Beim Anflug auf Goma raubt einem die Schönheit der Landschaft beinahe den Atem. Idyllisch liegt die Provinzhauptstadt Nord-Kivus an dem von Bergketten gesäumten Kivusee. Nördlich von Goma erhebt sich majestätisch der Nyiragongo, einer der zahlreichen Virunga-Vulkane. Sein letzter Ausbruch vor sechs Jahren hat die Stadt gebrandmarkt. Breite, versteinerte Lavahügel ziehen sich wie dicke Narben durch Goma. Am Fuss des Vulkans war damals die Erde aufgebrochen und glühende Lavaströme hatten auf ihrer Bahn hinunter zum See ganze Häuserreihen weggerissen und unzählige Gebäude versengt. Das bizarre Stadtbild wird durch den enormen Park von Panzern, Geländefahrzeugen, Flugzeugen und Helikoptern der Uno am Flughafen noch betont: Auch Friedenstruppen muten martialisch an und zeigen, dass der Krieg nicht weit ist.
Ganz normal dann scheint das Treiben in der Stadt. Frauen mit Gemüse- und Früchtekörben auf dem Kopf und junge Männer, ihre Hände und Arme mit Waren aller Art überladen, suchen Käufer. Ein beliebtes Angebot sind unités mit Gesprächsguthaben für die Mobiltelefone, die alle benötigen. Der Verkehr ist dicht, Taxi-Motorräder chinesischer Bauart, auf dem Passagiersitz eine gewichtige, adrett aufgemachte Dame oder ein Herr in Anzug und Krawatte, drängen sich in Schwärmen eng an den Kolonnen schwerer Geländefahrzeuge vorbei, die auf den vom Lava zerstörten Strassen riesige Staubwolken aufwirbeln. Junge Männer transportieren auf hölzernen Riesentrottinetten – den Chukudus – für wenig Geld schwere Säcke mit Mais, Zucker oder Holzkohle, aber auch Backsteine oder Bündel von Armierungseisen.
Handel mit Bodenschätzen
Tagsüber sind die meisten Geschäfte geöffnet, vor den Läden stehen die Waren zum Verkauf, in der einen Strasse sind es Möbel, Holzstühle und Tische, in der anderen Eisenwaren, Gitter und Tore und in einer weiteren Särge. Eine Eigenheit von Goma sind die unzähligen Transportunternehmen entlang ganzer Strassenzüge. Es sind mehr Buden als Geschäfte, und sie tragen fantasievolle Namen wie Ximia Air Ways, Jupiterfrêt, Busy Bee Cargo. Auf den Fassaden sind die Destinationen von Hand angeschrieben: Mubi, Bisie, Luhumbi, Kasese, Walikale. Es geht um die Bodenschätze, an denen die Region überreich ist: Diamanten, Gold und viele Metalle, darunter Coltan und Nobium, die für die moderne Technologie gebraucht werden.
Mit ihrem Abbau und Verkauf verdienen sich unzählige Menschen hier den Lebensunterhalt, so auch die Familie Biamungu in Walikale, die seit Jahrzehnten mit Kassiterit, Zinnstein, handelt. In Walikale, 45 Flugminuten von Goma entfernt, bauen Schürfer das schwere, schwarze oder rote Gestein in einer Tiefe von 5 bis 50 Metern ab, wobei die Hälfte des Fördergutes ihnen, die andere dem Grubenbesitzer gehört.
Die Biamungus kaufen das Erz, lassen es in 50-Kilo-Säcken mit Kleinflugzeugen nach Goma transportieren und verkaufen es in den zahlreichen, nur Eingeweihten zugänglichen Mineralien-Comptoirs der Stadt an die Exporteure weiter. In Walikale betreibe kaum mehr jemand Landwirtschaft, obwohl die Gegend äusserst fruchtbar sei, sagt der 28-jährige Didier Biamungu, alle hätten auf Kassiterit gesetzt. Wenn das Geschäft aber wie beim gegenwärtigen tiefen Weltmarktpreis in der Krise stecke, verdiene seine Familie nichts. Dennoch geht das Rohstoffgeschäft weiter.
Die grossen Gewinne mit den Bodenschätzen machen eh nicht die Schürfer und Zulieferer, sondern die Exporteure und Grosshändler, die die Rohstoffe – vielfach illegal – nach Ruanda schaffen, von wo sie zu den fernen Abnehmern gelangen. Zu den Profiteuren gehören auch jene, die sich mit Hilfe einer bewaffneten Miliz eine Grube aneignen und diese kontrollieren. In der Ortschaft Bisie habe eine ganze Brigade der kongolesischen Armee das Kassiterit-Geschäft übernommen, sagt Didier Biamungu. So lange Krieg und Unruhe im Ostkongo herrschen, sind illegale Machenschaften und Raubbau an den Ressourcen und Edelhölzern möglich.
Solange lässt sich auch der Lohn der Schürfer und Zulieferer drücken, zum Profit der Grosshändler, aber auch der internationalen Firmen, die sich ihre Ressourcen hier beschaffen. So heizt der enorme Mineralien-, Gold- und Diamantenreichtum in Ostkongo den Krieg an.
Der Krieg belastet die Menschen enorm, auch in Goma, das bisher von kriegerischen Handlungen verschont geblieben ist. Doch Zigtausende von Vertriebenen haben die Zahl der StadtbewohnerInnen auf rund eine halbe Million verdoppelt. Der tägliche Kampf ums Überleben ist hart, Arbeit und solide Häuser mit Strom und Wasser gibt es nur für die wenigsten, öffentliche Investitionen gibt es seit Jahren nicht mehr, die Stadt verkommt. Dennoch ist überall Überlebenswillen und -kraft zu spüren. Kaum jemand lässt sich anmerken, wie schwierig es ist, ohne Strom und fliessendes Wasser zu leben, Tag für Tag Essen für die Familie zu beschaffen, Schulgeld und -material für die Kinder zu zahlen. Und der Krieg belastet auch die Psyche der Menschen, vor allem der Jungen, die kaum Zukunftsperspektiven sehen.
Ziviles Engagement
Doch da gibt es auch jene, die sich gemeinsam in Freiwilligenarbeit für die Verbesserung der Lebensbedingungen einsetzen. Als Société civile locker organisiert, machen sie die Behörden immer wieder auf Missstände und Ungerechtigkeiten aufmerksam. Zu ihrem Bedauern jedoch mit wenig Resonanz: «Auf unsere Initiativen gehen die Behörden kaum ein, nicht mal eine Antwort haben wir erhalten», grollt Romyald (25). Was sie täten, sei meistens wirkungslos. Dennoch machen sie weiter und engagieren sich etwa für eine Friedensaktion in der Stadt.
Denn der Krieg, in dem Kinder und Erwachsene getötet werden, all die Gewalt, das macht uns wütend, erzeugt Hass», stellt Asha (20) fest. Der jahrelange Krieg habe den Kongo arm gemacht, es gebe keine Arbeit, die Jungen hätten kein Geld, klagt Oscar (23). Die jungen Leute schimpfen auch über Ungerechtigkeit und Korruption: «Wer viel besitzt, lebt auf Kosten jener, die nichts haben, das verursacht Konflikte», kritisiert Romyald. Tatsächlich gibt es inmitten des heruntergekommenen Goma auch unverschämten Reichtum, teure Autos und luxuriöse Villen. Die Profiteure des Krieges machen sich auch in Goma breit.
Der Unmut gegenüber den Reichen und Mächtigen nimmt mitunter auch eine ethnische Dimension an. Zwei Stadtbewohner lassen mich ihre Ressentiments gegenüber dem Nachbarn Ruanda spüren, das in der jüngeren Geschichte wiederholt im Kongo Krieg geführt hat und sich an den kongolesischen Bodenschätzen bereichert. Dabei verhehlen sie nicht, dass sich ihre Antipathie gegen die Tutsi richtet.
Das Gespräch endet dann auf einer versöhnlichen Note, eine Politik der Versöhnung zwischen den Volksgruppen sei nötig, eine Erziehung zur Versöhnung in den Primarschulen, Kirchen, in der Zivilgesellschaft und auch in der Armee, finden die beiden. Und auch die Ausbeutung der Bodenschätze müsse staatlich streng kontrolliert und reglementiert werden, denn nur so könnten sie zur Entwicklung Ostkongos und des ganzen Landes beitragen.
Erschienen in «amnesty - Magazin der Menschenrechte» vom Februar 2009
Herausgegeben von Amnesty International, Schweizer Sektion