Sie war safranrot, die Hoffnung Myanmars, im Herbst 2007. Und sie dauerte zwei Wochen. Die schöne Farbe der Mönchsroben im Monsunregen – die Kraft dieser Bilder umspannte die Welt. Für zwei Wochen, auf allen Fernsehsendern. Plötzlich war das isolierte Myanmar ein Thema. Die jungen Geistlichen marschierten durch Rangun, durch Mandalay, durch Sittwe. Zuerst schüchtern und leise betend, dann immer lauter und mit gereckter Faust. Zwei Wochen lang. Ihr Protest richtete sich nur vordergründig gegen erhöhte Preise für Benzin und Diesel, willkürlich beschlossen von einem Militärregime ohne Mass und Skrupel. Hintergründig kreiste ihr Protest um die Menschenwürde, um Menschenrechte, um alles.
Zwei Wochen also. Mit der Zeit wagten sich Zaungäste des Protests auf die Strasse. Es schien gar eine Weile lang, als wankte das Regime, als dämmerte die Macht der Generäle zum ersten Mal seit zwanzig Jahren, seit jenem anderen grossen Aufstand – 1988. Es schien, als wüssten die Herrscher nicht, wie sie dieser moralischen, von Bildern und Blogs gestützten Herausforderung begegnen sollen.
Nichts war mehr heilig Dann aber besannen sie sich ihrer alten Stärke und prügelten den Protest nieder, wie sie das früher immer getan hatten. Die Mönche? Auch die Mönche wurden geschlagen, ihrer Roben entledigt, auf einer alten Pferderennbahn in Rangun zusammengepfercht. Viele flohen, viele verschwanden. Das Militär besetzte Pagoden und Klöster. Nichts war mehr heilig, schon gar nicht die Tempel. Das Regime rief eine Ausgangssperre aus, verschleppte in der Nacht Hunderte, Tausende. Solche, die demonstriert hatten, solche, die mitmarschiert waren, solche, die am Strassenrand geklatscht hatten, solche, die nur zugeschaut hatten. Es gab Tote, wahrscheinlich viele Tote.
Nur genaue Zahlen gibt es nicht von dieser safranroten Revolution, die blutrot endete. Nach zwei Wochen. In der Stille. Die beiden staatlichen Internetprovider legte das Regime schnell still. Was davor über Blogs und Mails aus dem Land an die Weltöffentlichkeit gedrungen war, wurde gekappt. Myanmar war wieder, wie es immer war: isoliert, dunkel. Und eine Spielwiese grosser geopolitischer Verwerfungen und wirtschaftlicher Interessengeflechte.
Pufferzone
Schon ein schneller Blick auf die Landkarte erklärt einiges. Wie ein Keil schiebt sich Myanmar zwischen Indien und China. Mit beiden Ländern verbindet es mehrere tausend Kilometer Grenze. Oder anders: Myanmar trennt Indien und China voneinander. Nur ganz oben, im Norden, berühren sie sich. Myanmar spielt die Rolle einer Pufferzone zwischen den Rivalen Asiens, diesen Supermächten im Werden. Myanmar liegt mitten drin, in einem geostrategischen Spannungsfeld, vielleicht dem grössten der nächsten Jahrzehnte. Und es hat Ressourcen, nach denen es viele dürstet: Öl und Gas.
Das erklärt wohl, warum sich alle Akteure in der Region, die nahen und die entfernten Nachbarn, die wichtigen wie die kleinen, so schwer tun, das burmesische Regime entschieden zur Räson zu drängen. Niemand will die Generäle verprellen. Niemand will es alleine tun. Jedenfalls so lange nicht, als die Macht der Generäle noch nicht merklich schwindet. Alle verstecken sich hinter unverbindlichen Aufrufen zu Mass und Milde im Umgang mit der Protestbewegung. Das selbst jetzt noch, da die Bilder aus Rangun die Appelle längst überholt haben.
Rivalen am Golf
Die grösste Zurückhaltung üben die Grossen: China und Indien – vielleicht nicht aus denselben Gründen, aber mit demselben Ziel. Beide haben den Golf von Bengalen im Blick und, etwas weiter gefasst, den Indischen Ozean. Das war lange Zeit gewissermassen Hoheitsgebiet der Inder, ihre Einflusszone. China macht Indien diese Stellung zusehends streitig.
Über Myanmar, einen seiner liebsten Partner, sucht es sich einen schnellen Zugang zum Indischen Ozean. Ein erneuter kurzer Blick auf die Karte zeigt, wie wichtig dieser Zugang für die Transportwege nach Westen ist – für Container und Tankschiffe, für den Import von Energie aus Afrika und dem Nahen Osten sowie für den Export von Waren.
China kann sich mit einer Abkürzung über Myanmar den langen und beschwerlichen Umweg über das Südchinesische Meer und die zuweilen gefährliche Strasse von Malakka bei Singapur ersparen. Dieser Traum ist China viel wert. Seit etlichen Jahren investieren die Chinesen ganz massiv in die Infrastruktur Myanmars. Sie halfen beim Bau von Strassen, Häfen, Dämmen und Flughäfen. Auf der Insel Ramree, vor dem westburmesischen Bundesstaat Arakan gelegen, ist der Bau eines Ölterminals geplant, von dem dann einmal eine Pipeline durch Myanmar ins chinesische Kunming und wahrscheinlich noch weiter östlich führen soll.
Die Verträge sind unterzeichnet, der Bau soll noch in diesem Jahr beginnen. Auf der gleichen Insel ist ein grosser Hafen in Planung. Und dann gibt es noch das Projekt einer Gaspipeline, ebenfalls quer durch Myanmar.
Säbelrasseln Indiens
Indien ist das alles zu viel. Delhi befürchtet, China könnte so seine Macht über den Golf von Bengalen legen. In jeder Hinsicht, nicht nur wirtschaftlich, sondern auch militärisch. Es gibt Spekulationen, die Chinesen hätten an den Küsten Westmyanmars bereits Militärbasen errichtet und Horchposten aufgestellt. Was davon wahr ist und was Verschwörungstheorien entspringt, weiss niemand so genau.
Vor ein paar Wochen führte Indien zusammen mit den USA, Japan und Australien ein imposantes Marinemanöver im Indischen Ozean durch. Es galt, zu zeigen, was man selber hat. Ein bisschen Gegendruck aufzubauen. Experten bezweifeln jedoch, dass die als paranoid und fremdenfeindlich geltenden Machthaber Myanmars eine militärische Expansion Chinas in ihr Land tatsächlich zulassen würden. Zumal sie den Chinesen ja schon privilegierten Zugang zu ihrem Erdöl und Erdgas bieten. Die meisten Firmen, die vor den Küsten Myanmars bohren, sind chinesische Unternehmen.
Indien traut den Chinesen nicht. Indien treibt die ständige Angst, China könnte in allem besser und schneller sein. Darum hat es auch seine Haltung gegenüber Myanmar radikal geändert in den vergangenen Jahren. Indien will China die appetitliche Pufferzone nicht kampflos überlassen. Früher, da hörte man aus Delhi Parolen zur moralischen Unterstützung der demokratischen Bewegung in Rangun, dazu schöne persönliche Adressen an Aung San Suu Kyi. Nun schweigen die Inder. Oder sie verschanzen sich hinter diplomatischen Floskeln, wie man sie von China kennt.
Es überlagern sich viele solche Interessen in der Region. Kleine und grosse. Alle kreisen um Myanmar. Vielleicht sind es zu viele für laute Töne und Appelle. Dem burmesischen Militär kann das recht sein. Es regiert seit dem Coup von 1962 unbehelligt und mit schier unfassbarer Härte. Es schüchtert die BurmesInnen ein mit Vergewaltigung, mit Vertreibung, mit dem Wegsperren und der Folter von StudentInnen, mit dem Niederbrennen von Dörfern. Vor nichts schrecken sie zurück. Unter den asiatischen Diktaturen hat nur die nordkoreanische einen noch schlechteren Ruf als die burmesische.
Spitzelsystem
Das Militärregime hat das schöne und fruchtbare Land über die Jahrzehnte abgeschottet und heruntergewirtschaftet. Es wäre eines der reichsten Asiens, gesegnet mit immensen Bodenschätzen: mit Öl und Gas, mit Edelsteinen und dem beliebten Teakholz. Doch nun steht es als Armenhaus der Region da, ausgesaugt und geplündert von einer kleptomanischen Nomenklatur, die keine Mittel scheut, um ihre Macht zu verteidigen.
In den Randgebieten im Osten führt sie einen Krieg gegen Aufständische ethnischer Minderheiten. In Rangun zermürbt sie die Demokraten, lässt sie bespitzeln von Heerscharen gut bezahlter Denunzianten, die an jeder Strassenecke sitzen, in jedem Wohnhaus wohnen, sich überall infiltrieren. Die Ikone der Opposition, die Friedensnobelpreisträgerin Suu Kyi, steht seit vielen Jahren unter strengem Hausarrest.
Für ihre Repression haben die Generäle eine der grössten Armeen der Welt herangezüchtet, 400'000 Mann stehen unter Waffen in Myanmar. Über 40 Prozent des nationalen Budgets verschlingt die Armee; für die Bildung bleiben 0,3 Prozent. Das Ziel ist es wohl, die Bevölkerung klein und dumm zu halten.
Nicht mehr als «Bedauern»
Die Paranoia der Herrscher ist so gross, dass sie vor zwei Jahren die Hauptstadt ins Landesinnere verlegt haben: weg von Rangun, das ihnen zu anfällig für «ausländische Invasoren» schien. Von Zwangsarbeitern liess «Senior General» Than Shwe, der oberste Machthaber Myanmars, eine Stadt im Niemandsland bauen. Fast eine Million Beamte wurde zwangsweise umgesiedelt ins 460 Kilometer entfernte Naypyidaw (zu Deutsch: «Bleibe der Könige»). Es heisst, der 74-jährige Than Shwe habe den idealen Bauort der neuen Hauptstadt von Astrologen bestimmen lassen. Die Familien der Machtclique leben im Luxus, ihre Kinder studieren im Ausland.
Das müsste eigentlich reichen für eine einmütige, massive Verurteilung dieses düsteren Regimes. Die Weltgemeinschaft, in der Form des Uno-Sicherheitsrates, überwarf und zerriss sich aber wegen wirtschaftlicher und realpolitischer Überlegungen zweier seiner ständigen Mitglieder. Und schaffte es am Ende der Debatte nur, ihr «Bedauern» zu äussern über die blutigen Geschehnisse in Myanmar. Über die Erstickung einer kleinen, zweiwöchigen, zerbrechlichen Hoffnung in safranroten Tüchern, im Herbst 2007.
Erschienen in «amnesty - Magazin der Menschenrechte» vom November 2007
Herausgegeben von Amnesty International, Schweizer Sektion