Einige Kilometer von der Grenze zwischen der Demokratischen Republik Kongo (Kongo) und Uganda entfernt liegt der Nationalpark Queen Elisabeth mit seinen luxuriösen Lodges. Von hier aus gehen die TouristInnen auf Safari, um Paviane, Elefanten und Giraffen zu bestaunen. Ein Jeep, der sich im vergangenen November verirrt hätte, hätte die TouristInnen zu einem ganz anderen Schauspiel geführt: Tausende von Flüchtlingen haben sich Ende des letzten Jahres an der Grenze zusammengedrängt, auf der Flucht vor der Offensive der Rebellen des Congrès National pour la Défense du Peuple (CNDP) von Tutsi-General Laurent Nkunda.
27. November 2008, 11 Uhr morgens: Aus der Ferne sind Schüsse zu hören. In kaum 2 Kilometern Entfernung fällt das kongolesische Dorf Ishasha in die Hände der CNDP. In den letzten Tagen ist eine unüberschaubare Menge von Kongolesen und Kongolesinnen über die Grenze nach Uganda geflüchtet. Auf dem Fahrrad oder einer Karre transportieren sie das wenige, das sie mitnehmen konnten: eine Matte, einen Topf, einen Wasserkanister; oder sie ziehen eine Ziege hinter sich her.
Ein Mädchen von kaum vier Jahren hat seinen kleinen Bruder auf dem Rücken und versucht seiner Mutter zu folgen, die ein Tuch trägt, in dem die Sachen eingewickelt sind, die ihr geblieben sind. Sie stösst zu den Tausenden von Menschen, die sich entlang der Strasse zusammendrängen, und versucht mehr schlecht als recht, in der Menge unterzukommen. Ein Stück entfernt lenkt das Uno-Hochkommissariat für Flüchtlinge (UNHCR), das durch die grosse Menge der Menschen überfordert ist, die Flüchtlinge in Warteschlangen, damit die Neuankömmlinge registriert werden können.
Todesdrohungen
Samuel* ist vor einem Monat angekommen. Er war Menschenrechtsverteidiger in Rutshuru und hat die Existenz von Massengräbern und Morde durch bewaffnete Gruppen aufgedeckt. Als er im Radio gehört hat, dass die Truppen der CNDP im Begriff seien, die Stadt einzunehmen, ist er geflohen – vorsorglich. Er hat nicht damit gerechnet, dass die Rebellen zu ihm nach Hause kommen würden und dass sie seine Frau umbringen würden, weil sie sich weigerte, seinen Aufenthaltsort zu verraten. Offensichtlich ist aber genau das geschehen, wie er von seinen Schwiegereltern erfahren hat. Jetzt ist er – erst dreissig Jahre alt – Witwer, und er denkt nicht daran, eines Tages in den Kongo zurückzukehren. «Zu gefährlich», sagt er leise – mit Tränen in den Augen. Er weiss noch nichts über das Schicksal von zweien seiner drei Kinder. Um das älteste haben sich seine Eltern gekümmert, die ebenfalls Drohungen erhalten haben.
Samuel will sich nicht vom UNHCR registrieren lassen, weil er nicht in ein Flüchtlingslager gebracht werden will, das 250 Kilometer von der Grenze entfernt liegt. In das Flüchtlingslager Nakivale wurden seit dem Ausbruch der Kämpfe in Nord-Kivu im August 2008 fast 10000 kongolesische Flüchtlinge gebracht. Am Anfang waren es Gruppen von einigen Duzend, seit Ende November sind es jeden Tag Tausende.
In diesem Lager, in das Bus um Bus täglich Flüchtlinge einliefert, ist der Alltag mehr schlecht als recht organisiert. Nach ihrer Ankunft verbringen die kongolesischen Flüchtlinge einen oder zwei Tage in einem riesigen Zelt, in dem die Empfangsformalitäten erledigt werden. Nachdem sie fotografiert worden sind und die UNHCR-MitarbeiterInnen ihre Fingerabdrücke genommen haben, werden ihnen zwei Planen ausgehändigt und sie können ihr eigenes Zelt aufstellen, neben Hunderten von anderen weissen Zelten, die bereits entlang des Hügels aufgebaut worden sind.
Das Aufnahmeprozedere geht schnell und unbürokratisch vor sich. Obwohl Gesundheitseinrichtungen und Trinkwasser vorhanden sind, wurden bereits Fälle von Cholera registriert. Viele Flüchtlinge stehen Schlange vor den Wassertanks, andere warten auf die Verteilung von Nahrungsmitteln. Eine aus einigen Planen im Eiltempo aufgebaute Schule ermöglicht es, die Kleinsten von den schlimmen Eindrücken und Erinnerungen im Zusammenhang mit den Kämpfen abzulenken.
Die Mehrzahl der Flüchtlinge ist aus der Region Rutshuru geflohen, als sie, aufgeschreckt durch Gewehrfeuer, den Einmarsch der CNDP-Truppen haben kommen sehen. Nach zwei Tagesmärschen haben sie die Grenze bei Ishasha erreicht und sind nach dem Grenzübertritt in das Flüchtlingslager Nakivale überführt worden. Die Aussagen der Geflüchteten decken sich: «Beim Einmarsch der CNDP habe ich mich in meinem Haus in Kiwanja versteckt», erklärt Madeleine*, die im fünften Monat schwanger ist, auf Suaheli.
«Als ich gesehen habe, wie Nachbarn bei den Kämpfen zwischen Mai-Mai-Milizen und der CNDP umgebracht wurden, bin ich zur Monuc geflohen, der Friedensmission der Uno. Mein Schwiegervater wollte unsere Sachen aus dem Haus holen, aber es war schon von CNDP-Rebellen besetzt. Sie hatten zwei Frauen dorthin gebracht, zweifellos wollten sie sie vergewaltigen. Er ist zu uns zurückgerannt, und ich bin mit meinem Mann und meinem Kind geflohen.»
Tausende von Flüchtlingen haben Ähnliches erlebt. Die meisten von ihnen sind nicht zum ersten Mal auf der Flucht, sie mussten sich schon früher vor Kämpfen in Sicherheit bringen. Für sie ist es nur eine weitere Krise, die sie in die Flucht treibt, um Massakern, Vergewaltigungen oder Zwangsrekrutierungen zu entgehen.
Ungewisse Zukunft
Menschenrechtsverletzungen sind durch alle bewaffneten Gruppen in Nord-Kivu begangen worden, auch durch die Regierungsarmee. Jackson*, ein junger Mann, erzählt, dass ihn nahe der Grenze fünf Mai-Mai-Soldaten (die Mai-Mai-Milizen wurden vor Kurzem in die kongolesische Armee integriert) zwingen wollten, ihnen sein Motorrad auszuhändigen. Nach Verhandlungen mit ihnen haben sie sich damit zufriedengegeben, dass er ihnen das wenige Geld ausgehändigt hat, das er bei sich trug.
Ungewissheit über das Schicksal ihrer Angehörigen, prekäre Lebensbedingungen, Angst vor der Rückkehr in den Kongo: das Leben der kongolesischen Flüchtlinge in Uganda ist schwierig. «Aber lieber sterbe ich, als nach Nord-Kivu zurückzukehren», erklärt eine alte Frau. Andere haben sich trotz allem entschieden zurückzugehen, aber mehr im Norden, bei Beni, wo die kongolesische Armee noch Herr der Lage ist und für Sicherheit sorgt. Sie haben die Hoffnung, dass der Krieg eines Tages zu Ende sein wird und sie endlich wieder ein normales Leben führen können. Aber wann?
Erschienen in «amnesty - Magazin der Menschenrechte» vom Februar 2009
Herausgegeben von Amnesty International, Schweizer Sektion