«Die kommunistische Partei Chinas (KPCh) hat es sich zur Aufgabe gemacht, mit den barbarischsten, unmoralischsten und gesetzeswidrigsten Mitteln unsere Mütter, unsere Ehefrauen, unsere Kinder und unsere Brüder und Schwestern zu foltern», schreibt Gao Zhisheng in einem Tagebucheintrag. «Ich trete heute formell aus dieser unmenschlichen, ungerechten und üblen Partei aus», heisst es weiter.
Das Buch «Chinas Hoffnung» von Gao Zhisheng liest sich wie ein spannender Roman, mit einem Unterschied allerdings: Es handelt vom realen Alltag im heutigen China. Es ist aus der Perspektive eines Mannes geschrieben, der versucht, China von innen heraus zu verändern und Gerechtigkeit zu erreichen.
Der Anwalt verteidigt Opfer ärztlicher Kunstfehler, rücksichtslos Enteignete, ausgebeutete Arbeiter. In Bedrängnis gerät er, als er auch das Machtmonopol und die Unfehlbarkeit der kommunistischen Partei in Frage stellt, die Korruption der Behörden anklagt und Glaubensfreiheit, insbesondere für die Anhänger der spirituellen Bewegung Falun Gong, einfordert.
Gao Zhishengs Buch zeigt der Leserschaft mit Tagebucheinträgen, Kommentaren, Betrachtungen und offenen Briefen unterschiedliche Facetten Chinas. Es führt in zum Teil entlegene Dörfer, in städtische Gerichtssäle, in unheimliche Folterkammern, zu korrupten Beamten und unmenschlichen Polizisten, zu stumm gewordenen und doch sehr beredten Zeugen, in geheime Arbeitslager. Das Buch enthüllt die Strukturen eines verschworenen und korrupten Staatsapparates.
Vom Star zum Buhmann
Aus bitterster Armut stieg der Autor zum gefeierten Anwalt auf. Noch 2001 kürt ihn das chinesische Justizministerium in einem amtlichen Auswahlverfahren zu einem der «Top-Ten» unter Chinas Anwälten. Der Wind dreht sich allerdings, als sich Gao Zhisheng am 31. Dezember 2004 in einem offenen Brief an den Nationalen Volkskongress wendet und Verfahrensmisstände wie gerichtliche Willkür im Zusammenhang mit Falun Gong anprangert. Die Berichte über Folter und Morde an den Angehörigen der Bewegung, die seit Juli 1999 durch einen Erlass des damaligen Vorsitzenden Jiang Zemin verboten ist, haben Gao Zhisheng zutiefst erschüttert, wie es im Buch heisst.
Daraufhin wird ihm von Amtes wegen beschieden: «Wenn Sie so weiter machen, werden wir uns bald mit Ihnen beschäftigen und gegen Sie disziplinarische Massnahmen ergreifen müssen.» Zwei Tage später bewachen etwa 20 Geheimdienstleute sein Haus. Seine Anwaltskanzlei wird geschlossen, seine Mitarbeiter werden entlassen. Gao Zhisheng wehrt sich mit eindringlichen Briefen an die Staatsführung, doch die Repression gegen ihn und seine Familie nimmt zu. Im Januar 2006 reist Gao Zhisheng zu einem Interview mit Manfred Nowak, dem Uno-Sonderberichterstatter für die Folter. Dabei entkommt er nur mit Glück einem als Strassenunfall getarnten Mordanschlag. Der Anwalt vermutet die chinesischen Behörden hinter diesem Anschlag.
Im Dezember 2006 wird seine polizeilich angeordnete Administrativhaft – wahrscheinlich dank der internationalen Aufmerksamkeit – durch ein Gericht unter Ausschluss der Öffentlichkeit, ohne Mitteilung an seine Familie und seinen Verteidiger, in eine fünfjährige bedingte Haftstrafe mit Bewährung unter Hausarrest umgewandelt. Man wirft ihm «Anstachelung zum Umsturz der Staatsmacht» vor, nachdem er sich weiterhin als Menschenrechtsaktivist eingesetzt hatte.
Haft und Hausarrest
Am 12. September 2007 schildert Gao Zhisheng in einem offenen Brief an den US-Kongress ausführlich die schweren Menschenrechtsverletzungen des chinesischen Regimes. Damit hat er den Bogen überspannt. Am 16. September 2007 wird er erneut festgenommen und anschliessend sechs Wochen lang «incommunicado», also ohne Kontakt zur Aussenwelt, festgehalten. Seit seiner Haftentlassung stehen er und seine Familie unter Hausarrest. BesucherInnen und Medien haben keinen Zugang. Der Anwalt ist weiterhin menschenrechtsverachtender Behandlung durch die Polizei ausgesetzt, dazu zählt Folter mit Elektroschocks. Seinen beiden Kindern wird der Schulbesuch verweigert.
Die Misshandlungen Gao Zhishengs durch den chinesischen Repressionsapparat waren Gegenstand von Resolutionen des US-Kongresses und des Europäischen Parlaments. Neben verschiedenen Auszeichnungen für seine Verdienste um die Menschenrechte wurde ihm am 28. Juni 2007 in Abwesenheit der Bruno-Kreisky Preis verliehen.
Hoffnung und Trauer
In seinen Briefen prangert Gao Zhisheng weiterhin die Verhältnisse in China an und bezeichnet etwa die Mitglieder der Kommunistischen Partei als «Abschaum». Ist zu Beginn des Buches noch ein Zukunftsglauben spürbar, so weicht dieser im Laufe der Chronologie unter dem Eindruck der unaufhörlichen Repression einer gewissen Hoffnungslosigkeit und Traurigkeit.
Gao sagt über sich: «Ich bin nie ein Literat gewesen und so ist es mir nie in den Sinn gekommen, ein Buch zu schreiben – schon gar nicht in Zeiten der Unterdrückung wie diesen. Und streng genommen bin ich ein Aktivist, kein Denker und noch weniger Gründer einer Institution. Ich habe in meinen Artikeln einen Stil gesucht, der direkt zum Herzen spricht.» Und das ist ihm gelungen.
Erschienen in «amnesty - Magazin der Menschenrechte» vom Februar 2009
Herausgegeben von Amnesty International, Schweizer Sektion