Berichtszeitraum: 1. Januar 2023 bis 31. Dezember 2023
In mehreren Bundesstaaten gab es Bestrebungen, das Recht auf Versammlungsfreiheit einzuschränken. Schwarze Menschen wurden unverhältnismässig oft Opfer tödlicher Polizeigewalt. Bezüglich der Abschaffung der Todesstrafe gab es lediglich im Bundesstaat Washington Fortschritte. Die willkürlichen und unbegrenzten Inhaftierungen auf dem US-Marinestützpunkt Guantánamo Bay auf Kuba dauerten an. Ungeachtet der weit verbreiteten Waffengewalt wurden keine weiteren Reformen der Waffengesetze in Betracht gezogen, allerdings richtete Präsident Joe Biden im September ein neues Amt zur Prävention von Waffengewalt ein. Die USA setzten nach wie vor in Ländern auf der ganzen Welt tödliche Gewalt ein. Unter den Menschen, die gesundheitliche Schäden durch die petrochemische Industrie davontrugen, waren überproportional viele Schwarze, Angehörige anderer rassifizierter Gruppen und Menschen mit niedrigem Einkommen. Die Nutzung fossiler Brennstoffe wurde unvermindert fortgesetzt.
Sexuelle und reproduktive Rechte
Rechte von Flüchtlingen und Migrant*innen
Recht auf Versammlungsfreiheit
Recht auf Leben und Sicherheit der Person
Aussergerichtliche Hinrichtungen
Diskriminierung
Zahlreiche Menschen wurden aufgrund ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität Opfer exzessiver Gewalt, insbesondere trans Personen, die rassifizierten Gruppen angehörten. Lesbische, schwule, bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche Menschen (LGBTI*) wurden neunmal häufiger Opfer gewaltsamer Hassverbrechen als Nicht-LGBTI*. Lediglich 54 Prozent der erwachsenen LGBTI* lebten in Bundesstaaten, in denen es Gesetze gegen Hassverbrechen gab, die auch Angriffe aufgrund der sexuellen Orientierung, Geschlechtsidentität oder des Ausdrucks der Geschlechtlichkeit abdeckten.
Die Zahl der Bundesstaaten, die gegen LGBTI* gerichtete Gesetze verabschiedeten, nahm dramatisch zu: 2023 traten 84 entsprechende Gesetze in Kraft, viermal mehr als 2022. Immer mehr Gesetze, die die Rechte von LGBTI* einschränkten oder faktisch ganz abschafften, wurden unter dem Vorwand der Religionsfreiheit erlassen.
Im Kongress wurden vier Resolutionen bzw. Gesetzentwürfe eingebracht, die Reparationen und Wahrheitskommissionen bezüglich der Sklaverei und der Internate für Indigene samt deren Auswirkungen betrafen. Die Nachkommen von versklavten Afrikaner*innen, Afroamerikaner*innen und Indigenen litten weiterhin unter Traumata, die von Generation zu Generation weitergegeben wurden, und unter den wirtschaftlichen und materiellen Spätfolgen von Sklaverei und Kolonialismus, ohne dass eine Wiedergutmachung erfolgt wäre.
Nach den Angriffen der Hamas in Israel am 7. Oktober 2023 und der anschliessenden israelischen Bombardierung und Bodeninvasion des Gazastreifens nahmen in den USA antisemitische und islamfeindliche Vorfälle gegen Menschen, die jüdisch, muslimisch, israelisch oder arabisch waren oder so wahrgenommen wurden, exponentiell zu.
Sexuelle und reproduktive Rechte
Nachdem der Oberste Gerichtshof der USA im Jahr 2022 den auf Bundesebene gesetzlich verankerten Schutz des Rechts auf einen Schwangerschaftsabbruch gekippt hatte, führten 15 Bundesstaaten ein absolutes Abtreibungsverbot ein oder liessen Schwangerschaftsabbrüche nur noch in wenigen Ausnahmefällen zu, was Folgen für Millionen Menschen im gebärfähigen Alter hatte. Viele weitere Bundesstaaten führten ein Verbot von Abbrüchen nach der 6., 12. oder 15. bis 20. Schwangerschaftswoche ein. Die raschen Gesetzesänderungen und komplexen juristischen Anfechtungsverfahren führten zu grosser Unsicherheit bezüglich des Eingriffs. Viele Bundesstaaten machten den medikamentösen Schwangerschaftsabbruch, Reisen in andere Bundesstaaten, um dort den Abbruch vornehmen zu lassen, und die Unterstützung von solchen Reisen strafbar oder planten dies. Im Bundesstaat Ohio stimmte bei einem Referendum im November 2023 die Mehrheit dafür, das Recht auf einen Schwangerschaftsabbruch in der bundesstaatlichen Verfassung zu verankern.
Selbst in Bundesstaaten, in denen Schwangerschaftsabbrüche legal waren, gab es zahlreiche Beschränkungen hinsichtlich der Finanzierung des Eingriffs. Dies wirkte sich unverhältnismässig stark auf Schwarze und andere rassifizierte Personen aus. Weil ein auf Bundesebene geltendes Gesetz aus den 1970er-Jahren (Hyde Amendment) die Finanzierung von Schwangerschaftsabbrüchen aus Bundesmitteln untersagte, konnte das staatliche Programm Medicaid, das bestimmten Gruppen mit niedrigem Einkommen eine Krankenversicherung bot, die Kosten des Eingriffs nicht übernehmen. Für Schwangere, die einen Abbruch vornehmen lassen wollten, bedeutete dies eine unnötige finanzielle Belastung, insbesondere für diejenigen, die wenig Einkommen hatten oder rassifizierten Gruppen angehörten.
Geschlechtsspezifische Gewalt
Frauen aus indigenen Bevölkerungsgruppen (American Indian and Alaska Native women) wurden auch 2023 unverhältnismässig häufig Opfer sexualisierter Gewalt. Laut den jüngsten verfügbaren offiziellen Daten aus dem Jahr 2016 hatten rund 56 Prozent der indigenen Frauen sexualisierte Gewalt erlitten – mehr als doppelt so viele wie im nationalen Durchschnitt. 84 Prozent hatten irgendeine Form von Gewalt erfahren. Laut einer Umfrage aus dem Jahr 2018 hatte eine indigene Frau in Alaska ein 2,8-fach höheres Risiko, Opfer sexualisierter Gewalt zu werden, als eine nichtindigene Frau. Die Daten aus dem Jahr 2016 ergaben, dass in 96 Prozent der Fälle von sexualisierter Gewalt gegen indigene Frauen mindestens ein Täter nichtindigen war. Weil das geltende US-Recht die Gerichte der indigenen Selbstverwaltungen nach wie vor einschränkte, hatten diese keine Handhabe, um in Fällen sexualisierter Gewalt nichtindigene Täter strafrechtlich zu verfolgen. Indigene Überlebende von Vergewaltigungen hatten weiterhin nur begrenzten Zugang zu medizinischer Versorgung. Dies galt auch für die gerichtsmedizinischen Untersuchungen, die notwendig waren, um Täter strafrechtlich zu verfolgen.
Rechte von Flüchtlingen und Migrant*innen
Nach dem Wegfall der Einreisebeschränkungen gemäss der Richtlinie Title 42 führten die USA neue Massnahmen zur Steuerung der Migration ein, die den Zugang zu Asyl an der Grenze zu Mexiko weiterhin drastisch einschränkten. So galten generell alle Asylsuchenden als nicht asylberechtigt, wenn sie nicht eine von drei Ausnahmeregelungen geltend machen konnten. Ausserdem waren sie verpflichtet, die 2020 von der Zoll- und Grenzschutzbehörde eingeführte App CBP One zu verwenden, um einen Asyltermin an bestimmten Grenzübergängen zu vereinbaren. Da die Zahl der über diese App erhältlichen Termine begrenzt war, sassen viele Asylsuchende unter unmenschlichen Bedingungen an der Grenze fest und waren dort Gewalt und rassistischen Übergriffen ausgesetzt. Dies betraf insbesondere Frauen, unbegleitete Minderjährige und Schwarze.
Das von den USA und Kanada geschlossene Abkommen über sichere Drittstaaten wurde im März 2023 auf den gesamten Grenzverlauf zwischen den beiden Ländern ausgeweitet, einschliesslich der Wasserstrassen.
Die US-Regierung verlängerte den vorübergehenden Schutz und die Arbeitsgenehmigungen für Staatsangehörige aus Haiti, Honduras, dem Jemen, Nepal, Nicaragua, Somalia, Südsudan, Sudan, der Ukraine und Venezuela. Für Flüchtlinge aus Haiti, Kuba, Nicaragua und Venezuela wurde ein besonderes Verfahren eingeführt, das monatlich bis zu 30.000 Personen aus diesen Ländern die Einreise in die USA ermöglichte, sofern sie eine*n in den USA ansässige*n Sponsor*in vorweisen konnten. Von Januar bis September 2023 erhielten etwa 251.000 Personen eine entsprechende Einreiseerlaubnis.
Ende 2023 hatte der US-Kongress noch keinen Beschluss über ein Gesetz gefasst, das afghanischen Staatsangehörigen, die aus ihrem Heimatland evakuiert worden waren, einen dauerhaften Aufenthalt in den USA ermöglichen sollte (Afghan Adjustment Act).
Die Behörden setzten die willkürliche, massenhafte Inhaftierung und (elektronische) Überwachung von Migrant*innen systematisch fort. Auch 2023 wurden Schutzsuchende in privaten Haftanstalten untergebracht, die für die Betreiber ein lukratives Geschäft darstellten.
Die Bundesbehörden führten ein neues Transportsystem ein, um Asylsuchende aus den Grenzstaaten ins Landesinnere zu bringen. Weil die Städte Schwierigkeiten hatten, die ankommenden Asylsuchenden angemessen unterzubringen und zu versorgen, stieg die Zahl derjenigen, die nur in behelfsmässigen Lagern oder in ungeeigneten Unterkünften wie Polizeiwachen oder Sammelunterkünften untergebracht waren.
Recht auf Versammlungsfreiheit
In 16 Bundesstaaten wurden 23 Gesetzentwürfe eingebracht, die das Recht auf Versammlungsfreiheit einschränkten. In vier Bundesstaaten verabschiedeten die Parlamente fünf diesbezügliche Gesetze. Viele dieser Gesetzentwürfe zielten darauf ab, bestimmte Proteste – wie etwa Demonstrationen in der Nähe von Öl- und Gaspipelines – strafbar zu machen oder das Strafmass für bestehende Delikte wie «Aufruhr» oder Strassenblockaden zu erhöhen. Eine Neuregelung im Bundesstaat Mississippi verpflichtete Organisator*innen von Protesten dazu, eine schriftliche Genehmigung der Polizei einzuholen, wenn sie eine Demonstration in der Nähe des Parlaments oder von Regierungsgebäuden abhalten wollten. Damit oblag es Staatsbediensteten, Proteste zu erlauben oder zu verbieten – auch solche, die sich gegen das Handeln von Staatsbediensteten richteten. Der Bundesstaat North Carolina verschärfte die Strafen für «Aufruhr» und für Proteste in der Nähe von Pipelines.
Im Bundesstaat Georgia wurden 61 Personen angeklagt, die gegen ein Gesetz zur Bekämpfung von kriminellen Aktivitäten des organisierten Verbrechens (Racketeer Influenced and Corrupt Organizations Act) verstossen haben sollen, als sie gegen den Bau einer Trainingsanlage für Polizei und Feuerwehr protestierten, von den Gegner*innen Cop City genannt. Viele Menschen wurden auch auf der Grundlage eines vagen und weit gefassten Gesetzes über inländischen Terrorismus angeklagt.
Nach dem 7. Oktober 2023 gab es im ganzen Land regelmässig grosse, friedliche Demonstrationen, die sich für einen Waffenstillstand zwischen Israel und der Hamas aussprachen und die US-Regierung aufforderten, ihre Munitionslieferungen an die israelische Regierung einzustellen.
Exzessive Gewaltanwendung
Laut Medienberichten tötete die Polizei 2023 durch Schusswaffeneinsatz 1153 Personen. Schwarze Menschen wurden unverhältnismässig oft Opfer tödlicher Polizeigewalt. Ihr Anteil an den Getöteten lag bei fast 18,5 Prozent, während sie nur etwa 13 Prozent der Bevölkerung ausmachten.
Ein vom UN-Menschenrechtsrat eingesetzter internationaler unabhängiger UN-Expertenmechanismus zur Förderung von Rassengerechtigkeit und Gleichbehandlung im Kontext der Strafverfolgung besuchte 2023 die USA. Im Anschluss forderte die Delegation die Regierung auf, Daten über direkte Kontakte der Bevölkerung mit Ordnungskräften und der Strafjustiz zu erheben, zu analysieren und zu veröffentlichen, die nach ethnischer Herkunft aufgeschlüsselt sind. Ausserdem solle die Regierung sicherstellen, dass in allen Fällen exzessiver Gewaltanwendung und anderer Menschenrechtsverletzungen durch Ordnungskräfte eine rasche, wirksame und unabhängige strafrechtliche Untersuchung erfolgt und die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden.
Am 18. Januar 2023 begann ein behördenübergreifender Polizeieinsatz unter Leitung der Polizei des Bundesstaats Georgia (Georgia State Patrol) mit dem Ziel, ein Protestcamp zu räumen, das Aktivist*innen Ende 2021 in einem Wald am Stadtrand von Atlanta errichtet hatten, um den Bau der Trainingsanlage Cop City zu verhindern. Nach offizieller Darstellung forderte die Polizei bei dem Einsatz den Umweltschützer Manuel Esteban (Tortuguita) Páez Terán auf, sein Zelt zu verlassen. Daraufhin habe dieser auf die Polizist*innen geschossen und dabei einen Polizisten verletzt, woraufhin die Polizist*innen das Feuer erwidert und Páez Terán getötet hätten. Eine unabhängige Autopsie ergab, dass 57 Schüsse auf den Aktivisten abgefeuert worden waren und seine Hände keine Schmauchspuren aufwiesen.
Todesstrafe
Obwohl auf Bundesebene nach wie vor ein Hinrichtungsstopp in Kraft war, bestand das Justizministerium auf den bereits verhängten Todesurteilen, bemühte sich um deren Bestätigung in Rechtsmittelverfahren und drängte auf die Verhängung neuer Todesurteile. In beiden Häusern des US-Kongresses wurden erneut zwei Gesetzentwürfe zur Abschaffung der Todesstrafe auf Bundesebene eingebracht, doch wurde über keinen der beiden abgestimmt.
Im Bundesstaat Alabama schloss die Strafvollzugsbehörde nach einem viermonatigen Moratorium im Februar 2023 ihre Überprüfung des Verfahrens der tödlichen Injektion ab und genehmigte die Wiederaufnahme von Hinrichtungen mit der Giftspritze. Im März verabschiedete der Bundesstaat Idaho ein Gesetz, das den Einsatz von Erschiessungskommandos als Hinrichtungsmethode erlaubte. Im April wurde in Florida ein Gesetz verabschiedet, dem zufolge nur noch acht von zwölf Geschworenen für ein Todesurteil stimmen müssen. Damit hat dieser Bundesstaat die niedrigste Schwelle für Todesurteile in den USA. Im August verabschiedete Alabama seine Ausführungsbestimmungen für Hinrichtungen mit Stickstoff – eine Methode, die nach Ansicht von UN-Menschenrechtsgremien gegen das Verbot von Folter und anderer grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe verstösst. In Alabama wurde ein Gesetzentwurf ins Parlament eingebracht, der für Todesurteile eine einstimmige Entscheidung der Jury forderte sowie die rückwirkende Anwendung eines Gesetzes von 2017, wonach das Urteil einer Jury bei Kapitalverbrechen nicht mehr durch richterlichen Beschluss abgeändert werden darf. Der Gesetzentwurf wurde aber nicht verabschiedet.
Der Bundesstaat Washington schaffte die Todesstrafe 2023 offiziell ab, nachdem der Oberste Gerichtshof des Bundesstaats 2018 festgestellt hatte, dass Todesurteile auf willkürliche und rassistisch diskriminierende Weise verhängt wurden.
Willkürliche Inhaftierungen
Unter Verstoss gegen das Völkerrecht hielt das US-Militär 2023 weiterhin 30 muslimische Männer willkürlich und auf unbestimmte Zeit auf dem US-Marinestützpunkt Guantánamo Bay auf Kuba fest. Vier Gefangene wurden im Jahr 2023 an Drittstaaten überstellt, die Verlegung von 16 weiteren Männern war genehmigt, teilweise bereits seit mehr als einem Jahrzehnt, ohne dass diese erfolgt war. Weil der Kongress weiterhin die Verlegung von Guantánamo-Häftlingen in die USA blockierte, musste die Regierung menschenrechtskonforme Drittstaaten für sie finden.
Weiterhin wurde niemand wegen Folterungen oder Misshandlungen von Häftlingen zur Rechenschaft gezogen. Ausserdem gab es nach wie vor keine Entschädigung und keine angemessene medizinische Behandlung für die vielen Gefangenen, die gefoltert und anderweitig misshandelt wurden und/oder dem Verschwindenlassen zum Opfer gefallen waren.
Obwohl der Oberste Gerichtshof der USA bereits 2008 entschieden hatte, dass Guantánamo-Häftlinge ein Recht darauf haben, die Rechtmässigkeit ihrer Inhaftierung richterlich überprüfen zu lassen (Habeas Corpus), wurden den Inhaftierten entsprechende Anhörungen weiterhin verweigert. Die ihm Zuge des «Kriegs gegen den Terror« geschaffenen rechtlichen Bestimmungen, die nach wie vor gegen das Völkerrecht verstiessen, beschränkten die Möglichkeiten der Bundesgerichte, die Freilassung von Häftlingen anzuordnen. Selbst entsprechende Urteile von Bundesgerichten führten nicht zur sofortigen Freilassung von Gefangenen.
Acht Gefangene, darunter fünf Männer, denen eine Beteiligung an den Anschlägen vom 11. September 2001 zur Last gelegt wurde, mussten nach wie vor mit Verfahren vor einer Militärkommission rechnen, was gegen internationales Recht und die Standards für faire Verfahren verstiess. Im Fall einer Verurteilung drohte ihnen die Todesstrafe. Sollte diese in einem Verfahren verhängt werden, das nicht den internationalen Standards entspricht, käme dies einem willkürlichen Entzug des Lebens gleich. Bei einigen der verbliebenen 30 Gefangenen gerieten die langwierigen Verhandlungen über Zugeständnisse unter der Voraussetzung eines Schuldeingeständnisses im September 2023 ins Stocken, nachdem die Regierung Forderungen der fünf Männer abgelehnt hatte, die wegen der Anschläge vom 11. September 2001 angeklagt waren. Der systemische Einsatz von Folter und der Verstoss gegen fundamentale Standards der Fairness in diesem System der «Offshore-Justiz« hatten dafür gesorgt, dass die USA weiterhin niemanden für die Anschläge vom 11. September 2001 zur Rechenschaft ziehen konnten.
Recht auf Leben und Sicherheit der Person
Den aktuellsten Daten zufolge, die sich auf das Jahr 2022 bezogen, kamen mindestens 48'000 Menschen durch Waffengewalt zu Tode, dies bedeutete etwa 132 Tote pro Tag. Begünstigt wurden diese Gewalttaten durch den anhaltenden, praktisch ungehinderten Zugang zu Schusswaffen. Der Anstieg der Waffenkäufe während der Coronapandemie, das Fehlen umfassender Waffensicherheitsgesetze (einschliesslich wirksamer Regulierungen des Erwerbs, des Besitzes und der Verwendung von Schusswaffen) und mangelnde Investitionen in angemessene Präventions- und Interventionsprogramme leisteten der Waffengewalt zusätzlich Vorschub.
Im Jahr 2023 waren mehr als 650 Vorfälle mit vier oder mehr Toten zu verzeichnen. Im Januar eröffnete ein Mann bei einer Feier zum chinesischen Neujahrsfest in Monterey Park (Kalifornien) das Feuer, tötete elf Menschen und verletzte neun weitere. In Nashville (Tennessee) erschoss ein Mann im März 2023 in einer christlichen Grundschule drei Kinder und drei Erwachsene. Im April tötete in Cleveland (Texas) ein Mann in einem Nachbarhaus fünf Menschen, darunter einen neunjährigen Jungen, nachdem die Familie ihn gebeten hatte, Schiessübungen in seinem Vorgarten zu unterlassen. Im Mai tötete ein Mann in einem Einkaufszentrum in Dallas (Texas) acht Menschen und verletzte sieben weitere. Die Beispiele machen deutlich, dass das anhaltende Versäumnis der US-Regierung, evidenzbasierte Schusswaffengesetze zu erlassen, die Menschenrechte im ganzen Land aushöhlte.
Seit der Verabschiedung des ersten Gesetzes zur Regulierung des Schusswaffenbesitzes im Jahr 2022 hatte der US-Kongress keine weiteren Schritte unternommen, um die Schusswaffenpolitik zu reformieren. Präsident Biden richtete deshalb im September im Weissen Haus ein neues Amt zur Prävention von Waffengewalt ein. Es soll von der Vizepräsidentin geleitet und mit Expert*innen für die Prävention von Waffengewalt besetzt werden.
Aussergerichtliche Hinrichtungen
Die USA wandten auch 2023 in verschiedenen Ländern tödliche Gewalt an. Die Behörden veröffentlichten weiterhin keine Informationen über die rechtlichen und politischen Standards und Kriterien, die für die US-Streitkräfte bei der Anwendung tödlicher Gewalt galten.
Die Regierung leugnete weiterhin gut dokumentierte Fälle, in denen Zivilpersonen verletzt und getötet wurden, und sorgte in Fällen von Tötungen an Zivilpersonen, die in der Vergangenheit verübt worden sind, nach wie vor nicht für Wahrheit, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung. NGOs, UN-Expert*innen und Medien hatten in den vergangenen zehn Jahren potenziell rechtswidrige US-Drohnenangriffe dokumentiert, die Zivilpersonen erheblichen Schaden zufügten. In einigen Fällen verletzten sie das Recht auf Leben und kamen aussergerichtlichen Hinrichtungen gleich. Ein im September 2023 von der Regierung Biden eingeführtes Meldesystem (Civilian Harm Incident Response Guidance System – CHIRG) verpflichtete die Beschäftigten des Aussenministeriums dazu, alle Vorfälle zu untersuchen und gegebenenfalls zu ahnden, bei denen Empfängerländer von Waffen aus US-Produktion im Verdacht standen, diese einzusetzen, um Zivilpersonen zu verletzen oder zu töten.
Im Oktober 2023 setzte die israelische Armee bei zwei rechtswidrigen Luftangriffen auf Wohnhäuser im besetzten Gazastreifen, in denen sich zahlreiche Zivilpersonen aufhielten, sogenannte JDAM-Bomben (Joint Direct Attack Munition) aus US-amerikanischer Produktion ein. Die beiden Bombardierungen waren entweder direkte Angriffe auf Zivilpersonen bzw. zivile Objekte oder wahllose Angriffe und sollten als Kriegsverbrechen untersucht werden. Die fortgesetzte Lieferung von Munition an Israel verstiess gegen Gesetze und politische Massgaben der USA in Bezug auf die Weitergabe und den Verkauf von Waffen, die z. B. im Memorandum Conventional Arms Transfer Policy und im CHIRG-Meldesystem festgelegt waren. Beide Vorgaben sollten Waffentransfers verhindern, die die Gefahr bargen, zu Schäden an der Zivilbevölkerung und anderen Menschenrechtsverletzungen oder Verstössen gegen das humanitäre Völkerrecht zu führen oder dazu beizutragen.
Auf Drängen von Amnesty International und anderen Organisationen überarbeitete das Verteidigungsministerium sein Handbuch zum Kriegsrecht und stellte klar, dass wenn Zweifel bestehen, ob es sich bei einem potenziellen Ziel tödlicher Gewalt um eine Zivilperson oder eine*n Kombattant*in handelt, das Militär laut Gesetz davon auszugehen habe, dass es sich um eine Zivilperson handelt. In früheren militärischen Vorgaben war dieser Grundsatz nicht präzise formuliert, was zu vielen der Tötungen von Zivilpersonen durch US-Streitkräfte in den vergangenen Jahren geführt haben könnte.
Recht auf eine gesunde Umwelt
Die USA waren in der ersten Jahreshälfte 2023 der weltweit grösste Exporteur von Flüssigerdgas. Präsident Biden genehmigte im März ein Ölbohrvorhaben im Nordwesten Alaskas, das eine Förderung von bis zu 180.000 Barrel pro Tag vorsah, und löste damit Proteste von Umweltgruppen sowie lokalen und indigenen Gemeinschaften aus. Im September erliess er ein Verbot neuer Fördervorhaben für rund vier Millionen der insgesamt etwa neun Millionen Hektar des bundeseigenen Gebiets National Petroleum Reserve Alaska.
Im April 2023 versprach Präsident Biden, 1 Mrd. US-Dollar in den Grünen Klimafonds der Vereinten Nationen einzuzahlen. Der Haushaltsentwurf für 2024 sah 4,3 Mrd. US-Dollar an direkter und indirekter Finanzierung von Klimaschutzmassnahmen aus dem Etat der Regierung und der Behörde für internationale Entwicklung (USAID) sowie 1,4 Mrd. US-Dollar an direkter Finanzierung aus dem Budget des Finanzministeriums vor. Trotz dieser Zusagen blieben die Beiträge der USA zur Finanzierung des Klimaschutzes weit unter dem Anteil, der gemäss dem Verursacherprinzip fair gewesen wäre.
Im August 2023 entschied ein Gericht in Montana erstmals, dass die Umweltpolitik des Bundesstaats, die auf fossile Brennstoffe setzte, das in der Verfassung verankerte Recht auf eine «saubere und gesunde Umwelt« von 16 Kläger*innen im Alter von fünf bis 22 Jahren verletzt und sie körperlich und seelisch geschädigt habe. Das Gericht hob ausserdem zwei Gesetze des Bundesstaats auf, die Gerichte und Behörden daran hinderten, bei geplanten Vorhaben die Auswirkungen auf das Klima zu berücksichtigen.
Die USA versorgten die Welt weiterhin mit Kunststoffen, die aus fossilen Brennstoffen hergestellt waren. Die negativen Auswirkungen der Produktion gingen vor allem zulasten der Bevölkerung vor Ort und trafen Schwarze Menschen, Angehörige anderer rassifizierter Gruppen, Menschen mit begrenzten Englischkenntnissen und Menschen mit niedrigem Einkommen unverhältnismässig stark. Laut den aktuellsten Daten, die aus dem Jahr 2021 stammten, hatten Menschen, die in einem Umkreis von drei Meilen (etwa fünf Kilometern) um petrochemische Industriestandorte lebten, ein um 28 Prozent niedrigeres Einkommen als der durchschnittliche US-Haushalt, und die Wahrscheinlichkeit, dass es sich bei ihnen um Schwarze, Indigene oder Angehörige rassifizierter Gruppen handelte, lag um 67 Prozent höher, als es dem Landesdurchschnitt entsprochen hätte. Die Schadstoffe, die bei der Herstellung von petrochemischen Produkten freigesetzt wurden, führten bei der lokalen Bevölkerung zu hohen Krebsraten, Asthma, Atemwegsinfekten und anderen Erkrankungen, insbesondere bei Kindern.
Im Mai 2023 brach in einem Raffineriekomplex des Unternehmens Shell in der Nähe von Houston (Texas) ein Grossbrand aus, der die Schadstoffbelastung für die dortige Bevölkerung dramatisch in die Höhe schnellen liess. Im August verklagte der Bundesstaat Texas Shell mit der Begründung, der Brand habe zu grossen Mengen an Schadstoffen in der Luft und illegalen Abwassereinleitungen in nahe gelegene Gewässer wie den Schiffskanal Houston Ship Channel geführt. Entlang des Kanals, der zum Hafen von Houston gehört, befinden sich mehr als 400 petrochemische Anlagen. Eine aktuelle Studie, die die Lebenserwartung von Personen nach Postleitzahlen aufgeschlüsselt analysierte, stellte fest, dass die Lebenserwartung von Menschen, die im östlichen Stadtgebiet von Houston in der Nähe des Kanals lebten, möglicherweise mehr als 15 Jahre niedriger lag als die von Bewohner*innen der wohlhabenderen westlichen Region.
Veröffentlichungen von Amnesty International
- USA: Mandatory Use of CBP One Application Violates the Right to Seek Asylum, 7 May
- USA: One year on, overturning of Roe vs. Wade has fueled human rights crisis, 24 June
- Global: Ruling in favour of activists in US climate lawsuit sets historic human rights-based precedent, 16 August
- Israel/OPT: US-made munitions killed 43 civilians in two documented Israeli air strikes in Gaza – new investigation, 5 December