«Es freut mich, dass Sie sich für die Situation der Homosexuellen in Weissrussland interessieren», grüsst Viachaslau Bortnik, von seinen Freunden Slawa genannt, in fliessendem Englisch.
Der junge Mann mit dem freundlichen Lachen weiss, dass Weissrussland meist wegen anderer Themen in den Schlagzeilen ist: «Die letzte Diktatur Europas» wird seit 1994 von Präsident Alexander Lukaschenko mit eiserner Hand regiert.
Gefängnisstrafen für informelle Gruppen und Initiativen
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Viele der Probleme, mit denen Menschen mit einer anderen sexuellen Orientierung in Weissrussland konfrontiert sind, gelten denn auch für alle Andersdenkenden, zivilgesellschaftlichen Organisationen oder politisch Oppositionellen: die nicht vorhandene Meinungsäusserungs-, Versammlungs- und Pressefreiheit sowie Repressionen gegen alle, die es wagen, den totalitären Stil von Lukaschenkos Führung zu kritisieren oder in Frage zu stellen. «Unsere Regierung steht im Krieg mit zivilgesellschaftlichen Organisationen. Informelle Gruppen und Initiativen sind verboten und werden mit Gefängnisstrafen von einem halben bis zu drei Jahren bestraft», erklärt Slawa Bortnik die aktuelle Lage seit der Anpassung des Strafgesetzes im Jahr 2005. «Auch Amnesty International ist in dem Sinne kriminell, denn wir sind nicht offiziell anerkannt», betont der Menschenrechtsverteidiger.
Von Kriminalisierung zur Diskriminierung...
Staatliche Diskriminierung über die «alltägliche» Unterdrückung hinaus sind Homosexuelle in Weissrussland zusätzlich gefährdet. Bis 1994 galt Homosexualität als Verbrechen. Tausende von Personen, zahlreiche von ihnen Oppositionelle, wurden unter dem Vorwand der Homosexualität festgenommen und eingesperrt. Diese Kriminalisierung wurde zwar 1994, kurz vor Lukaschenkos Amtsantritt, aufgehoben.
Die Diskriminierung durch staatliche Institutionen, Kirche und Gesellschaft besteht jedoch weiterhin. Die einflussreiche orthodoxe Kirche bezeichnet Homosexualität als «schlimmste aller Sünden». Präsident Lukaschenko erklärte vor dem weissrussischen Sicherheitsrat im September 2004, Homosexualität sei eine der Perversionen, «die uns der Westen gebracht hat».
...bis zum Verlust der Arbeitsstelle
In Weissrussland gibt es kein Antidiskriminierungsgesetz. «Deshalb kommt es immer wieder vor, dass Personen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung ihren Arbeitsplatz verlieren, ohne dass sie rechtlich dagegen vorgehen können», erklärt Bortnik. Ausserdem gibt es Berufe, die Menschen mit einer anderen sexuellen Orientierung nicht ausüben dürfen, beispielsweise Lehrer und andere Berufe, bei denen es zu Kontakten mit Kindern kommt. Auch das Militär schliesst Schwule vom obligatorischen Militärdienst aus, weil sie als «krank» und «pervers» betrachtet werden.
Ausgrenzung
Die weissrussische Polizei weigere sich, berichtet Bortnik, Fälle zu untersuchen, in denen Menschen mit einer anderen sexuellen Orientierung im öffentlichen oder privaten Bereich Opfer von Gewalt geworden seien. Ausserdem gebe es immer wieder Fälle von Gewalt durch Polizisten. Die Diskriminierung von Homosexuellen ist Ausdruck einer tief verankerten Homo-phobie in der weissrussischen Gesellschaft.
Gemäss einer Umfrage von Lambda Belarus, der ersten Schwulenorganisation Weissrusslands, sind 47 Prozent der Bevölkerung der Meinung, dass Schwule eingesperrt werden sollten. Immer wieder kommt es zu verbalen und körperlichen Attacken gegen Homosexuelle. Selbst andere zivilgesellschaftliche Organisationen meiden die Zusammenarbeit mit Gruppierungen von Menschen mit einer anderen sexuellen Orientierung.
Scheinehen und Homosexuellebewegungen
Kein Wunder, versuchen die meisten Homosexuellen in Weissrussland, ihre sexuelle Orientierung für sich zu behalten – viele gehen gar Scheinehen ein, um keinen Verdacht auf sich zu ziehen. Nichtsdestotrotz ist auch in Weissrussland in den letzten Jahren eine Homosexuellen-Bewegung entstanden, die sich mit Hilfe des Internets organisiert, zunehmend vernetzt ist und sich über verschiedene Kanäle wie Untergrundmagazine, Foren oder nationale Events austauscht oder gar an die Öffentlichkeit geht.
Dabei haben Amnesty International (AI) und insbesondere Viachaslau Bortnik eine nicht unbedeutende Rolle gespielt. 1995 stiess er als Student in seiner Heimatstadt zu AI. Dank seinem Engagement wuchs die Gruppe bald und organisierte öffentliche Veranstaltungen zu Menschenrechtsfragen. «Damals war die Repression noch nicht so drastisch», erinnert sich Bortnik.
So wurde 1998 mit Lambda Belarus auch die erste Homosexuellenorganisation in Weissrussland gegründet, die 1999 gar eine Gay Pride in Minsk organisierte. Dort erfuhr Bortnik durch einen Schweden erstmals vom LGBT-Netzwerk (Lesbians, Gays, Bisexuals und Transgender) innerhalb von AI, worauf er 1999 mit anderen die erste LGBT-Gruppe in Weissrussland gründete.
Unterstützung fehlt
«Das gute daran war, dass AI damit ein LGBT-Netzwerk ins Leben gerufen hat, das für alle zugänglich war», erinnert sich Bortnik, der selber von 2002 bis 2004 Präsident von AI Weissrussland war.
Die weissrussische Regierung hat AI Weissrussland allerdings nie offiziell anerkannt. «Deshalb wurde uns vom Internationalen AI-Sekretariat der Status als AI-Struktur abgesprochen», bedauert Bortnik. «Ohne internationale Unterstützung ist es für uns jedoch sehr schwierig, unsere Arbeit weiterzuführen.»
Doch auch davon lässt sich der junge Mann nicht entmutigen, der 2003 seine sichere Stelle als Kinderpsychologe und als Russischlehrer an einer Sekundarschule kündigte, um sich voll und ganz der Menschenrechtsarbeit zu widmen. «Damit diene ich meinem Land in dieser schwierigen Zeit sicher mehr», ist er überzeugt.
Erschienen in «amnesty - Magazin der Menschenrechte» vom November 2008
Herausgegeben von Amnesty International, Schweizer Sektion