Terroranschläge und Selbst mordattentate, Ausnahmezustand und Massenverhaftungen: In den letzten Monaten hat Pakistan international ausgiebig für Negativschlagzeilen gesorgt. In Pakistan selbst wurden diese Ereignisse und Entwicklungen ausser von einer kleinen, gut ausgebildeten und politisch sensibilisierten Elite eher mit abwartender Gelassenheit als mit Empörung oder Beunruhigung wahrgenommen. Das änderte sich am 27. Dezember 2007 schlagartig: Das Attentat auf die zweimalige Premierministerin Benazir Bhutto bei einer Wahlveranstaltung ihrer pakistanischen Volkspartei (Pakistan Peoples Party–PPP) ging alle PakistanerInnen etwas an und löste im ganzen Land Tumulte aus.
In den grossen Städten kam es zu gewalttätigen Protesten: Strassen wurden blockiert, Geschäfte und Fahrzeuge in Brand gesetzt, Regierungsgebäude demoliert. Die Wut der Strasse richtete sich gegen Präsident Pervez Musharraf. Der schob die Schuld am Mordanschlag zwar sofort den radikalen Islamisten zu. Ungeschickte und widersprüchliche Äusserungen über den möglichen Tathergang und die Todesursache nährten jedoch bei vielen PakistanerInnen den Verdacht, dass die Regierung, wenn auch nicht direkt in das Attentat involviert, so doch zumindest vom drohenden Anschlag gewusst und nicht genügend getan habe, um es zu verhindern.
Verschobene Wahlen
Die für Anfang Januar geplanten Parlamentswahlen wurden nach dem Tod Bhuttos, vor allem auf Druck von Musharraf, auf den 18. Februar 2008 verschoben. Die neue Parteispitze der PPP drängte auf eine Durchführung der Wahlen am ursprünglich festgelegten Datum, weil sie so kurz nach dem tödlichen Anschlag auf ihre Parteichefin mit vielen Solidaritätsstimmen rechnen konnte.
Die Solidaritäts- und Sympathiewelle, die nach Benazir Bhuttos Tod durch das Land ging, wird bis zur Wahl zwar abebben, aber die PPP könnte trotzdem als Siegerin aus den Wahlen hervorgehen. Präsident Musharraf müsste dann mit einem Premierminister an seiner Seite arbeiten, dessen politische Agenda in einigen Punkten kaum mit seiner eigenen und der seiner Partei, der pakistanischen Muslimliga (Pa kistan Muslim League –PML-Q) übereinstimmen dürfte.
Bhutto-Partei
Im Kontext der politischen Kultur Südasiens ist es keine Überraschung, dass nach Benazir Bhuttos Tod der Parteivorsitz sofort an ihren erst 19-jährigen Sohn Bilawal übergegangen ist. Dies ums so mehr, als die PPP seit der Hinrichtung von Benazir Bhuttos Vater, Zulfikar Ali Bhutto, im Jahr 1979 weitgehend vom Mythos der Familie Bhutto lebt. Benazir Bhutto hatte die Führung der Partei auch schon von ihrem Vater geerbt und sich selbst eine Partei präsidentschaft auf Lebenszeit gegeben. Sie hielt auch während ihrer acht Jahre im Exil die Fäden der Partei straff in der Hand und erstickte jeden anderen Profilierungsversuch aus den eigenen Reihen im Keim.
Benazir Bhutto verhielt sich in ihren beiden Amtszeiten als Premierministerin (1988–1991 und 1993–1996) weder besonders demokratisch, noch tat sie etwas für die Menschenrechte. Arif Zardari, Bhuttos Ehemann, geniesst in der pakistanischen Bevölkerung nur wenige Sympathien. Während Bhuttos Regierungsjahren wurde Zardari nur Mister 10 Percent genannt, weil er als Umweltminister Regierungsaufträge angeblich einzig nach dem Kriterium höchstes Schmiergeld vergab. Der Entscheid der PPP, dass Zardari stellvertretend die Geschicke der Partei leiten soll, bis Bilawal Bhutto sein Studium in Oxford abgeschlossen hat, könnte der Popularität der PPP bei den bevorstehenden Wahlen deshalb schaden.
Ob Benazir Bhutto als Märtyrerin gesehen wird, die ihr Leben für die Demokratie gelassen hat, oder als mächtige Vertreterin des pakistanischen Feudalsystems: Sicher ist, dass mit ihrem Tod auch eine Alternative zur gelenkten Demokratie und faktischen Militär regierung von Präsident Musharraf begraben werden muss – und damit auch die Hoffnung, dass in Pakistan auf demokratischem Weg eine Veränderung möglich ist.
Ausnahmezustand
Am 3. November 2007 setzte General Musharraf weite Teile der Verfassung, darunter die Schutzgarantien für das Recht auf Leben und auf ein faires Gerichtsverfahren, ausser Kraft und verhängte den Ausnahmezustand über Pakistan. Sämtliche Richter des Obersten Gerichtshofs wurden des Amtes enthoben, nur wer den Amtseid unter einer vorläufigen verfassungsgemässen Ordnung ablegte, wurde wieder eingesetzt. Gleichzeitig ernannte Musharraf handverlesene regierungstreue Oberrichter. Damit wurde die pakistanische Justiz, die sich in den letzten Jahren eine unabhängige Position erkämpft hatte, innerhalb weniger Tage wieder zu einem Instrument Musharrafs.
Ausgerufen worden war der Ausnahmezustand offiziell, um besser gegen AlKaida- und Taliban-Extremisten vorgehen zu können. Faktisch richtete er sich aber gegen jene, die sich für die grundlegenden Rechte der PakistanerInnen einsetzen: regierungskritische Richter, AnwältInnen, JournalistInnen und MenschenrechtsverteidigerInnen.
Der Ausnahmezustand wurde durch ein Dekret des Präsidenten am 15. Dezember 2007 wieder aufgehoben und die Verfassung wieder in Kraft gesetzt. Einschneidende, unter dem Ausnahme zustand ergriffene Massnahmen wie die Medienzensur, die Änderung des Militärgesetzes und die Entlassung der Oberrichter blieben aber auch nach der offiziellen Rückkehr zur Normalität bestehen.
Jedes Engagement für freie Meinungsäusserung und eine unabhängige Justiz wird von der pakistanischen Regierung nach wie vor mit Gewalt unterdrückt. Medienschaffende, AnwältInnen und politisch engagierte MenschenrechtsverteidigerInnen stehen noch immer im Zentrum der Verfolgung durch die Behörden und bekommen zu spüren, dass Kritik und Widerstand nicht geduldet werden.
Mit dem Ablegen der Uniform und der Übergabe des Kommandos an General Ashfaq Kayani kam Musharraf Ende November 2007 zwar der Forderung der politischen Opposition nach. Faktisch hat er jedoch damit nicht viel Macht abgegeben. General Kayani, der neue Oberbe fehlshaber der pakistanischen Armee, ist ein langjähriger Vertrauter Musharrafs. Seit seiner Ernennung hat Kayani eine Einmischung in die Politik geflissentlich vermieden, und zumindest vorläufig kann Musharraf auf seine Loyalität zählen.
Kein Lakai
Die enge Verbindung mit dem Präsidenten und das zurückhaltende öffentliche Auftreten dürfen jedoch nicht dazu verleiten, Kayani als machtlosen und ergebenen Lakaien des Präsidenten zu sehen. Immerhin leitete der neue Oberbefehlshaber zuvor mehrere Jahre den gefürchteten und berüchtigten militärischen Geheimdienst ISI.
Nur wenig ist in Pakistan ohne Wissen und Einverständnis des ISI möglich. Der Geheimdienst, gerne auch als unsichtbare Regierung bezeichnet, spielte unter anderem eine führende Rolle bei der Finanzierung und Ausbildung der Mujaheddin, die vor allem in Afghanistan und in den verschiedenen Kriegen mit Indien zum Einsatz kamen. Der ISI wird auch als Haupt verantwortlicher in Hunderten von Fällen von Verschwindenlassen an gesehen. In Geheimdiensthaft wird besonders häufig und brutal gefoltert und es herrscht eine umfassende Straflosigkeit.
Die Manifeste der beiden wichtigsten Parteien, Musharrafs PML-Q und Bhuttos PPP, beinhalten einen unrealistischen Katalog von Verbesserungsvorschlägen und Versprechungen in allen erdenklichen Bereichen. Gerade in Bezug auf die Einhaltung grundlegender Menschenrechte und den Status der Frau bleiben sie je doch vage. Egal, welche Partei als Siegerin aus den Parlamentswahlen hervorgehen wird, für die Menschenrechte sind die Aussichten so oder so düster.
Im Grunde verfolgen alle Beteiligten Eigeninteressen und sind kaum bereit, die Wahrung der Menschenrechte ins Zentrum ihrer Aktivitäten zu stellen. Schlechte Aussichten Sollte die PPP bei den Wahlen die PML-Q über holen und mit einer Mehrheit im Parlament den Premierminister stellen, könnte auf oberster Regierungsebene ein Seilziehen beginnen, das alle Entwicklungen blockiert. Bhuttos Volkspartei fordert in der Arbeits- und Machtteilung eine klare Machtverschiebung zu gunsten des Premierministers. Uneinigkeit in diesem wichtigen Punkt und damit eine Blockade grösseren Ausmasses könnte dazu führen, dass die Armee eingreift und sich Pakistan ein weiteres Mal auf eine Militärdiktatur einstellen muss.
Erschienen in «amnesty - Magazin der Menschenrechte» vom Februar 2008
Herausgegeben von Amnesty International, Schweizer Sektion