Flüchtlinge in Südafrika warten auf ihren Bus
© PA/AP Jerome Delay
Neulich kam ein Mann hier auf der Baustelle vorbei und wollte einen Job», erzählt Delfim Muationhe. «Ich sagte ihm: ‹Sorry, im Moment haben wir nichts.› Da fuhr er mich an: ‹Erzähl keinen Mist! Schaust du kein Fernsehen? Du Ausländer, du musst mir Arbeit geben. Ich habe Hunger, und meine Kinder zu Hause haben nichts zu essen!›»
Muationhe rückt seine blaue Wollmütze zurecht. Natürlich hat er die Nachrichten im Fernsehen gesehen: die Bilder von brennenden Häusern, von ermordeten AusländerInnen und vom südafrikanischen Mob, der im Mai Jagd auf Menschen aus Simbabwe, der Demokratischen Republik Kongo und Mosambik machte.
Der 25-Jährige arbeitet als Vorarbeiter im Kapstädter Township Philippi und ist gebürtiger Angolaner. Seit neun Jahren lebt er in Südafrika. Jetzt hat er Angst um sein Leben, obwohl die Gewaltwelle abgeebbt ist, nachdem die Regierung Soldaten zur Verstärkung der Polizei in die Armen viertel geschickt hat. Und er hat allen Grund dazu.
Nicht überraschend
Die Bilanz der fremdenfeindlichen Krawalle: 62 Tote, 1300 gewaltsame Übergriffe und Tausende heimatlos gewordene Menschen. Von den ursprünglich 30000 AusländerInnen, die vorläufig in Flüchtlingslagern im ganzen Land untergebracht wurden, harren noch immer rund 13000 aus. Der Rest ist entweder in die Heimat zurückgekehrt oder lebt wieder zwischen südafrikanischen Nachbarn. Präsident Thabo Mbeki spricht heute von einer «Schande der Nation».
Und doch kamen die Ausschreitungen – trotz gegenteiliger Beteuerung der Regierung – nicht überraschend. Schätzungsweise fünf Millionen AusländerInnen halten sich legal und illegal am Kap auf, davon drei Millionen allein aus Simbabwe. Nach der Wahl dort habe der Flüchlingsstrom noch einmal deutlich zugenommen, sagt der südafrikanische Politikwissenschaftler Andries Odendaal: «Diese Menschen müssen sich irgendwie in die Gesellschaft integrieren. Und gezwungenermassen tun sie dies auf der untersten Ebene, in der Schicht, die am stärksten unter Druck ist. Sie erhalten keine Unterstützung dabei. Das kann eigentlich nur katastrophal ausgehen.»
Sündenböcke gefunden
In manchen Elendsvierteln liegt die Arbeitslosigkeit bei 70 Prozent, Gewaltverbrechen sind an der Tagesordnung. Die Armen Südafrikas haben Wahlversprechen an sich vorbeiziehen sehen und sind ärmer geworden. Sie sind frustriert. Sie haben Hunger. Und sie sind wütend.
Diese Wut über bestehende soziale Ungerechtigkeiten musste lediglich auf den fruchtbaren Boden lang gehegter Vorurteile gegen Fremde fallen. So wurden der «geschäftstüchtige Nigerianer», der «Billiglohn-Arbeiter» aus Malawi und der «illegale simbabwische Wirtschaftsflüchtling» zu Sündenböcken einer ganzen Gesellschaftsschicht. Nicht über Nacht, sondern langsam, stetig und über Jahre hinweg.
Angesichts dieser Tatsache war die blosse Unterdrückung der Gewalt durch Polizei und Militär der vergleichsweise einfache Teil der Lösung. Jetzt, wo die Welt längst wieder auf andere Krisenherde schaut, wartet die wirkliche Herausforderung. Denn eines dürfte inzwischen auch dem letzten südafrikanischen Politiker klar sein: Ohne spürbare wirtschaftliche Verbesserungen für die Ärmsten der Armen Südafrikas sind alle Hoffnungen auf eine erfolgreiche Re-Integration der im Land lebenden Ausländer so wirklichkeitsfremd wie das lang gehegte romantische Bild der multikulturellen Regenbogennation.
Erschienen in «amnesty - Magazin der Menschenrechte» vom September 2008
Herausgegeben von Amnesty International, Schweizer Sektion