«Nachstellen» eine beliebte Foltermethode in Ägypten
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Im November 2006 gingen die schockierenden Bilder eines jungen Ägypters um die Welt, der von Polizisten vor laufender Kamera mit einem Stock vergewaltigt wurde. Emad Mohamed Ali Mohamed, ein 21 Jahre alter Taxifahrer, war im Januar 2006 festgenommen worden, als er versuchte, einen Streit zwischen einem Polizisten und seinem Cousin zu schlichten. Er wurde wegen «Auflehnung gegen die Polizei» angeklagt. Der zuständige Richter entschied, ihn gegen Kaution freizulassen.
Dennoch nahmen ihn die Polizisten erneut mit auf den Posten, wo sie ihn an Armen und Beinen festbanden, sich auf ihn setzten und ihn mit einem Holzstock vergewaltigten. Einer der Polizisten hielt das Geschehen mit einer Handykamera fest. Um ihn zu demütigen, liessen die Polizisten die Bilder in seiner Nachbarschaft zirkulieren. «Die Polizisten versuchten nicht einmal, ihre Tat zu verstecken, sondern waren offensichtlich noch stolz darauf», erklärt die Journalistin und Gründerin des Blogs www.tortureinegypt.net Noha Atef. «Dieser Fall ist nur ein Beispiel dafür, wie verbreitet und akzeptiert Folter in Ägypten ist und dass die Täter keine Strafe befürchten müssen.»
Ausnahmezustand
Folter und Misshandlungen gehören in Ägypten seit Jahren zur traurigen Tagesordnung. Der seit 40 Jahren bestehende Ausnahmezustand und ein rigides Antiterrorgesetz verleihen dem Staatssicherheitsdienst (SSI) fast unbegrenzte Vollmachten und schränken die Meinungs- und Versammlungsfreiheit sowie das Recht auf einen fairen Prozess drastisch ein. Rund 18000 Personen befinden sich in Ägypten laut Schätzungen in Administrativhaft. Sie werden zum Teil ohne Anklage über Jahrzehnte hinweg ohne Zugang zu ihren Familien und Anwälten im Gefängnis festgehalten.
Im März 2007 verabschiedete das ägyptische Parlament im Rahmen einer Verfassungsänderung auch einen Artikel, der es als Grundlage für ein neues Antiterrorgesetz gestatten würde, im «Kampf gegen den Terrorismus» elementare rechtsstaatliche Garantien ausser Kraft zu setzen. Der Ausnahmezustand würde damit auf Verfassungs- und Gesetzesstufe festgeschrieben. Die Abstimmung fand in Abwesenheit der Opposition statt, welche aus Protest den Saal verliess. Obwohl – oder gerade weil – Folter und Misshandlungen in Ägypten im Bereich der «nationalen Sicherheit» quasi legal sind, ist das Regime Mubarak für die USA einer der wichtigsten Verbündeten im «Krieg gegen den Terror». Der ägyptische Premierminister selbst bestätigte 2005, dass die USA rund 70 «Terrorverdächtige» im Rahmen «ausserordentlicher Überstellungen» (extraordinary renditions) für Verhöre nach Ägypten überführt hätten.
Opfer von staatlicher Gewalt und Repression sind jedoch keinesfalls nur mutmassliche «Terroristen», sondern alle, die in irgendeiner Form Kritik am Regime Mubaraks äussern. Ägyptens berühmtester Menschenrechtsaktivist und Gründer der Arabischen Menschenrechtsorganisation, der 69-jährige Professor für politische Soziologie, Saad Eddin Ibrahim, kennt das Vorgehen gegen Regimekritiker nur zu gut. Zwischen 2000 und 2003 wurden er und 27 MitarbeiterInnen der ägyptischen Menschenrechtsorganisation unter dem Vorwand, ausländische Gelder angenommen zu haben, angeklagt und vom Staatssicherheitsdienst über längere Zeit im Gefängnis festgehalten, wo sie auch misshandelt und gefoltert wurden. Saad Eddin Ibrahim und seine Organisation hatten immer wieder auf Menschenrechtsverletzungen in Ägypten aufmerksam gemacht und sich für eine demokratische Entwicklung des Landes eingesetzt.
US-Unterstützung
«Seit Mubarak an der Macht ist, hat sich die Menschenrechtslage in Ägypten drastisch verschlechtert», sagt Saad Eddin Ibrahim. «Anfang der 80er-Jahre träumte die Bevölkerung noch von Demokratie. Heute versuchen die meisten nur noch, sich vor der Repression zu schützen.» Trotz allem wird Mubaraks Regime weiterhin stark von den USA und Europa unterstützt. «Bei den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen im Jahr 2005 haben die USA viel Lärm gemacht um die Demokratisierung Ägyptens.»
Doch mit der Erstarkung der Hamas in Palästina und dem politischen Vormarsch der Muslimbrüder in Ägypten hätten die USA und auch Europa Angst vor einer weiteren Islamisierung auf demokratischem Weg bekommen. «Mubarak nützt die Islamophobie des Westens gezielt für seinen Machterhalt aus», sagt Saad Eddin Ibrahim. Ausserdem profiliere er sich gegen aussen als Friedensstifter im Nahen Osten und als Advokat für Marktreformen, während er DemokratiebefürworterInnen im eigenen Land anklage, AgentInnen der USA zu sein.
Machtgarant
Ohne seinen Sicherheitsapparat, so Saad Eddin Ibrahim, könnte sich Mubarak, dessen Popularität seit Jahren im Sinken begriffen sei, nicht an der Macht halten. Regierungskritische Demonstrationen, wie sie nach den von massiven Unregelmässigkeiten begleiteten Wahlen im Jahr 2005 zahlreich stattfanden, werden von Sicherheitskräften brutal niedergeschlagen. Seit einigen Jahren führt Noha Atef einen Blog, auf dem die mutige Journalistin unter anderem eine Blacklist führt mit Bildern und Namen von Polizisten, die der Folter verdächtigt werden. Seither sind sie und ihre Familie regelmässig mit Drohungen konfrontiert.
«Ein weiteres Problem ist, dass der Kontakt zwischen Nichtregierungsorganisationen und der Bevölkerung sehr schwach ist und es keine geeinte Opposition gibt», sagt sie. Aufgrund von Mubaraks Propaganda sei die Meinung weit verbreitet, dass Menschenrechte ein Schlagwort der USA seien, um den Mittleren Osten zu domestizieren.
Auch für Saad Eddin Ibrahim sieht die Lage alles andere als günstig aus. Gegen den Menschenrechtsaktivisten und Regimekritiker sind in Ägypten verschiedene Klagen hängig. «Wenn ich jetzt nach Hause zurückkehren würde, würde ich mit grosser Wahrscheinlichkeit wieder im Gefängnis landen», sagt Saad Eddin Ibrahim. «Deshalb bleibt mir im Moment nur das Exil.»
Erschienen in «amnesty - Magazin der Menschenrechte» vom November 2007
Herausgegeben von Amnesty International, Schweizer Sektion