MAGAZIN AMNESTY Vertreibungen Vertreiben statt verhandeln

Kolumbien gehört zu den Ländern mit der grössten Zahl intern Vertriebener weltweit. Neben dem Bürgerkrieg sind vor allem der Drogenhandel und der Ressourcenabbau dafür verantwortlich, dass in den letzten 20 Jahren drei Millionen Menschen vertrieben worden sind.

Kolumbien ist ein Land, das über grosse Bodenschätze, ein günstiges Klima und eine immense Biodiversität verfügt. Doch vom Reichtum des Landes profitieren nur die Wenigsten. Vielmehr nährt er den seit über 40 Jahren andauernden bewaffneten Konflikt zwischen Regierungstruppen, Paramilitärs und der Guerilla und ist eine zentrale Ursache für die verbreiteten Vertreibungen. Betroffen sind vor allem die ländliche Bevölkerung, die Indigenen und die AfrokolumbianerInnen, die ungeachtet ihrer privaten oder kollektiven Landrechte vertrieben werden.

Die Vertreibungen und die Landkonzentration in den Händen einer kleinen Oberschicht haben in Kolumbien lange historische Wurzeln. Verschärft wurde das Problem seit Mitte der 80er-Jahre im Zusammenhang mit dem Bürgerkrieg, dem Drogenhandel und der zunehmenden Präsenz multinationaler Unternehmen. Mehr als drei Millionen Menschen wurden laut Amnesty International in den letzten 20 Jahren vertrieben.

Kampf um Ressourcen

Vertreibungen sind in Kolumbien nicht immer die Folge der gewaltsamen Auseinandersetzungen, sondern oft auch ihr Ziel. Laut einer umfassenden Studie des Internal Displacement Monitoring Centre (IDMC) kämpften Armee und rechtsgerichtete paramilitärische Organisationen vor allem in Gebieten gegen die Guerilla, die über einen grossen Ressourcenreichtum verfügen oder in denen Grossprojekte geplant waren.

Der Krieg diente oft als Vorwand, um sich grosse Gebietsflächen anzueignen. Gemäss der IDMC-Studie besitzen heute 0,4 Prozent der Landbesitzer 61 Prozent des Landes, fast doppelt so viel wie noch vor rund 20 Jahren. Umgekehrt sind 57 Prozent der Kleinbauern auf weniger als 2 Prozent der Landfläche zurückgedrängt worden. Damit gehört Kolumbien zu den Ländern mit der ungleichsten Landverteilung weltweit. Alle Versuche von Agrarreformen sind bislang gescheitert.

Doch auch internationale Akteure wie die USA sind für einen Teil der Vertreibungen verantwortlich. Im Rahmen des «Plan Colombia» wurden weitläufige Flächen illegalen Drogenanbaus mit giftigen Chemikalien unbrauchbar gemacht und die Lebensgrundlagen der dort lebenden Bevölkerung zerstört.

Auch der Demobilisierungsprozess hat sich bislang weitgehend als Farce erwiesen und wenig an den Vertreibungen geändert. Paramilitärs und die Armee, aber auch die Guerilla behalten die Kontrolle über ihre Gebiete und die dort ansässige Bevölkerung. Allein seit 2002 wurden gemäss Schätzungen der Consultoria para los Derechos Humanos y el Desplazamiento (CODHES) eine Million Menschen vertrieben. Oft stehen diese Vertreibungen in Zusammenhang mit Investitionen multinationaler Unternehmen, die sich in grossem Stil an der Ausbeutung natürlicher Ressourcen in Kolumbien beteiligen.

Dem Erdboden gleichgemacht

So wurde auch das Dörfchen Tabaco auf der Halbinsel Guajira im Nordosten Kolumbiens am 9. August 2001 dem Erdboden gleichgemacht, weil es im Einzugsgebiet von Carbones del Cerrejón lag, der weltweit grössten im Tagbau betriebenen Kohlenmine. Bereits 1997 hatte El Cerrejón die Enteignung von Tabaco verlangt, worauf sich die DorfbewohnerInnen organisierten, um mit dem Firmenkonsortium verhandeln zu können. Dieses weigerte sich jedoch, mit den Repräsentanten des Dorfes zu verhandeln, und versuchte, individuelle Verträge mit den einzelnen Landbesitzern abzuschliessen, um grösseren Druck ausüben und tiefere Preise erwirken zu können. Als dies nicht gelang, wurde das Dorf gewaltsam geräumt.

«Viele unserer Gemeindemitglieder sind durch die Vertreibung traumatisiert, die Umweltverschmutzung durch die Mine macht uns krank, wir haben kaum ein Einkommen und kein Land», erzählt der ehemalige Dorfbewohner José Julio Perez. Um internationalen Druck auf die zuständigen Behörden und die verantwortlichen Unternehmen zu machen, kam er im Januar 2007 auf Einladung der Arbeitsgruppe Schweiz-Kolumbien in die Schweiz. Denn ein Drittel der Mine gehört dem Rohstoff- und Minenkonzern Xstrata, einer Tochterfirma des Bergbaukonzerns Glencore, dem umsatzstärksten Unternehmen der Schweiz. Beide Firmen haben ihren Sitz in Zug.

Fehlende Unabhängigkeit

Im Jahr 2004 hielt das kolumbianische Verfassungsgericht als Reaktion auf zahlreiche Klagen fest, dass der Umgang mit den intern Vertriebenen gegen die Verfassung verstosse, und forderte die Regierung auf, deren Rechte einzuhalten und ihren Schutz zu gewährleisten. Aufgrund der fehlenden Unabhängigkeit der Gerichte und der Unfähigkeit der Behörden, die Gerichtsbeschlüsse umzusetzen, erhalten die Opfer aber nur in den wenigsten Fällen eine angemessene Entschädigung.

So stellte auch der Uno-Sonderberichterstatter für intern Vertriebene, Walter Kälin, eine grosse Schere zwischen den bestehenden Gesetzen und deren Anwendung fest. Dies trifft auch für den Fall von Tabaco zu. Obwohl das Oberste Gericht im Mai 2002 den Wiederaufbau des Dorfes und die Wiederherstellung der sozialen Netzwerke forderte, warten die rund 120 Familien bis heute auf eine Umsiedlung und eine gerechte Entschädigung. «Ein Teil der Familien ist inzwischen weggezogen», sagt José Julio Perez.

Der grösste Teil der Vertriebenen verlässt gemäss IDMC nach erfolgloser Arbeitssuche in der näheren Umgebung die Region und landet in den Slums von Grossstädten. Andere fliehen ins benachbarte Ausland oder schliessen sich sogar bewaffneten Gruppierungen an.

Die jüngsten Vertreibungen stehen in Zusammenhang mit der boomenden Palmölindustrie zur Herstellung von Agrodiesel. Der Anbau von afrikanischen Ölpalmen hat sich für die kolumbianische Regierung als lukrative Einnahmequelle erwiesen und als Alternative zum Anbau illegaler Drogen. Angeblich «um wirtschaftlich rückständige Gebiete» zu fördern, wurden insbesondere an der Pazifikküste grosse Gebiete tropischen Regenwaldes abgeholzt und das Land der dort lebenden afrokolumbianischen Bevölkerung annektiert, um grossflächige Monokulturen anzubauen.

«Seit 20 Jahren kämpfen die Schwarzen und Indigenen des Chocó für kollektive Landtitel. Die Errungenschaften der letzten Jahre sind durch die Ausdehnung der Palmölindustrie massiv bedroht», sagt Pater Jesus Alfonso Flores, Leiter der Pastoral Indigena in Quibdó im Departement Chocó. Seit 10 Jahren seien paramilitärische Organisationen daran, die Region mit äusserster Gewalt auf Kosten der afrokolumbianischen Bevölkerung einzunehmen. «Eigentlich sollte die Produktion, die stark von den USA gefördert wird, dazu beitragen, die bewaffneten Konflikte zu reduzieren. Bis jetzt haben sie jedoch vor allem dazu beigetragen, sie zu verschärfen», sagt er.

Erschienen in «amnesty - Magazin der Menschenrechte» vom Februar 2008
Herausgegeben von Amnesty International, Schweizer Sektion