MAGAZIN AMNESTY Brennpunkt Sechs Jahre Willkür in Guantánamo

Seit sechs Jahren werden in Guantánamo willkürlich «Terrorverdächtige» ohne Anklage in einem rechtsfreien Raum festgehalten.

Am vergangenen 11. Januar war es genau sechs Jahre her, seit die ersten «feindlichen Kämpfer» aus Afghanistan ins US-Gefangenenlager Guantánamo auf Kuba gebracht worden sind. Immer mehr Menschen unterstützen inzwischen die Forderung von Amnesty International (AI), das Gefangenenlager endlich zu schliessen. Über 1200 ParlamentarierInnen aus verschiedensten Ländern haben sich auf Initiative von AI mit einer Petition an den US-Kongress gewandt, in der sie die Schliessung Guantánamos fordern. Anfang Jahr forderte sogar der Generalstabschef der US-Armee, Michael Mullen, bei einem Besuch in Guantánamo die Schliessung des Gefangenenlagers.

Von den insgesamt rund 800 Gefangenen, die seit dem 11. Januar 2002 in Guantánamo inhaftiert waren, befanden sich Anfang 2008 noch rund 275 im Lager, wo sie in einem völlig rechtsfreien Raum festgehalten werden. Rund ein Viertel der noch verbliebenen Gefangenen sind selbst in den Augen der USA harmlos und könnten freigelassen werden. Duzende von ihnen können jedoch nicht in ihre Herkunftsländer zurückgeschickt werden, weil sie dort von Folter und Misshandlung bedroht sind. Sie bleiben auf unbestimmte Zeit in Guantánamo inhaftiert, obwohl nichts gegen sie vorliegt. AI fordert die USA auf, diesen Männern die Möglichkeit zu geben, in den USA ein Asylgesuch zu stellen. Die anderen Staaten fordert AI auf zu prüfen, ob sie Männern, gegen die keine Anschuldigungen vorliegen, ein Aufenthaltsrecht geben können.

Im Dezember 2007 wurden zwei Männer freigelassen, für die sich die Schweizer Sektion von Amnesty International jahrelang eingesetzt hat. In Australien wurde David Hicks aus dem Gefängnis entlassen. Hicks ist der einzige Gefangene, der bisher – in einem unfairen Prozess – von einer der eigens dafür geschaffenen Militärkommissionen verurteilt worden ist. Er konnte seine Reststrafe nach der Verurteilung in Australien absitzen. Nach jahrelangen Bemühungen konnte auch Omar Deghayes, zusammen mit Jamil el-Banna und Abdennour Sameur, nach Grossbritannien zurückkehren. Die drei Männer waren während vier Jahren ohne Anklage in Guantánamo inhaftiert gewesen. Die Schweizer Sektion von AI hatte sich mit verschiedenen Aktionen intensiv für die Freilassung von Omar Deghayes eingesetzt, der in Guantánamo schwer gefoltert worden ist und ein Auge verloren hat.

Guantánamo ist nur der sichtbare Teil eines weltweiten Netzes rechtswidriger US-Hafteinrichtungen. Dies zeigt das Beispiel des Bagram-Gefangenenlagers in Afghanistan, wo mit 630 Gefangenen inzwischen fast doppelt so viele Männer inhaftiert sind wie in Guantánamo. Die Regierung von George Bush setzt in ihrem «Krieg gegen den Terror» auf ein System von «Verschwindenlassen» in Geheimgefängnissen, unbegrenzter Haft ohne Anklage und Überstellung von Verdächtigen in Staaten, in denen ihnen Folter droht. Amnesty International fordert von den USA, alle Hafteinrichtungen, in denen Personen unter Missachtung internationalen Rechts festgehalten werden, zu schliessen und das CIA-Programm der Geheimgefängnisse umgehend und definitiv zu beenden.

Erschienen in «amnesty - Magazin der Menschenrechte» vom Februar 2008
Herausgegeben von Amnesty International, Schweizer Sektion