Der 45-jährige Familienvater und Geschäfts mann Masood Januja «verschwand» am 30. Juli 2005 in Islamabad auf dem Weg von seiner Wohnung zu einer Busstation, wo er einen Bus nach Peshawar nehmen wollte. Verschiedene Umstände weisen darauf hin, dass Masood Januja Opfer von staatlichem «Verschwindenlassen» wurde. Masoods Frau Amina kämpft seit seinem Verschwinden unentwegt und furchtlos um Informationen über den Aufenthaltsort ihres Mannes und für seine Freilassung. Mehr und mehr Angehörige von Verschwundenen schlossen sich seither ihrem Kampf an und gründeten die pakistanische Bürgerrechtsbewegung «Defense of Human Rights», die sich für die Freilassung von Verschwundenen einsetzt.
Richter abgesetzt
Amina Masoods Widerstand bewegte auch den regierungskritischen Obersten Richter Pakistans, Iftikhar Chaudhry, dazu, sich verschiedener Fälle von «Verschwindenlassen» anzunehmen und die pakistanische Regierung zu einer Herausgabe von Informationen zum Aufenthaltsort von Verschwundenen zu zwingen. Auf Druck des Obers ten Gerichtshofs musste die pakistanische Regierung über 50 «Verschwundene» freilassen, da keine Anklage punkte gegen sie vorlagen. Mitte November 2007 hätte eine weitere Verhandlung zu 485 Fällen von «Verschwindenlassen» stattfinden müssen. Doch dazu ist es nicht mehr gekommen.
Am 3. November 2007 verhängte Präsident Pervez Musharraf den Ausnahmezustand über Pakistan, setzte weite Teile der Verfassung ausser Kraft und enthob den Obersten Richter Pakistans und an dere Oberrichter ihres Amtes. Das Obergericht wurde kurz darauf mit regierungstreuen und handverlesenen Richtern besetzt. Damit wurde die pakistanische Justiz, die sich in den vergangenen Jahren emanzipiert und einen unabhängigen Status erlangt hatte, inner halb weniger Tage zu einer Marionette der Regierung Musharraf.
Die für Mitte November angesetzte Verhandlung zur Aufdeckung der Fälle von «Verschwindenlassen» wurde auf unbestimmte Zeit auf Eis gelegt. Mit der Ausschaltung der unabhängigen Justiz hat Musharraf die einzige staatliche Instanz ausgeschaltet, die ein Interesse an der Aufdeckung dieser Fälle hatte. Für die Familien der «Verschwundenen» fängt das Warten und die quälende Ungewissheit über das Schicksal ihrer Angehörigen wieder von vorne an.
2000 Verschwundene
Vor dem von den USA ausgerufenen «Krieg gegen den Terror» war die Methode des «Verschwindenlassens» in Pakistan praktisch unbekannt. Inzwischen ist sie zu einer immer weiter um sich greifenden Praxis geworden, von der auch politische Oppositionelle, MenschenrechtsverteidigerInnen und JournalistInnen betroffen sind. Seit 2002 sind mindestens 2000 PakistanerInnen «verschwunden». Das pakistanische Regime hat den «Krieg gegen den Terror» als willkommene Legititimation genutzt, um gewaltsam gegen Autonomiebewegungen und Regierungskritiker vorzugehen.
Angehörige von «Verschwundenen», die auf rechtlichem Weg versuchen, Informationen über den Verbleib ihrer Familienmitglieder zu erhalten oder ihre Geschichte an die Öffentlichkeit bringen wollen, werden eingeschüchtert und bedroht. Der pakistanische Geheimdienst ISI, dessen bisheriger Chef, General Ashfaq Kayani, vor kurzem Musharrafs Nachfolge als Oberbefehlshaber der Armee angetreten hat, wird für Hunderte von Fällen von «Verschwindenlassen» verantwortlich gemacht. In Geheimdienst haft wird besonders häufig und brutal gefoltert und es herrscht eine umfassende Straflosigkeit, da es die durch den ISI geführten Geheim gefäng nisse und Verhörzentren offiziell nicht gibt.
Die Regierung Musharraf bestreitet bis lang vehement jegliche Involvierung in Fälle von «Verschwindenlassen». Entsprechende Berichte und Dokumen tationen von Menschenrechts organisationen werden als Lügen dargestellt und als masslose Übertreibungen lächerlich gemacht. Gleichzeitig brüstet sich Pakistan mit Tausenden von getöteten oder verhafteten Terrorverdächtigen, ohne die Identitäten dieser Personen und die Anklagepunkte gegen sie offenzulegen.
Erschienen in «amnesty - Magazin der Menschenrechte» vom Februar 2008
Herausgegeben von Amnesty International, Schweizer Sektion