelhaft sowie die Verweigerung von Nahrung und Wasser. Im staatlichen Fernsehen wurden durch Folter erzwungene «Geständnisse» ausgestrahlt.

Die Gefangenen mussten grausame und unmenschliche Haftbedingungen ertragen, darunter extreme Überbelegung der Zellen, unhygienische Verhältnisse, schlechte Belüftung, Mäuse- und Insektenbefall sowie fehlender oder unzureichender Zugang zu Bettzeug, Toiletten und Waschgelegenheiten.

Angehörige des Strafvollzugs und der Strafverfolgungsbehörden verweigerten Inhaftierten häufig absichtlich eine angemessene medizinische Versorgung, auch bei folterbedingten Verletzungen. Vor dem Hintergrund glaubwürdiger Berichte über Folter und andere Misshandlungen, einschliesslich Schlägen und der Verweigerung von medizinischer Versorgung, blieben verdächtige Todesfälle in Gewahrsam ungeklärt und damit ungestraft. Zu den Personen, die unter verdächtigen Umständen starben, gehörten Ebrahim Rigi und Javad Rouhi, die in Verbindung mit den Protesten von 2022 inhaftiert worden waren.

Das islamische Strafgesetzbuch sah Strafen vor, die Folter und anderen Misshandlungen entsprachen, darunter Auspeitschung, Blendung, Amputation, Kreuzigung und Steinigung. 

Nach Angaben der NGO Abdorrahman Boroumand Center verhängten Gerichte 2023 mindestens 188 Auspeitschungsurteile, von denen wenigstens neun vollstreckt wurden. Zudem wurden auf gerichtliche Anordnung zwei Amputationen durchgeführt, und der Oberste Gerichtshof bestätigte ein Blendungsurteil.

Diskriminierung und Gewalt gegen Frauen und Mädchen

Die Behörden behandelten Frauen 2023 weiterhin als Menschen zweiter Klasse, u. a. in Bezug auf Heirat, Scheidung, Sorgerecht, Beschäftigung, Erbschaftsangelegenheiten und Zugang zu politischen Ämtern.

Das gesetzliche Heiratsalter für Mädchen lag weiterhin bei 13 Jahren. Väter konnten jedoch bei Gericht eine Erlaubnis einholen, wenn sie ihre Töchter früher verheiraten wollten.

Die Behörden verschärften ihr landesweites Vorgehen gegen Frauen und Mädchen, die sich dem Kopftuchzwang widersetzten, und führten Massnahmen ein, die ihre sozialen, wirtschaftlichen, kulturellen, bürgerlichen und politischen Rechte schwer verletzten und ihre Bewegungsfreiheit einschränkten. So wurden beispielsweise SMS-Nachrichten an mehr als eine Million Frauen gesendet, in denen die Beschlagnahmung ihrer Fahrzeuge angedroht wurde bzw. sie darüber informiert wurden, dass ihr Auto vorübergehend aus dem Verkehr gezogen werde. Frauen wurde ausserdem der Zugang zu Beschäftigung, Bildung, Gesundheitsfürsorge, Bankdienstleistungen und/oder öffentlichen Verkehrsmitteln vorenthalten, und sie wurden vor Gericht gestellt, wo sie zu Haftstrafen, Geldstrafen oder erniedrigenden Strafen wie dem Waschen von Leichen verurteilt wurden. Offiziellen Angaben zufolge wurden mehr als 1800 Geschäfte geschlossen, weil sich die Betreiber*innen nicht an den Kopftuchzwang hielten.

Angehörige der «Sittenpolizei» patrouillierten 2023 wieder auf den Strassen, was zu verstärkter Schikane und Gewalt gegen Frauen und Mädchen in der Öffentlichkeit führte.

Im Dezember 2023 billigte der Schlichtungsrat den Entwurf für ein drakonisches «Gesetz zur Unterstützung der Familie durch Förderung der Kultur der Keuschheit und des Hijab» und legte ihn dem Wächterrat zur abschliessenden Genehmigung vor. Dieser verwies den Gesetzentwurf zurück an das Parlament, um weitere Änderungen vornehmen zu lassen. Das Gesetz würde bis zu zehn Jahre Gefängnis für Personen vorsehen, die sich dem Kopftuchzwang widersetzen, und nichtstaatliche Einrichtungen wie z. B. Privatunternehmen bestrafen, wenn diese sich weigern, die diskriminierenden Verschleierungsgesetze durchzusetzen.

Am 28. Oktober 2023 starb die 16-jährige Armita Garawand, nachdem sie 28 Tage lang im Koma gelegen hatte. Berichten zufolge war sie von einer Person, die den Kopftuchzwang in der U-Bahn durchsetzen wollte, angegriffen worden. Die Behörden nahmen eine Journalistin fest, die den Vorfall untersuchte, verbreiteten Propagandavideos, um sich von jeder Verantwortung loszusagen, und setzten diejenigen, die an Gedenkveranstaltungen teilnahmen, willkürlicher Inhaftierung, Schlägen und/oder anderen Formen der Schikane aus.

Zwischen Januar und April 2023 wurden Tausende Schülerinnen mit Vergiftungen in Krankenhäuser eingeliefert, nachdem Mädchenschulen im ganzen Land mit chemischen Stoffen angegriffen worden waren. Es handelte sich dabei offenbar um eine koordinierte Kampagne, mit der die Schülerinnen bestraft werden sollten, weil sie während der Proteste von 2022 ihr Kopftuch abgelegt hatten. Die Behörden gingen gegen Eltern, Schülerinnen, Lehrer*innen, Journalist*innen und andere Personen mit Gewalt, Einschüchterung und willkürlichen Festnahmen vor, wenn diese das Unvermögen der Behörden, die Angriffe zu beenden, kritisierten und Wahrheitsfindung und Rechenschaftspflicht verlangten. 

Im April 2023 billigte das Parlament die Grundsätze eines Gesetzesentwurfs mit dem Titel «Verteidigung der Würde und Schutz von Frauen vor Gewalt», der bereits seit über einem Jahrzehnt vorlag. Einige der Bestimmungen wurden zur weiteren Prüfung an die zuständigen Parlamentsausschüsse verwiesen. Der Text wurde jedoch abgeschwächt, um den Begriff «Gewalt» streichen zu können. Das geänderte Gesetz definiert weder häusliche Gewalt als eigenständigen Straftatbestand, noch stellt es Kinderehen oder Vergewaltigung in der Ehe unter Strafe. Auch gewährleistet es nicht, dass Männer, die ihre Frauen oder Töchter ermorden, angemessen bestraft werden. 

In Frauengefängnissen stand keine angemessene geschlechtsspezifische Gesundheitsversorgung zur Verfügung.

Diskriminierung

Ethnische Minderheiten

Ethnische Minderheiten, darunter arabische, aserbaidschanische, belutschische, kurdische und turkmenische Bevölkerungsgruppen, wurden in grossem Umfang diskriminiert. Dies betraf vor allem ihren Zugang zu Bildung, zum Arbeitsmarkt, zu angemessenem Wohnraum und zu politischen Ämtern. Der fortgesetzte Mangel an Investitionen in von ethnischen Minderheiten bewohnten Regionen verschärfte die Armut und Ausgrenzung noch. 

Persisch blieb trotz wiederholter Forderungen nach mehr Sprachenvielfalt die einzige Unterrichtssprache in Grund- und Sekundarschulen.

Sicherheitskräfte töteten auch 2023 rechtswidrig und ungestraft zahlreiche unbewaffnete kurdische Kuriere (kulbar), die Güter zwischen den kurdischen Regionen des Irans und des Iraks hin- und hertransportierten, sowie unbewaffnete belutschische Lastenträger (soukhtbar), die in der Provinz Sistan und Belutschistan Kraftstoff transportierten. 

Religiöse Minderheiten

Angehörige religiöser Minderheiten, darunter Baha'i, Christ*innen, Gonabadi-Derwische, Jüd*innen, sunnitische Muslim*innen und Yaresan (Ahl-e Haq), wurden auch 2023 durch Gesetze und im täglichen Leben diskriminiert, u. a. was den Zugang zu Bildung und Beschäftigung, die Adoption von Kindern, die Nutzung von Gebetsstätten und die Übernahme politischer Ämter betraf. Hunderte wurden willkürlich inhaftiert, ungerechtfertigt verfolgt oder gefoltert und anderweitig misshandelt, weil sie sich zu ihrem Glauben bekannten oder ihn praktizierten.

Personen, deren Eltern von den Behörden als Muslim*innen geführt wurden, liefen Gefahr, willkürlich inhaftiert, gefoltert und wegen «Apostasie» (Abfall vom Glauben) zum Tode verurteilt zu werden, wenn sie zu einer anderen Religion konvertierten oder sich zum Atheismus bekannten.

Angehörige der Baha'i-Minderheit waren weiterhin zahlreichen systematischen Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt. Hierzu zählten der Ausschluss vom Hochschulstudium, die gewaltsame Schliessung ihrer Geschäfte, die Beschlagnahmung ihres Eigentums sowie willkürliche Massenfestnahmen. Die Behörden verhinderten die Beisetzung von Baha'i auf einem Friedhof in Teheran, den die Gemeinschaft seit Jahrzehnten genutzt hatte. Stattdessen bestatteten sie mehrere verstorbene Baha'i zwangsweise in der nahe gelegenen Massengrabstätte von Khavaran, wo mutmasslich die Opfer der Gefängnismassaker von 1988 begraben sind. Die betroffenen Baha'i-Familien wurden nicht im Vorfeld darüber informiert und die Beerdigungspraktiken der Baha'i nicht eingehalten.

Die Behörden gingen weiterhin mit Razzien gegen christliche Hauskirchen vor. Ausserdem nahmen sie Personen willkürlich fest und verurteilten sie zu Haftstrafen und Verbannung. 

LGBTI*

Lesbische, schwule, bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche Menschen (LGBTI*) litten unter systemischer Diskriminierung und Gewalt. Für einvernehmliche gleichgeschlechtliche sexuelle Beziehungen drohten Strafen, die von Auspeitschung bis hin zur Todesstrafe reichten.

Sogenannte Konvertierungsbehandlungen, die Folter und anderen Misshandlungen gleichkommen, waren staatlich anerkannt und wurden nach wie vor häufig angewandt, auch bei Minderjährigen. Für eine rechtlich anerkannte Änderung des Geschlechts waren Hormontherapien und chirurgische Eingriffe, einschliesslich Sterilisationen, erforderlich.

Nicht geschlechtskonforme Personen liefen Gefahr, kriminalisiert und von Bildung und Beschäftigung ausgeschlossen zu werden.

Rechte von Flüchtlingen und Migrant*innen

Die schätzungsweise 5 Mio. afghanischen Staatsangehörigen im Iran sahen sich mit Diskriminierung konfrontiert, u. a. beim Zugang zu Bildung, Wohnraum, Beschäftigung, Gesundheitsversorgung, Bankdienstleistungen und in Bezug auf ihre Bewegungsfreiheit.

Staatliche Medien und einige Regierungsangestellte hetzten gegen afghanische Asylsuchende und stachelten so zu Hassreden und Hassverbrechen gegen im Land lebende Afghan*innen an.

Im November 2023 gaben die Behörden bekannt, dass im August mit der Rückführung «illegaler» afghanischer Migrant*innen begonnen worden sei und seitdem 450'000 Menschen «freiwillig» nach Afghanistan zurückgekehrt seien.

Todesstrafe

Die Zahl der Hinrichtungen nahm gegenüber dem Vorjahr zu; die Anzahl der im Zusammenhang mit Drogendelikten exekutierten Menschen war fast doppelt so hoch.

Die Todesstrafe wurde nach grob unfairen Gerichtsverfahren verhängt, und auch für Straftaten, die gemäss dem Völkerrecht nicht zu den «schwersten Verbrechen» zählen, welche mit vorsätzlicher Tötung einhergehen. Zu diesen Straftaten gehörten Drogenhandel, Finanzkriminalität, Vandalismus und vage formulierte Delikte wie «Feindschaft zu Gott» (moharebeh) und «Verdorbenheit auf Erden» (ifsad fil-arz). Die Todesstrafe wurde auch für Handlungen beibehalten, die durch das Recht auf Privatsphäre sowie durch die Rechte auf Meinungs-, Religions- und Glaubensfreiheit geschützt sind, darunter «Beleidigung des Propheten», Alkoholkonsum und einvernehmliche gleichgeschlechtliche sexuelle Beziehungen zwischen Erwachsenen oder ausserhalb der Ehe. Ehebruch wurde weiterhin mit Steinigung geahndet.

Die Behörden setzten auch 2023 die Todesstrafe als Mittel der politischen Unterdrückung gegen Demonstrierende, Dissident*innen und ethnische Minderheiten ein.

Zwei Männer wurden wegen «Apostasie» (Abfall vom Glauben) hingerichtet, nur weil sie in den Sozialen Medien friedlich ihr Recht auf Religionsfreiheit ausgeübt hatten.

Sechs junge Männer wurden im Zusammenhang mit den Protesten von 2022 willkürlich hingerichtet, nachdem sie in unfairen Scheinprozessen auf der Grundlage von durch Folter erzwungenen «Geständnissen» zum Tode verurteilt worden waren.

Angehörige der unterdrückten Minderheit der Belutsch*innen machten einen unverhältnismässig hohen Anteil der Hingerichteten aus.

Mehrere Personen, die zum Zeitpunkt der mutmasslichen Tat unter 18 Jahre alt waren, wurden hingerichtet, darunter Hamidreza Azari, der bei seiner Hinrichtung 17 Jahre alt war. Zahlreiche weitere Personen befanden sich nach wie vor im Todestrakt.

Straflosigkeit

Im Mai 2023 kündigte der iranische Präsident die Einsetzung eines aussergerichtlichen Sonderausschusses zur Untersuchung der Proteste von 2022 an, wobei Bedenken hinsichtlich der Unparteilichkeit und Unabhängigkeit der Delegierten aufkamen. Der Ausschuss unternahm keine Anstrengungen, die Untersuchungen nach internationalen Standards durchzuführen oder die Ergebnisse zu veröffentlichen.

Staatsbedienstete wurden für im Jahr 2023 und in den Vorjahren verübte völkerrechtliche Verbrechen und schwere Menschenrechtsverletzungen, darunter rechtswidrige Tötungen, Folter und Verschwindenlassen, nicht zur Rechenschaft gezogen.

Die Behörden vertuschten weiterhin Folter und andere Misshandlungen, einschliesslich Vergewaltigung und anderer Formen sexualisierter Gewalt, die von Staatsbediensteten während der Proteste von 2022 an inhaftierten Demonstrierenden begangen worden waren. Die Betroffenen wurden unter Druck gesetzt, ihre Anzeigen zurückzuziehen, oder mussten mit Repressalien rechnen. Auch wurden die Familien von rechtswidrig getöteten Protestierenden schikaniert, eingeschüchtert und willkürlich festgenommen. Gedenkveranstaltungen wurden verboten und die Grabstätten ihrer Angehörigen zerstört. Die Behörden leugneten weiterhin jegliche Verantwortung für den Tod von Jina Mahsa Amini in Gewahrsam und schikanierten auch ihre Familie.

Die Behörden verheimlichten weiterhin die Wahrheit über den Abschuss eines ukrainischen Passagierflugzeugs im Januar 2020 kurz nach dem Start in Teheran, bei dem alle 176 Menschen an Bord ums Leben gekommen waren. Im April 2023 verurteilte ein Militärgericht nach einem Prozess, der grösstenteils im Verborgenen stattfand, einen Kommandanten zu 13 Jahren Haft und neun weitere Personen zu ein- bis dreijährigen Gefängnisstrafen. Im August begann das Berufungsverfahren vor dem Obersten Gerichtshof.

Was die fortgesetzten Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Verbindung mit den massenhaften aussergerichtlichen Hinrichtungen und Fällen von Verschwindenlassen im Jahr 1988 anging, herrschte nach wie vor Straflosigkeit. Viele der damals Verantwortlichen bekleideten auch 2023 noch hohe Ämter, z. B. Ebrahim Raisi, der seit August 2021 der Präsident des Landes ist.

Recht auf eine gesunde Umwelt

Umweltexpert*innen kritisierten, dass die Behörden nicht gegen Probleme wie das Verschwinden von Seen, Flüssen und Feuchtgebieten, die Abholzung von Wäldern, Luftverschmutzung, Wasserverschmutzung infolge der Einleitung von Abwässern in städtische Wasserquellen und Landabsenkungen vorgingen.

Fossile Brennstoffe wurden im Iran unvermindert stark erzeugt und subventioniert.

Veröffentlichungen von Amnesty International