MAGAZIN AMNESTY Buch «Trotz allem sind sie menschliche Wesen»

In seinem mehrfach preisgekrönten Buch «Du sollst Bestie sein» beschreibt der US-amerikanische Jungautor Uzodinma Iweala die erschütternde Wirklichkeit eines Kindersoldaten.

«Trotz allem sind sie menschliche Wesen» © ZVG

«amnesty»: Was hat Sie dazu bewogen, ein Buch über einen Kindersoldaten zu schreiben?

Uzodinma Iweala: Ich bin zwar in den USA aufgewachsen, aber meine Familie stammt aus Nigeria. Afrika ist eine Weltregion, in der die Thematik der Kindersoldaten sehr präsent ist. Als ich 14 war, begann ich mich mit Kindersoldaten und Kindersoldatinnen zu befassen. Ich konnte mir damals nicht vorstellen, was diese Jugendlichen in meinem Alter durchmachen mussten. Ich wollte mehr darüber wissen und las alles, was mir dazu in die Hände fiel.

Eine Begegnung, die mich nachhaltig beeinflusste, war diejenige mit der ehemaligen ugandischen Kindersoldatin China Keitetsi. Die Stärke, die sie ausstrahlte, hat mich tief beeindruckt und mir gezeigt – es ist möglich, über diese Erfahrungen hinwegzukommen und etwas gegen diese schreckliche Menschenrechtsverletzung zu tun.

Sie haben viel über Kindersoldaten gelesen. Gingen Sie auch nach Afrika, um vor Ort mit Betroffenen zu sprechen?

Ich war nie in Ländern wie Sierra Leone oder Liberia. Doch ich war
verschiedentlich in Nigeria bei meiner Familie, wo ich Kontakt mit Flüchtlingen aus Liberia hatte. Es waren junge Männer in meinem Alter. Ich wusste nicht, ob sie selber als Kindersoldaten gekämpft hatten, aber sie konnten mir viel über die Dynamik der Gewalt und des Krieges erzählen.

Solche direkten Gespräche vermitteln einem ein sehr starkes Gefühl für die Situation. Vielleicht ist das eine gewisse Stärke von mir, dass ich in der Lage bin, zuzuhören und die Informationen und Eindrücke zu verinnerlichen. Und wie gesagt, ich habe alles gelesen, was ich zum Thema fand. Beides zusammen half mir, mich Schritt für Schritt an die Thematik heranzutasten.

Ihr Buch ist aus der Perspektive des jungen Kindersoldaten Agu geschrieben. Wie ist diese Person entstanden?

Das Ding mit Agu war, dass ich mir zuerst ganz grundlegend überlegen musste, was ich mit dem Buch aussagen wollte. Ich wollte zeigen, dass dieser Junge schreckliche Dinge erlebt und auch getan hat, aber im Grunde genommen ist er immer noch ein menschliches Wesen. Diese Menschlichkeit durfte in all den Beschreibungen nie verloren gehen.

Mir war es extrem wichtig, so respektvoll wie möglich mit seiner Person umzugehen – gerade deshalb, weil es ja nie möglich ist, wirklich bis ins Innerste zu verstehen und nachzuvollziehen, was in einem anderen Menschen vorgeht. Ich wollte Agu nicht in Beschlag nehmen, sondern ihn seine Geschichte mit seiner Sprache und seinen Bildern selber erzählen lassen.

Sie erwähnen in Ihrem Buch weder konkrete Orte noch konkrete Länder oder Zeiten. Mit Absicht?

Ja. Ich wollte zeigen, dass die Problematik der Kindersoldaten nicht ein
spezifisches Land betrifft, sondern ein globales Problem ist. Ausserdem wollte ich so das Gefühl der Orientierungslosigkeit verstärken, indem ich weder Zeiten noch Orte oder sonstige konkrete Anhaltspunkte gab.

In der Realität sind viele KindersoldatInnen Mädchen. In Ihrem Buch kommen sie jedoch nicht vor. Warum?

Das ist ein guter Einwand. Natürlich, es gibt genauso viele Mädchen wie Jungen, die als SoldatInnen kämpfen müssen. Das wird oft übersehen. Doch jedem Buch geht der Entscheid voraus, worüber man schreiben will und wo die eigenen Stärken des Beschreibens liegen.

Eine zentrale Figur in Ihrem Buch ist Strika, der Freund von Agu, der nicht mehr spricht und am Ende vor Erschöpfung stirbt. Was wollten Sie mit ihm darstellen?

Die Personen in meinem Buch können nicht isoliert betrachtet werden – nur zusammen ergeben sie ein Ganzes. Mit Strika wollte ich den Schmerz zeigen und die Traumata, die der Krieg verursachen kann. Bei ihm zeigen sich die Auswirkungen noch deutlicher als bei Agu. Strika spricht nicht mehr – als Zeichen dafür, was er durchgemacht hat. Auf der anderen Seite ist er aber auch sehr aktiv, aggressiv und versucht zu überleben.

Eine der schlimmsten Szenen ist diejenige, in der Agu und Strika die Frau und ihre Tochter niedermetzeln. Dort geht es nicht mehr um Menschlichkeit, das ist pure Grausamkeit.

Das war eine der Szenen, die ich als Erstes geschrieben habe. Es war sehr hart, sie zu schreiben, und ich habe sie, ehrlich gesagt, danach verdrängt. Doch es ist klar, dass sie sehr wichtig ist. Kindersoldaten sind zwar Opfer, aber sie sind auch Täter.

Trotz allem endet Ihr Buch hoffnungsvoll.

Ja, mir war es extrem wichtig auszudrücken, dass wir die Personen in diesen Situationen nicht einfach abschreiben dürfen. Mit dem Ende wollte ich zeigen, dass es Möglichkeiten gibt, das Erlebte bis zu einem gewissen Grad zu überwinden.

Haben Sie auch Reaktionen von ehemaligen Kindersoldaten auf Ihr Buch erhalten?

Ich habe an Veranstaltungen teilgenommen, an denen auch Personen aus Sierra Leone anwesend waren. Einer kam zu mir und sagte: «Du hast in deinem Buch einen Teil meiner Erfahrungen festgehalten.» Eine grössere Anerkennung hätte ich mir nicht vorstellen können.

Erschienen in «amnesty - Magazin der Menschenrechte» vom Mai 2008
Herausgegeben von Amnesty International, Schweizer Sektion