Und wieder sind im Osten der Demokratischen Republik Kongo (DR Kongo) Hunderttausende von Menschen auf der Flucht. Der abtrünnige Tutsi-General Laurent Nkunda, der wegen Kriegsverbrechen mit internationalem Haftbefehl gesucht wird, hat mit seiner Rebellenbewegung Congrès national pour la défense du peuple (CNDP) eine weitere Offensive gegen die kongolesischen Regierungstruppen gestartet. Er ist bis vor Goma, die Hauptstadt der Provinz Nord-Kivu, vorgedrungen. Trotz eines Friedensabkommens, das im Januar 2008 zwischen zahlreichen bewaffneten Gruppen und der Regierung geschlossen wurde, haben die Kämpfe in Nord-Kivu nie aufgehört. Die humanitäre Lage im Osten der DR Kongo hat sich seit Beginn der jüngsten Offensive dramatisch verschlechtert. Mehr als eine Million der rund sechs Millionen Einwohne-rInnen der Provinz Nord-Kivu waren schon in früheren bewaffneten Auseinandersetzungen aus ihren Dörfern und Städten vertrieben worden und befinden sich auf der Flucht. Viele von ihnen mussten jetzt zum wiederholten Mal aus Flüchtlingslagern vor den anrückenden Truppen fliehen.
Der Krieg in Nord-Kivu ist vor allem auch ein Krieg gegen Frauen und Kinder. Ein im September 2008 veröffentlichter Bericht von Amnesty International (AI) kommt zum Schluss, dass das Friedensabkommen der Zivilbevölkerung keinerlei Erleichterung gebracht hat. Auf zwei freigelassene KindersoldatInnen werden in Nord-Kivu fünf neue zwangsrekrutiert und zum Kriegsdienst gezwungen. Viele von ihnen waren bereits einmal KindersoldatInnen und konnten während einer nationalen Demobilisierungskampagne zu ihren Familien zurückkehren. «Gerade ihre frühere Erfahrung mit bewaffneten Gruppen macht sie zu wertvollen Rekruten und setzt sie grösserer Gefahr aus», erklärt Andrew Philip, AI-Experte für die DRK. KindersoldatInnen, die zu fliehen versuchen, werden getötet oder gefoltert, manchmal vor den Augen anderer Kinder – zur Abschreckung. Auch die CNDP-Milizen Nkundas haben auf ihrem Vorstoss nach Goma gemäss Medienberichten zahlreiche KindersoldatInnen zwangsrekrutiert.
Der AI-Bericht belegt auch, dass die Gewalt gegen Frauen weitergeht: «Bewaffnete Milizen und Regierungstruppen vergewaltigen trotz gegenteiligen Versprechen im Friedensabkommen weiterhin Frauen und Mädchen», sagt Philip.
Angesichts der weiter eskalierenden Gewalt gegen Zivilpersonen fordert AI eine massive Verstärkung der Uno-Schutztruppe Monuc in Nord-Kivu. «Nur so wird es möglich sein, die Attacken von bewaffneten Gruppen gegen Zivilpersonen zu unterbinden», erklärt Tawanda Hondora, der stellvertretende Direktor des AI-Afrikaprogramms. Monuc verfügt über ein sogenannt robustes Mandat und darf zum Schutz der Zivilbevölkerung Gewalt anwenden. «Die internationale Gemeinschaft darf nicht zulassen, dass der Konflikt wieder ein Ausmass annimmt wie zwischen 1998 und 2002», fordert Hondora. Seit 1998 sind dem Krieg in der DR Kongo mehr als fünf Millionen Menschen zum Opfer gefallen. «Ohne Verstärkung der internationalen Schutztruppe droht in Nord-Kivu erneut eine humanitäre Katastrophe», fürchtet Hondora.
Erschienen in «AMNESTY – Magazin der Menschenrechte» von November 2008
Herausgegeben von Amnesty International, Schweizer Sektion