Die Hoffnung, die neue Informationsfreiheit werde besonders den Menschen in totalitären Staaten ungehinderten Zugang zu ungefilterten Nachrichten verschaffen, hat sich als falsch erwiesen. Diktaturen kapitulieren nicht vor dem Internet, sondern erhöhen einfach den Zensuraufwand. In China ist es dem Regime gelungen, trotz der rasant wachsenden Zahl von InternetnutzerInnen das Web umfassend zu kontrollieren. Mittlerweile nutzen 162 Millionen ChinesInnen, immerhin 12,3 Prozent der Bevölkerung, das Web, 1,3 Millionen haben eigene Websites, 19 Prozent der InternetnutzerInnen verfügen über einen eigenen Blog.
Daran, dass chinesische NutzerInnen an der Informationsfreiheit im Internet nicht oder nur sehr eingeschränkt teilhaben können, wirken ausländische Unternehmen wie Microsoft und Google wesentlich mit. Um am lukrativen, sich rasant entwickelnden Markt im Reich der Mitte mitverdienen zu können, beugen sie sich schon seit einiger Zeit den Zensurwünschen der Machthaber, wie der Bericht «Meinungsfreiheit – in China nur Wunschdenken: Die Rolle von Yahoo, Microsoft und Google» von Amnesty International vom Mai dieses Jahres belegt.
Rausgefiltert
Entsprechend sieht die WWW-Welt für chinesische SurferInnen aus: Suchen sie mit Hilfe der Microsoft-Suchmaschine nach ungefilterten Informationen über das Massaker auf dem Platz des himmlischen Friedens oder über die Unabhängigkeit Tibets, erhalten sie einen kurzen Bescheid: «Bestimmte Inhalte wurden aus den Ergebnissen dieser Suche entfernt.» Auch bei Google werden, jedenfalls in der chinesischen Version, Inhalte zensiert. Die internationale Suchmaschine google.com ist zwar eine zensurfreie Alternative, bei Abfragen dort wird allerdings die von den Machthabern errichtete Firewall aktiv, die ebenfalls bestimmte Ergebnisse filtert.
Im gleichen Masse wie die Informationsbeschaffung wird auch die freie Meinungsäusserung für Chinas InternetnutzerInnen erschwert oder unmöglich gemacht. Nicht nur durch die ZensorInnen vor Ort, sondern eben auch durch ausländische Unternehmen, wie der Fall des Journalisten Zhao Jing alias Michael Anti im Jahr 2005 bewies. Sein Blog, in dem er sich kritisch mit der chinesischen Zensur beschäftigt hatte, wurde damals abgeschaltet – nicht etwa von Regierungsstellen, sondern von Microsoft.
Unbegrenzte Mittel
Die Situation im Land selber hat sich seither eher noch verschärft, die Zensurbehörde verfügt über nahezu unbegrenzte finanzielle und technische Mittel, um zum Beispiel die einheimischen Nachrichtenseiten zu überwachen und auf Linie zu bringen. «Reporter ohne Grenzen» ist es erstmals gelungen, einen detaillierten Insiderbericht über die Zensurmassnahmen zu erstellen, denen die Nachrichtenseiten des Landes unterliegen. Der Autor, ein unter dem Pseudonym Mr. Tao firmierender Techniker einer chinesischen Internetfirma, schildert im Bericht «Eine Reise ins Herz der Zensur», wie die 30000 dem Büro für öffentliche Sicherheit unterstehenden «Cyber Censors» arbeiten. Wie die Zensur funktioniert, galt bislang als Staatsgeheimnis.
Eine der wichtigsten Stellen ist das «Internet Propaganda Administrative Bureau», das zum Informationsministerium gehört. In fünf Abteilungen unterteilt, werden dort alle online verfügbaren Informationen überwacht und ausgewertet. Auch die Überwachung der öffentlichen Meinung gehört zu den Aufgaben der Beschäftigten, sie tragen Pollergebnisse, Kommentare in Foren und Chats zusammen und können, wenn ihnen ein Thema zu heikel ist, die jeweiligen Einträge löschen lassen.
Tägliche Berichte
Die Lizenzen für private Nachrichtenseiten werden ebenfalls von den Unterabteilungen erteilt, staatlich nicht genehmigte Websites werden geschlossen. Das Büro für Information und öffentliche Meinung erstellt tägliche Berichte an die politisch Verantwortlichen, die umgehend aktiv werden können. Im Bericht von Mr. Tao wird als Beispiel ein Aufruhr an einigen Mittelschulen in Zhengzhou genannt: Am Morgen nach den Unruhen um Punkt neun lag ein Report vor, bereits eine halbe Stunde später wurde das Erziehungsministerium angewiesen, das Problem zu lösen.
Mit dem Aufkommen des Internets erkannten die Machthaber schnell das für sie gefährliche Potenzial des Worldwideweb. Chinesische SurferInnen werden mit modernster Technologie überwacht, spezielle Software sucht nach verbotenen Schlüsselwörtern wie Tiananmen oder Amnesty International. Entsprechend streng ist auch die Zensur, der die chinesischen Nachrichtenwebsites unterliegen. Wie Mr. Tao berichtet, ist die Überwachung besonders der Pekinger Newsportale lückenlos. Das dafür zuständige «Büro für Internetpropaganda» verfügt über 32 Milliarden Schweizer Franken für die Internetzensur, Tendenz steigend.
Inhalte diktiert
Das Büro lädt zum Beispiel die Pekinger Websiteverantwortlichen, die besonders strikten Restriktionen unterliegen, einmal wöchentlich zu einer speziellen Pflichtsitzung ein. Das Büro legt fest, welche Artikel zu welchen Themen geschrieben und veröffentlicht werden sollen und welche Texte gelöscht werden müssen, und weist die Redaktionen an, einen bestimmten Artikel nicht zu veröffentlichen, ein Thema totzuschweigen oder missliebige Kommentare zu löschen.
Die Zensoren überlassen nichts dem Zufall. Ihre Anweisungen sind seit 2007 in drei Kategorien eingeteilt: Eine Anordnung der obersten Kategorie muss innerhalb von fünf Minuten nach Erhalt der Nachricht umgesetzt werden, für die Ausführung von Ordern der Stufe 2 und 3 bleiben zehn Minuten beziehungsweise eine halbe Stunde Zeit. Ausreden wie ein besetzter Telefonanschluss oder eine zu lange unterwegs gewesene Nachricht werden nicht akzeptiert.
Weil Dienste wie MSN von ausländischen Unternehmen geführt werden und die Zensurbehörden deswegen befürchteten, dass Mitteilungen von Unbefugten mitgelesen und in westlichen Medien publik gemacht werden könnten, setzen die Behörden in diesem Bereich auf eine einheimische Lösung: Seit August 2006 benutzen die Zensurbehörden deswegen RTX, Real Time Exchange, einen Instant Messaging Service für Unternehmen von der chinesischen Firma Tengxun.
RTX und zahlreiche weitere, von chinesischen Firmen konzipierte Überwachungstools machen allerdings nicht nur den InternetsurferInnen des Landes den freien Zugang zu Informationen schwer, sondern wecken Begehrlichkeiten internationaler Anleger. Bis 2009, so schätzen ExpertInnen, wird das Marktvolumen der entsprechenden Unternehmen von derzeit 8 auf 38 Milliarden Franken gewachsen sein. Aktien solcher Firmen gelten, so berichteten deutsche Internetmedien im Sommer 2007, bereits jetzt in den einschlägigen Börsenforen als Geheimtipps.
Erschienen in «amnesty - Magazin der Menschenrechte» vom November 2007
Herausgegeben von Amnesty International, Schweizer Sektion